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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2438: Von den australischen Bauarbeitern lernen, heißt siegen lernen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 · November 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Von den australischen Bauarbeitern lernen, heißt siegen lernen

von Manfred Dietenberger


In letzter Zeit spielen die Themen Klimawandel und Transformation der Industrie bei den deutschen Gewerkschaften wieder eine wichtige Rolle.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften setzen sich auf Gewerkschaftstagen verstärkt mit dem Thema auseinander und verabschieden interessante Anträge, die eine starke Umweltorientierung und eine aktive Rolle der Gewerkschaften bei der anstehenden Transformation verlangen. Darüber hinaus rufen sie entweder selbst zu Demonstrationen auf (wie die IG Metall) oder sie rufen zur Teilnahme an anderen auf.

Auch die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) hat dazu aufgerufen, sich an der Klimaschutzdemonstration der Fridays-for-Future-Bewegung am 20. September zu beteiligen. Ihr Bundesvorsitzender Robert Feiger erklärte: "Die IG BAU macht sich seit Jahren stark für besseren Klima- und Naturschutz. Eine der zentralen Herausforderungen ist es, Ökologie und Sozialstandards zusammenzudenken. Denn dort, wo Menschen ausgebeutet werden, kommt in der Regel auch die Natur unter die Räder."

Klingt gut und radikal, ist aber nicht ganz so ernst gemeint, denn er fährt sozialpartnerschaftlich fort: "Wir fordern die Arbeitgeber auf, ihren Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, sich an den Demos zu beteiligen." Und der stellvertretende Bundesvorsitzende ergänzte: "Ich erwarte, dass auch die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und auf Baustellen mit Aktionen unmissverständlich klar machen: Klimaschutz ist nicht verhandelbar! Die Natur gibt keine Fristverlängerung."

An wie vielen Orten und auf wie vielen Baustellen das konkret von den dort Beschäftigten aufgegriffen und umgesetzt wurde, ist nicht bekannt. Zu befürchten ist, dass die IG BAU nach der Demo wieder in ihre altgewohnte Praxis zurückfällt und ihre Umweltinteressen am besten in der Gremienarbeit - sprich in Gesprächen mit Parteien und Umweltschutzverbänden aufgehoben sieht - oder im besten Fall über ihre Stiftung "Soziale Gesellschaft - Nachhaltige Entwicklung" und mit dem Peco-Institut einige kleine Ökoprojekte anstößt und befördert.


Einer macht's vor

Ein bisschen konkreter und kreativer als seine Gewerkschaftsspitze war da der Bezirksvorsitzende der IG BAU von Westfalen-Mitte-Süd, Friedhelm Kreft. Der appellierte einerseits artig an die Arbeitgeber in der Region, ihren Beschäftigten die Teilnahme an Klimademonstrationen zu ermöglichen, empfahl seinen KollegInnen in den rund 6.500 Betrieben in und um Siegen-Wittgenstein herum aber darüber hinaus: "Am internationalen Protesttag können auch Arbeitnehmer vor Ort mitmachen - und zum Beispiel eine längere Mittagspause einlegen. Eine Job-Klima-Pause wäre ein wichtiges Signal. Denn das Thema geht jeden etwas an." Es sei "höchste Zeit", sich auch im Beruf über Themen wie Erderwärmung und CO2-Bilanz auszutauschen. Welche Folgen der Klimawandel bereits jetzt habe, zeige sich an der Forstwirtschaft und den verheerenden Schäden in den heimischen Wäldern. Dürre, Unwetter und Schädlinge setzten den Bäumen in bisher unbekanntem Ausmaß zu.

Und: "Die IG BAU appelliert zugleich - gerade am 20. September: Von der Fahrgemeinschaft zur Baustelle bis hin zur Sanierung undichter Bürofenster gibt es eine Menge, was man in Sachen Klimaschutz tun kann. Entscheidend ist, Umwelt und Arbeit zusammen zu denken. Denn weder Natur noch Jobs dürfen unter die Räder kommen." Das war schon nicht so schlecht. Wie viele KollegInnen diese Empfehlung tatsächlich umsetzten, ist leider nicht bekannt. Aber was wäre, wenn sich die IG BAU in naher Zukunft ein Beispiel an der ehemaligen Builders Labourers Federation (BLF) im australischen Bundesstaat New South Wales nehmen würde? Ein Blick auf deren bis dahin beispiellose gewerkschaftliche Interessenpolitik lohnt sich.


In Australien

In Australien stellte die Bauarbeitergewerkschaft Anfang der 70er Jahre erstmals Art und Qualität von Bauprojekten in Frage. "Green Ban", so hieß die dort von den Bauarbeitern organisierte Streikaktion. Bei der ging es nicht vorrangig um Lohn- und Arbeitsplatzsicherheit, sondern um die Durchsetzung von Umweltschutzforderungen - hier konkret um die Erhaltung eines innerstädtischen Grün- und Erholungsbereichs. Jack Mundey, der ehemalige Vorsitzende dieser Baugewerkschaft, berichtete:

