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VORWÄRTS/588: Zürcher Härtefallkommission kommt


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 21/22 vom 29. Mai 2009

Inland
Zürcher Härtefallkommission kommt

Von Michi Stegmaier


Nach der dreiwöchigen Besetzung der Predigerkirche Ende 2008 versprach Regierungsrat Hollenstein (CVP) die Wiedereinführung einer Härtefallkommission. Dieses Versprechen hat er nun eingelöst.


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Anlässlich einer Medienkonferenz am 14. Mai 2009 kündigte Hollenstein die Wiedereinführung einer Härtefallkommission für abgewiesene Asylsuchende und solche mit einem Nichteintretensentscheid (NEE) an. Die neu geschaffene Kommission soll sich auf sieben bis neun RepräsentantInnen von Landeskirchen, Hilfswerken, Gemeinden und kantonalen Integrationsbeauftragten zusammensetzen und wird ihre Arbeit anfangs September 2009 aufnehmen. Die Kommission soll nach dem Willen von Regierungsrat Hollenstein ein unabhängiger Rat sein, der zuhanden des Zürcher Migrationsamts Empfehlungen abgibt, weshalb bewusst auf den Einbezug der Parteien verzichtet wurde. Sind sich Härtefallkommission und Migrationsamt uneins, hat das letzte Wort der zuständige Regierungsrat, also derzeit Hollenstein selbst.


Eine gute Sache

Saidou Bah, einer der Mediensprecher während der Kirchenbesetzung, ist froh über die Lancierung einer Härtefallkommission. "Die Schaffung einer solchen Kommission ist ein wichtiger Schritt. Viele von uns können jetzt wieder ein wenig Hoffnung schöpfen, und zwar durchaus realistische", meint Bah. Er hofft, dass sich die neue Kommission vor allem an humanitären Aspekten orientiert und da grosszügig ist. Und das wäre auch angebracht. "In den Nothilfezentren hat es sehr viele Menschen, die seit Jahren hier leben, nicht ausgeschafft werden konnten und vor allem deshalb keine Papiere haben, weil der Kanton Zürich - im Gegensatz zu den anderen Kantonen - nicht bereit ist, auch humanitäre Aspekte bei der Beurteilung von Härtefällen zu berücksichtigen", erklärt Bah. Skeptischer hingegen ist der 50-jährige Äthiopier Berhanu Testfaye. Er lebte seit über neun Jahren als abgewiesener Asylsuchender in Zürich und hatte schon einmal vor der Kirchenbesetzung ein Härtefallgesuch gestellt. Damals wurde sein Gesuch umgehend abgeschmettert. Eine der Begründungen war unter anderem, dass er über kein Deutschdiplom B1 verfüge, was eine sehr hohe Anforderung darstellt und selbst bei Einbürgerungen nicht zur Anwendung kommt. "Das Problem ist nicht, ob es eine Kommission gibt oder nicht. Das Problem sind die unerfüllbaren Kriterien, um überhaupt ein Härtefallgesuch stellen zu können. Ich hoffe deshalb, dass die neue Kommission neue Kriterien schafft, damit überhaupt eine reele Chance auf ein Bleiberecht besteht", betont Testfaye. "Wer dem Arbeitsverbot untersteht, kann sich logischerweise keine Arbeit suchen und sich somit auch keinen Deutschkurs leisten", schildert der sympathische Äthiopier den Teufelskreis, in dem sich viele gestrandete Flüchtlinge befinden.


