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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2468: Wie holen wir uns die Krankenhäuser zurück?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1 · Januar 2020
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Wie holen wir uns die Krankenhäuser zurück?
Der Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte diskutiert die Vergesellschaftung der Krankenhäuser

von Kolja Swingle


Die Zustände im Gesundheitssystem sind miserabel. Patienten werden in Krankenhäusern wegen des fehlenden Personals strukturell unterversorgt. Allein die Wartezeiten in den Notaufnahmen sind ein sprechendes Beispiel: Auf eine Ärztin in der Nachtschicht und wenige Krankenschwestern kommt der Andrang kranker Menschen, die häufig stundenlanges Warten zusätzlich zu ihrer Notlage in Kauf nehmen müssen. Betten fehlen, Personal, schlicht die Kapazitäten. Warum das?


Durch die Ökonomisierung und Privatisierung der Krankenhäuser herrscht dort das Profitprinzip vor. Mit Einführung der Fallpauschale (DRG-System - Diagnosis related groups -, ein bundesweites Abrechnungssystem, das 2004 eingeführt wurde) wird gewinnorientiert bemessen, was an medizinischen Diensten geleistet wird - im Gegensatz zu einem zeitintensiven Reproduktionsbedarf, der auf der Pflege kranker Menschen basiert.

Die DRGs stellen ein Vergütungssystem dar, das es erlaubt, Fallzahlen zu erhöhen und Profite zu erzielen. Vor allem eins gelingt dadurch - es wird gespart am Nötigsten, mit schlimmen Folgen für die Menschen und ihre Gesundheit - für alle Betroffenen: Patienten, Pflegerinnen, Ärztinnen, das gesamte Personal.

Da diese Kürzungen vor dem Hintergrund einer sich verschärfender Verarmung der Bevölkerung passieren, trifft die Ökonomisierung des Gesundheitswesen die sozial Benachteiligten am härtesten. Der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) forderte erst kürzlich, insbesondere die Zuzahlung zu notwendigen Arzneimitteln müsse zurückgenommen werden, nicht verschreibungspflichtige Medikamente gehörten wieder in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen.


Unsolidarische Zweiklassenmedizin

Gegen eine Zweiklassenmedizin, die durch die Teilung in zwei Gesundheitskassen, private und gesetzliche Krankenversicherung, zementiert werde, fordert der Verein eine "solidarische Bürgerversicherung", an der sich u.a. "die Arbeitgeber beteiligen" sollen. Andernfalls gilt: "Die Besserverdienen aus der privaten Krankenversicherung können sich der solidarischen Finanzierung des Gesundheitssystems entziehen."

Darüber hinaus müsse die "Versorgung von nicht Krankenversicherten oder Menschen ohne Papiere dem gleichen Versorgungsniveau entsprechen wie die Versorgung regulär Versicherter". Die BRD habe sich schon 1973 durch die Ratifizierung des UN-Sozialpaktes darauf verpflichtet, allen Menschen, die auf dem Gebiet der Bundesrepublik leben, eine ausreichende medizinische Versorgung zu sichern. Dies werde nicht umgesetzt, so die VdPP. Die Gleichbehandlung sieht der Verein verletzt. Für Menschen ohne Papiere entstehe die Gefahr der Abschiebung, wenn sie, in therapeutischer Behandlung, an andere Behörden gemeldet würden. Daher erhielten sie eine allenfalls rudimentäre Versorgung. Im Appell an die Apothekerorganisationen fordert daher der VdPP ein "sehr offenes und deutliches" Bekenntnis zu Antirassismus und Antidiskriminierung.


Enteignung als Mittel demokratischer Rekommunalisierung

Mit Blick auf die Krankenhäuser sucht in Hamburg der Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VdÄÄ) nun nach neuen Wegen. Er diskutiert die Enteignung der Krankenhäuser als Mittel, um für bessere Bedingungen zu sorgen. Schließlich erfordern gravierende Missstände auch gravierende Eingriffe, denn diese Misere ist ein Ergebnis politischer Entscheidungen und Regelungen. Und muss auf politischem Wege angegangen werden.

