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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2220: Leo Gabriel über die neue Regierung in Österreich


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2 · Februar 2018
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Mehr nach rechts oder mehr nach links? Die SPÖ ist gespalten

Leo Gabriel im SoZ-Gespräch über die neue Regierung in Österreich


Fast 20 Jahre nach der ersten schwarz-blauen Regierung in Österreich wiederholt sich die Konstellation, diesmal mit einer klaren rassistischen und sozialrassistischen Schlagseite. Über deren Politik und Kräfte des Widerstands sprach die SoZ mit LEO GABRIEL.
Der Journalist und Dritte-Welt-Aktivist ist nach vielen gescheiterten Anläufen für eine linke politische Alternative in Österreich derzeit in einem Prozess engagiert, der versucht, ausgehend von Widerstandsversammlungen gegen die Rechtsentwicklung in ganz Europa die Kräfte neu zu bündeln. Für Osteuropa ist eine solche Versammlung im März in Budapest geplant. In diesen Prozess sind auch die Kräfte eingebunden, die am 14. Januar die Demonstration gegen die schwarz-blaue Regierung organisiert haben.


SoZ: Die FPÖ war 1999 schon einmal in einer Koalition mit der ÖVP, damals mit Haider, der Verbindungen zu offenen Nazikreisen hatte. Siehst du einen Unterschied zu heute?

Leo Gabriel: Nun ja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Und der Stamm ist in beiden Fällen die unrühmliche Vergangenheit Österreichs, die das Land mit Deutschland teilt. Haider war damals in Bärental zuhause, wo eine ganze Nazigesellschaft gewesen ist. Der heutige FPÖ-Chef Strache umgibt sich mit Burschenschaften - und zwar schlagenden, nicht die katholischen -, deren NS-Provenienz ebenfalls außer Zweifel steht. Hinsichtlich ihrer Wurzeln haben sich die beiden also wenig vorzuwerfen. Aber auch ihr Verhalten ist ähnlich. Haider hat gern versucht zu tricksen, indem er immer wieder nebenbei gewisse Sprüche hat fallen lassen. Das macht die jetzige Regierung auch, wenn bspw. der Innenminister Kickl (FPÖ) davon redet, dass man Flüchtlinge konzentrieren soll - das ist sehr nahe am Sprachduktus, den auch Haider gepflegt hat...


SoZ: Was sind das für Regierungsentscheidungen, gegen die sich soviel Unmut wendet?

Leo Gabriel: Die Regierung hat sich als erstes der Arbeitslosen angenommen. Die sollen, wenn das Arbeitslosengeld ausgelaufen ist, in eine Mindestsicherung geschickt werden, wo ihnen endlich, wie in Deutschland bei Hartz IV, das Vermögen angerechnet, d.h. entzogen wird. Bisher konnten Arbeitslose im Anschluss an das Arbeitslosengeld eine sog. Notstandshilfe beziehen, die galt für ein Jahr, konnte aber immer wieder verlängert werden, das ging ziemlich lang. Die Notstandshilfe war höher als die Mindestsicherung, sie machte, glaube ich, 90 Prozent vom Arbeitslosengeld aus, während die Mindestsicherung jetzt auf 55 Prozent runter ist. Sie war auch weniger mit dem Druckmittel der Vermögensanrechnung belastet. Was das für Arbeitslose bedeutet, brauche ich in Deutschland nicht zu sagen. Die Regierung Kurz bestreitet zwar immer wieder, dass das wie Hartz IV sein soll, aber dem Inhalt nach geht es in die gleiche Richtung.

Eine zweite Maßnahme ist die Abschaffung des sog. Programms 20.000, das unter der rot-schwarzen Regierung von Christian Kern eingeführt wurde und Arbeitslosen über 50 ein Anrecht gibt, von NGOs auf Kosten des Staates angestellt zu werden. In meinem Umfeld - ich bin engagiert in der sog. Dritte-Welt-Politik - haben alle NGOs Leute an der Hand, die ab dem 1.1.2018 bezahlt bei ihnen tätig werden sollten. Dieses Programm ersatzlos aufzuheben war die allererste Maßnahme der neuen Regierung überhaupt.


SoZ: Wen hat die FPÖ denn im Blick, wenn sie vom kleinen Mann spricht?