Zwischen Euphorie und Skepsis

Aber auch bei den ExpertInnen gehen die Meinungen weit auseinander und pendeln zwischen Euphorie und einer gewissen Skepsis. Bei Stefan Schlegel vom Zürcher Bleiberecht-Kollektiv überwiegt die Skepsis. "Ich hätte eine Kommission mit Weisungsgewalt oder mindestens einer qualifizierten Begründungspflicht favorisiert. Auch mit der neu geschaffenen Kommission wird es keine transparenten Entscheide geben. Das empfinde ich als stossend." Darauf angesprochen, ob das jetzt nicht eine allzu pessimistische Perspektive ist, räumt Schlegel ein, dass eine solche Kommission durchaus ein Paradigmawechsel beim Zürcher Migrationsamt herbeiführen könnte. "Die Erfahrung aus den Kantonen, die über eine solche Härtefallkommission verfügen, ist zugegebenermassen recht positiv. Ärgerlich bleibt aber, dass Regierungsrat Hollenstein der Frage nach einer generellen Regularisierung von Sans-Papiers ausweicht und sich hinter Einzelfällen und einer Kommission versteckt", kritisiert Schlegel. Nichts desto trotz ist die Einführung der neuen Härtefallkommission ein beachtlicher Erfolg für das Bleiberecht-Kollektiv und die Sans-Papiers-Bewegung. Insbesondere da in den vergangenen Jahren seitens der Hilfswerke und Beratungsstellen auf allen Ebenen versucht wurde, etwas an der äusserst willkürlichen und restriktiven Haltung des Zürcher Migrationsamtes zu ändern. Trotz Dialog, Petitionen und zahlreichen Gesprächen konnte man in der Praxis jedoch wenig bis gar nichts bewegen. Erst mit der Kirchenbesetzung gelang es eine gewisse kritische Öffentlichkeit zu schaffen und den nötigen Druck zu erzeugen. Das beweist, was möglich ist, wenn man nicht permanent über die Köpfe der Betroffenen hinweg politisiert, sondern versucht gemeinsam nach Lösungen und Strategien zu suchen. Bleibt zu hoffen, dass bei den Hilfswerken und NGOs ein emanzipativer Lernprozess und Reflexion stattfindet. Das wäre mindestens so wertvoll wie die angekündigte Härtefallkommission.


Willkürliches Migrationsamt

Willkürlich bleibt aber die Realität, dass sich das Zürcher Migrationsamt nicht an humanitären Aspekten orientiert. Es wird ausschliesslich auf Integration gesetzt und das mit Kriterien, die gelinde gesagt, jenseits von Gut und Böse sind. Gerade aber die viel beschworenen Integrationsbemühungen haben im Rahmen einer Härtefallprüfung sowieso keine Rolle zu spielen und sind entsprechend irrelevant. Ob das den Behörden nun passt oder nicht. Die Härtefallklausel wurde im Rahmen des neuen Asylgesetzes eingebaut, um die Menschen zu schützen, für die eine Rückkehr in ihr Heimatland eine ausgesprochene Härte bedeuten würde. Deshalb heisst es ja auch Härtefallklausel und nicht Integrationsolympiade. Wenn jemand seit Jahren hier lebt, schwer krank ist und aus einem Bürgerkriegsland stammt, sollte die Person zumindest ein Recht haben, dass geprüft wird, ob ein Härtefall vorliegt oder nicht. Das Zürcher Migrationsamt mit ihrem vorauseilendem Gehorsam kümmert das alles nicht. So ist es nach wie vor so, dass selbst krasseste Einzelfälle im Kanton Zürich nach wie vor akut von der Ausschaffung bedroht sind. Fälle, die in anderen Kantonen längst Aufenthaltspapiere erhalten hätten. Zuerst Papiere und dann die Integration. So einfach ist das.

Bleibt abzuwarten, ob die Härtefallkommission ein effizientes Instrument wird, um der Willkür beim Zürcher Migrationsamt einen Riegel zu schieben oder ob das Ganze nicht doch nur ein Feigenblatt darstellt, wie viele es befürchten. Skepsis ist zwar angebracht, aber ebenso auch Hoffnung. Oder wie es Berhanu Testfaye bildlich ausdrückte: "Es gibt nun ein Licht am Ende des Tunnels. Nur ist noch nicht ganz klar wie hell es ist".


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22, 65. Jahrgang, 29. Mai 2009, Seite 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2009