"Wir nannten unsere Aktion Green Ban, weil dieser Begriff besser ausdrückte, um was es ging: Die Arbeiter nutzten die Möglichkeit der Verweigerung ihrer Arbeitskraft, um der Gemeinschaft insgesamt zu helfen, und nicht nur, um ihre eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern." Die besondere Bedeutung von Green Ban, so Mundey, lag darin, "dass sich in einem entwickelten Industriestaat Arbeiter bzw. Gewerkschaften mit gesellschaftlichem Bewusstsein zusammengeschlossen und im Interesse übergreifender Gemeinschaftsinteressen die Arbeit niedergelegt haben. Sie wollten damit erreichen, dass staatliche oder Kapitalinvestitionen umweltfreundlicher erfolgen. Ebenso wichtig war es, dass sie sogleich begannen, sich des Endprodukts ihrer Arbeit kritisch bewusst zu werden: Welche Gebäude sollten gebaut, welche Produkte hergestellt werden? Es gibt nicht nur das Problem der Arbeitslosigkeit, sondern auch das der Qualität der Arbeit. Beide hängen eng mit dem Problem der sozialen Folgen der Arbeit zusammen." Die Baugewerkschaft BLF wurde in den 60er Jahren durch ihre weit über das sonst übliche, rein tradeunionistische Engagement hinausgehenden politischen Aktivitäten weithin bekannt. Sie erarbeitete sich kämpfend das Image, dass die Bauarbeiter nicht nur Gebäude bauen und daraus das Recht auf auskömmlichen Lohn und gute Arbeitsbedingen beanspruchen, sondern für sich auch das Recht behaupten können, ihre Auffassungen über gesellschaftliche Fragen, die mit der Bauindustrie verbunden sind, aktiv zu vertreten.

1971 wandte sich zum ersten Mal eine Bürgerinitiative an die Gewerkschaft. Den Leuten von Battlers for Kelly's Bush ging es um folgendes: Kelly's Bush war ein Regenwald im Stadtteil Hunters Hill, der zu den "nobleren" Vororten von Sydney gehörte. Eine große Baugesellschaft hatte dieses Gelände mit der Absicht gekauft, darauf Luxuswohnhäuser zu bauen. Damit aber wäre nicht nur das letzte Erholungsgebiet im Stadtteil, sondern gleichzeitig das letzte Waldgebiet am Parramatta-Fluss zerstört worden. Nach langer, zum Teil heftiger Diskussion beschlossen die Bauarbeiter, dass halbfertige Wolkenkratzer halbfertig stehenbleiben würden, würde in Kelly's Bush auch nur ein einziger Grashalm angerührt - quasi als Denkmal für Kelly's Bush. Danach gab es heftigen Ärger mit der Baugesellschaft, der Polizei usw. Doch am Ende blieb Kelly's Bush erhalten. So ging es auch mit einer Reihe anderer Bauprojekte.

Inzwischen ist dieser Kampf längst Geschichte und zu Unrecht fast schon vergessen. Denn wie sagte doch Jack Mundey von der BLF: "Die Baustopps waren kein Selbstzweck, sondern sollten den Menschen vor Ort ermöglichen, sich stärkere Einflussmöglichkeiten zu erkämpfen und verhindern, dass die Verwaltung oder die jeweilige Regierung kurzsichtige Entscheidungen fällen konnten, die später vielleicht alle bedauerten."

Dass eine solche gewerkschaftliche Orientierung möglich wurde, kam natürlich nicht zufällig, sondern hatte ganz konkrete Voraussetzungen. Ein erster, wichtiger Schritt war der "Linksrutsch" bei den Gewerkschaftswahlen im Jahre 1964. In der Folge beteiligte sich die Gewerkschaft an der Bewegung "Legt die Arbeit nieder, um den Krieg in Vietnam zu verhindern" und an Aktionen gegen die Apartheid, bei denen sich Gewerkschafter und Studierende zusammenfanden.

Damals begann der Bruch mit der betriebsblinden Standortorientierung. Die Arbeiter waren nicht mehr bereit, ihre Gewerkschaft nur als Lohnmaschine zu begreifen. Den Bauboom der 70er Jahre in Sydney und in anderen Ballungszentren der Region New South Wales und den hohen gewerkschaftliche Organisationsgrad (70 Prozent!) nutzte die Gewerkschaft für offensive Lohnkämpfe und die Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen.


Alle gemeinsam?

Dagegen verlieren die Gewerkschaften bei uns Jahr für Jahr mehr Mitglieder. Ja, das macht das Kämpfen nicht einfacher. Aber, oder gerade deshalb wird es Zeit, die Gewerkschaften neu aufzustellen und zu einer attraktiven, kämpferischen politischen-sozialen Bewegung zu entwickeln. Die Klima- und Umweltkrise bedroht uns alle. Aber die in den Bereichen Bahn, öffentlicher Nahverkehr, Bau-, Land- und Forstwirtschaft Beschäftigten plus die vom Umstieg der Autoindustrie auf E-Mobilität betroffenen Beschäftigten sind ihrer Interessenslage nach noch einmal besonders mit dem Thema verwoben und verbunden.

Gleichzeitig gibt es hierzulande eine sich gerade mehr und mehr verbreiternde und radikalisierende Umweltbewegung. Mieter kämpfen immer entschlossener für das Menschenrecht auf Wohnen. Es fehlen überall Facharbeiter, die Auftragseingänge im Bauhauptgewerbe in Betrieben von Unternehmen mit 20 und mehr tätigen Personen lagen im März 2019 nominal mit rund 8,2 Mrd. Euro um 16,7 Prozent höher als im März 2018. Das war der höchste jemals gemessene Wert an Aufträgen in einem März in Deutschland. Liebe IG BAU, das sind doch eigentlich ideale Bedingungen zum gemeinsamen Kampf von Bauarbeitern, Mietern und Umweltschützern. Oder?

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 34. Jg., November 2019, S. 7
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2019

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