Leo Gabriel: Sich selber nicht, denn die Führungsfiguren, auch die schlagenden Burschenschaftler, die in der Regierung sitzen, sind alle aus gutem Haus. Da sitzen keine Proletarier oben, aber ihr ganzes Gehabe und ihre Rhetorik ist immer wieder auf die Unterprivilegierten gerichtet. Strache hat erst vor kurzem wieder gesagt, wenn Kreisky heute auferstehen würde, würde er FPÖ wählen.


SoZ: Was meint er damit?

Leo Gabriel: Dass er in die Bastionen der Sozialdemokraten vorgerückt ist. Ganze Wiener Gemeindebezirke, die ehemals eine Bastion der Sozialdemokraten waren, wurden jetzt von der FPÖ übernommen. Deshalb gibt es in der SPÖ jetzt einen Flügelkampf zwischen denen, die sagen, wir müssen noch ein bisschen weiter nach rechts gehen, um die Leute zurückzuholen, und jenen, die sagen, jetzt, in der Opposition, müssen wir mal links machen.


SoZ: Wodurch hat die FPÖ diese Wählerschicht gewonnen?

Leo Gabriel: Für die FPÖ, wie im übrigen auch für den neuen Bundeskanzler Sebastian Kurz, gab es ein zentrales Thema, das war die Migration, darauf sind alle herumgeritten. Ich glaube, in Deutschland war das im Wahlkampf nicht so exklusiv Thema wie bei uns.


SoZ: Und die SPÖ-Wähler wurden speziell davon angezogen?

Leo Gabriel: Ja. Sie fürchten die Konkurrenz durch die billigen Arbeitskräfte aus dem Ausland, und haben Angst, dass ihnen der Arbeitsplatz weggenommen wird. Deshalb gibt es um diese Frage auch eine große Diskussion und Spaltung innerhalb der Gewerkschaften. Es gibt Gewerkschaften, die mehr auf der einen oder mehr auf der anderen Seite engagiert sind. Die Eisenbahner etwa haben traditionell einen internationalistischen Blick, die waren auch beim Sozialforum mit dabei. Die ÖGB-Spitze hingegen hält sich bedeckt. Das Thema spaltet die Gesellschaft.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine Neiddebatte: Schau her, der Ausländer da, der hat ein Handy, ja, wie kommt der dazu, wenn er doch so arm ist, wie kann der ein Handy haben. Jeder will jemanden gekannt haben, der sich erst seit kurzem in Österreich aufhält und in den Genuss der Sozialversicherung gekommen ist, ohne jemals etwas eingezahlt zu haben.


SoZ: Wie ist denn das wirklich mit der Konkurrenz? Arbeiten bei euch nicht hauptsächlich EU-Ausländer?

Leo Gabriel: Wenn man sich die Statistiken anschaut, ist die größte Gruppe von Ausländern, die bei uns arbeitet, die Deutschen. Sie stehen an erster Stelle, noch vor den Türken, vor den Bosniern... Wer's nicht glaubt, möge sich ein bisschen an der Universität umhören, wo man kaum mehr einen Wiener oder österreichischen Akzent hört, weil wir so viele Lehrende und Studierende aus Deutschland haben.


SoZ: Wieviele Asylsuchende werden denn bei euch zurückgeschickt?

Leo Gabriel: Ungefähr die Hälfte der Asylanträge wird abgelehnt. Sie werden dann nicht immer gleich zurückgeschickt, aber man will daran arbeiten, dass die hier nicht lange geduldet werden.


SoZ: Das ist ja ganz ähnlich wie bei uns. Habt ihr schon diese Großaufnahmelager, die sie bei uns jetzt, dem bayrischen Modell folgend, als einzige Aufnahmestelle für Flüchtlinge durchsetzen wollen, wo gleich entschieden wird, ob sie überhaupt Aussicht auf Asyl haben, und wenn nicht, dann heißt es sofort: Ab die Post? Im Schnellverfahren...

