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VORWÄRTS/623: Minarett-Initiative - Das Herz der Finsternis hat gesprochen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 47/48 vom 18. Dez. 2009

Das Herz der Finsternis hat gesprochen

Von Michi Stegmaier


Gross war die Betroffenheit und der Schock als die ersten Resultate zur Minarett-Initiative über den Bildschirm flimmerten. Hilflos und mit offenen Mündern mussten wir zur Kenntnis nehmen, was viele nicht wahrhaben wollten. Und zu befürchten ist, dass sich nichts ändert. Was tun?


Vielleicht das Positive vorweg. Durch die deutliche Annahme der Minarett-Initiative hat das international sowieso schon arg ramponierte Ansehen der Schweiz noch weiter gelitten. Und das ist gut so. Es war auf jeden Fall höchste Zeit, dass das selbstgefällige Bild der humanitären Schweiz endlich der Realität angepasst und korrigiert wurde. Dafür gebührt der SVP Dank! Vielleicht sollte man zuerst den eigenen Stall ausmisten, bevor man sich über den Mistgestank anderer ärgert. Weiter bleibt die Religionsfreiheit - trotz Minarettverbot - gewährleistet, und so kann in diesem Land weiterhin jede und jeder den Götzen anbeten, auf den sie oder er gerade Lust hat. Es waren übrigens auch keine Benediktinermönche, die 1789 die Bastille stürmten, auch wenn sich die KirchenfürstInnen heute gerne als Wegbereiter der Aufklärung und des Humanismus sehen. Die Werte der heutigen Gesellschaft haben nun wahrlich nichts mit der Bibel zu tun. Soviel zur EDU und ihrem fundamentalistischen Christenblödsinn.


Nach dem Minarett die Burka?

Ebenso muss die auf den ersten Blick recht hohe Zahl der 400.000 Muslime in der Schweiz relativiert werden. Der Grossteil der Muslime in der Schweiz kommt aus dem Kosovo und sind in etwa so religiös wie der Grossteil von uns Christen: höchstens einmal pro Jahr und auch dann bloss, wenn es Geschenke gibt. Burkas im öffentlichen Leben sind jedenfalls eine absolute Rarität, mal abgesehen von den konsumsüchtigen iranischen Touristinnen an der Bahnhofstrasse, wobei das ja dann strenggenommen ein Tschador ist. Auf jeden Fall sind die Chancen, in der Schweiz auf eine burkatragende Frau zu treffen in etwa so gross, wie beim Wandern in unseren Alpen einem Marsmenschen zu begegnen. Das hindert CVP-Präsidenten Darbellay hingegen nicht daran, rechts auf dem Pannenstreifen an der SVP vorbeizudrängeln. Dummerweise verfügt er aber offensichtlich über keinen guten PR-Berater, ansonsten hätte er sich - nebst dem Burka-Verbot - auf die muslimischen Friedhöfe beschränkt und die jüdischen weggelassen. Lieber schöner Mann aus dem Wallis: Muslim hauen ist derzeit ok, Juden boxen ist aber grad nicht so "in". Und SP-Parteipräsident Levrat scheint ab und zu auch etwas fantasielos zu sein. Die Forderung, im Sinne einer Wiedergutmachung nun Guantanamo-Häftlinge aufzunehmen, ist doch etwas gar unkreativ geraten. Wieso nicht die Forderung nach Anerkennung von frauenspezifischen Fluchtgründen? Taktisch, wenn man in solchen Kategorien denken möchte, hätte dies in dem Moment durchaus Sinn gemacht. Es ist schon schizophren: Genau die Kreise, die was von Scharia und Frauenrechten schwafeln, sind diejenigen, die keine Skrupel kennen, wenn es darum geht, verfolgte GenossInnen von uns an islamistische Folterstaaten und Frauen, die sich nicht Beschneiden wollen, an ihre Peinigerinnen auszuliefern.


SVP als europäischer Vorreiter

Dass die SVP weit über die Landesgrenzen hinaus in einschlägigen Kreisen über grosses Ansehen verfügt, ist unbestritten. Die SVP entwickelt sich immer mehr zu einer wichtigen Impulsgeberin und Vordenkerin der europäischen Rechten. Das zeigt der tosende Applaus aus der braunen Ecke nach der Minarett-Abstimmung oder früher schon die Adaption des Schäfchen-Plakates durch die neonazistische NPD. Die SVP selbst fordert innerhalb der nationalistischen Bewegungen Europas unverhohlen und selbstsicher eine Vorreiterrolle ein. Dabei bleibt es nicht nur bei leeren Worten. So verfügen ExponentInnen der SVP über rege Kontakte zu anderen nationalkonservativen Parteien und nehmen regelmässig an europäischen Treffen teil. Berührungsängste gibt es da wenige, was durchaus gelegentlich in die Hosen gehen kann. Ein Liedchen davon kann der jurassische SVP-Mann Dominique Baettig singen, der Mitte Oktober im französischen Orange als geladener Referent an einer Versammlung des "bloc identitaire" teilnahm. Eine rechtsextreme Splittergruppe, die selbst dem Front Nationale zu radikal ist. Auch bei "Pro Köln", einer der derzeit erfolgreichsten rechtsextremen Organisationen in Deutschland, schwärmt man von der SVP. Man ist sogar so begeistert, dass "Pro Köln" eine Solidaritätskampagne mit dem Motto "Wir alle sind Schweizer" lancieren will und auf kommunaler Ebene ein generelles Minarettverbot einfordert.


Was heisst das für uns?

Grundlegend ist es weiterhin so, dass esoterisch-mystische Kreise, dubiose Sekten, Tierschützerlis sowie religiöse FanatikerInnen als das begriffen werden müssen, was sie sind: antiemanzipativ, menschenfeindlich und antidemokratisch. "Keine Toleranz der Intoleranz", muss hier das Motto bleiben. Und es muss grundsätzlich darüber debattiert werden, wer für die SVP "zuständig" ist und wer ihr letztendlich den Stecker rauszieht. Ihre Stärke ist unsere Schwäche. Das Schweigen der Parteien, der Kirchen, der Intellektuellen und Kulturschaffenden muss ein Ende haben. Da braucht es Zivilcourage und Mut. Wie die SVP mit politischen GegnerInnen umspringt und Kritik umgeht, wissen wir alle. Wer nicht kuscht wird platt gemacht. Die Medien werden bei zu kritischer Berichterstattung mittels Inseratestopps abgestraft. Das staatliche Fernsehen wurde erfolgreich erzogen und die wenigen Kulturschaffenden, die mal was "Böses" über die SVP gesagt haben, wissen bestens, was dann passiert. Es kann ebenso nicht sein, dass das einzige, was uns zur SVP einfällt, lustige Adaptionen ihrer menschenverachtenden und hetzerischen Plakate sind. Und doch bleibt zu befürchten, dass in ein paar Wochen wieder alles beim Alten ist. Die bürgerlichen Medien, PolitologInnen und Meinungsforschungsinstitute werden wie schon seit Jahrzehnten lauthals verkünden, dass die SVP den Zenit überschritten hätte und sich auf dem absteigenden Ast befände. Und dies alles während der totgesagte Blocher, der sich augenscheinlich bester Gesundheit erfreut, schon von 40 Prozent bei den nächsten Wahlen träumt.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 47/48 - 65. Jahrgang - 18. Dez. 2009, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2010