Doch dafür braucht es direkte Eingriffe in das Gesamtsystem der Ökonomisierung der Krankenhäuser. Den Krankenhäusern wäre eine Enteignungsbewegung zu wünschen ähnlich derjenigen in der Wohnungsfrage. Die Initiative Deutsche Wohnen enteignen nimmt in Berlin Großinvestoren auf dem knappen Wohnungsmarkt ins Visier, sofern diese mit Mietsteigerungen Profite erpressen. Solchen Versuchen könnte ebenso auf dem Feld des Gesundheitssystems entgegengetreten werden.

Eine breite Diskussion, wie im Gesundheitssektor strukturelle Veränderungen auf politischem Wege zu erzielen sind, berührt nun mal auch die Frage, wie sich die Privatisierungen der letzten Jahre rückgängig machen lassen. Die enteigneten Krankenhäuser könnten in kommunale Hand übergehen. Es geht dabei um einen umfassenden Ansatz der kommunal-öffentlichen Reorganisation des Gesundheitssystems, die unter demokratischen Gesichtspunkten erfolgen könnte und die Beteiligung der Beschäftigten miteinschließt.

Der Kampf um eine bessere Personalbemessung wird dadurch verbunden mit einer betrieblichen Stärkung des Personals.


Das Wohl der Allgemeinheit und das Grundgesetz

In den Diskussionen des VdÄÄ ist dabei klar: Enteignung allein ergibt keinen Sinn, wenn nicht zugleich die Finanzierung bedarfsgerechter wird, d.h. das DRG-System abgeschafft wird. In letzteres hat das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz von Jens Spahn bereits große Löcher gerissen, da dieses die Pflegepersonalkosten aus den DRGs herausnimmt und damit einen großen Teil der Berechnung aus dem Vergütungssystem. Das Gesetz ist seit Beginn dieses Jahres in Kraft.

Der Marburger Bund fordert nun dasselbe für die Ärzteschaft. Diese sei ebenfalls aus den DRG zu nehmen und ein komplett neues Vergütungssystem für die Krankenhäuser zu schaffen. Enteignungen könnten nun für dieses Ziel ein weiterführendes Mittel sein, um zu einem Umbau des ökonomischen Systems der Krankenhäuser zu gelangen, der neue Formen demokratischer Selbstbestimmung enthält.

Zum einen würden die Krankenhäuser dadurch den Händen privater Investoren entrissen, die Lücken im DRG-System größer und insgesamt auf diesem Wege die Krankenhäuser einer betrieblichen Reform zugänglich gemacht. Denn solange die Krankenhäuser in den Händen privater Konzerne und Teil des ökonomisierten DRG-Systems bleiben, wird sich an den Zuständen nichts ändern.

Es muss wieder über die Mittel diskutiert werden, die gesellschaftlich zur Verfügung stehen, um dem Kapital an so einem neuralgischen Punkt wie dem Gesundheitssystem zu begegnen, sagt der VdÄÄ. Mögliche Konzepte einer demokratischen Rekommunalisierung der Krankenhäuser können sich dabei, wie in der Wohnungsfrage, auf das Grundgesetz berufen, das besagt, dass "eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit" (Art.14 GG) zulässig sei.

Artikel 15 GG geht noch weiter und sieht die Überführung von "Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmittel" in "Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft" vor und damit die Enteignung derselben zum "Zwecke der Vergesellschaftung". Eine gesetzliche Ausgestaltung der Vergesellschaftung nach Art.15 GG ist also durchaus möglich.

Und wo ist das "Wohl der Allgemeinheit" konkreter fassbar als bei der körperlichen und geistigen Gesundheit der Bevölkerung? Hier geht es unmittelbar um das Wohlergehen aller hier lebenden Menschen. Die Einsparungen am Personal gefährden die Gesundheit der Bevölkerung bereits in einem Ausmaß, das Enteignungen rechtfertigt.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1, 35. Jg., Januar 2020, S. 6
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2020

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