Leo Gabriel: Ja, die gehen bei uns genau in die gleiche Richtung. Der Innenminister spricht davon, man soll sie am Stadtrand konzentrieren, in Massenquartiere, Containerdörfer usw. Kurz widerspricht nur dann, wenn die Diktion zu sehr an Konzentrationslager erinnert, aber sonst toleriert er diese Vorschläge alle. Sogar Kasernen sollen zur Verfügung gestellt werden, es gibt bei uns so viele, die wenig genutzt werden. Damit verbunden ist eine Ausgangssperre. Man stelle sich das vor, ich bin viel in Ländern unterwegs, wo es gewaltsame Konflikte gibt, da gibt es immer wieder Ausgangssperren. Dann kommen die ins "freie Europa" und finden dieselben Verhältnisse hier vor.

Die Regierung gibt auch der Konkurrenzangst Nahrung, weil sie gleichzeitig eine Liste von Mangelberufen zusammenstellen will, für die besonders Ausländer aus dem Osten herangezogen werden sollen.


SoZ: Gibt es in der Gesellschaft Widerspruch gegen diese Politik?

Leo Gabriel: Ja, allerdings stark differenziert. Die Bastion, die dagegen hält, ist bislang immer noch Wien. 2015, wie die große Fluchtwelle losgegangen ist, waren an die 100.000 Leute auf dem Heldenplatz, das war im Oktober. Diese Demonstration wurde von Bürgermeister Häupl, der jetzt in Pension gehen wird, sehr aktiv unterstützt, damit hat der damals die Wahlen gewonnen - ganz offensiv gegen die FPÖ und ihre Ausländerpolitik. Ich weiß nicht, was dem damaligen Bundeskanzler Werner Faymann dann unter den Baum gelegt worden ist, aber so um die Weihnachtszeit hat er einen Schwenk von 180 Grad in der SPÖ gemacht, was dazu geführt hat, dass er am 1. Mai 2016 ausgebuht wurde und das Handtuch nehmen musste. Es gab und gibt in Wien eine große Anzahl von Menschen, die dagegen halten, sehr viele aus dem katholischen und christlichen Lager, die sich freiwillig um die Flüchtlinge kümmern.

Interessanterweise findet die ausländerfeindliche Politik am meisten Anklang in den Ortschaften und Stadtteilen, die im alltäglichen Zusammenleben nichts mit Flüchtlingen zu tun haben. Es ist also immer eine Geschichte, die induziert ist. Es gibt gewisse Bundesländer, die von vornherein gesagt haben, bei uns kommt kein Ausländer rein. Das sind die Gemeinden, die jetzt auch für den neuen Bundeskanzler sind. Das ist eine richtige Volksverblödung, die von gewissen Massenmedien, aber auch im virtuellen Raum, gefördert und angeheizt wird, und die mit der Realität überhaupt nicht im Einklang steht.

Die umgekehrte Erfahrung gibt es auch, in ein Dorf kommt plötzlich eine Gruppe Tschetschenen oder Afghanen, die werden privat bei Familien untergebracht. Da hört man nie etwas davon, dass es hier größere Probleme gegeben hätte. Die reden dann auch übereinander: Was, du hast noch keinen Flüchtling untergebracht?


SoZ: Ihr habt aber auch wieder eine schöne Demonstration hingelegt...

Leo Gabriel: Das war ermutigend, wir waren sicher 40.000. Vereinzelt sind auch höhergestellte Gewerkschaftsfunktionäre mitgelaufen, aber mit Ausnahme der sozialistischen Jugend hat es keinen sozialdemokratischen Redner von Rang und Namen gegeben. Der Christian Kern hat ja versucht, mit einem gewissen Profil zu regieren, hat sich gegen TTIP eingesetzt und für eine Wertschöpfungsabgabe. Aber jetzt schaut sich die SPÖ erst einmal an, wie der Hase läuft, dann wird sie sich auf sehr opportunistische Weise verhalten.


SoZ: Wer hat die Demo organisiert?

Leo Gabriel: Ein altbewährtes Bündnis, zu dem federführend die großen Menschenrechtsorganisationen wie SOS-Mitmensch, die sozialdemokratische Volkshilfe, die Linkskatholiken, Asyl in Not usw. gehören. Die linken Gruppen waren natürlich auch dabei, es war eine breite Allianz. Aber die meisten sind aus eigenem Antrieb gekommen.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 2, 33. Jg., Februar 2018, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2018

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