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VORWÄRTS/684: Der Tod von Joseph Chiakwa


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 37/38/2010 vom 9. Oktober 2010

Der Tod von Joseph Chiakwa


mic. Am 17. März wurde Joseph Ndukaku Chiakwa während der Vorbereitung für einen Sonderflug nach Nigeria durch brachiale Gewalt seitens der Züricher Kantonspolizisten getötet. Es war die dritte Person, welche innerhalb der letzten zehn Jahren bei der Ausschaffung in der Schweiz ums Leben kam.


Zwar stoppte das Bundesamt für Migration (BFM) unmittelbar danach Spezialflüge und sogenannte "Level 4 Ausschaffungen" vorübergehend, jedoch wurde das Versprechen, auf Zwangsausschaffungen so lange zu verzichten, bis abgeklärt wurde, ob ein Zusammenhang zwischen dem Tod von Joseph Ndukaku Chiakwa und den angewendeten Zwangsmitteln besteht, schon Wochen danach auf Druck der Kantone gebrochen. Längst rollt die Ausschaffungsmaschinerie wieder auf Hochtouren, auch wenn nicht immer mit dem erwünschten Erfolg. Zwar wird zukünftig auf Sonderflügen jeweils ein Arzt dabei sein, wie unter anderem auch von Amnesty International gefordert wurde, trotzdem wäre durch diese Massnahme keiner der drei öffentlich bekannten Todesfälle verhindert worden. Khaled Abuzarifa, Samsun Chukwu und Joseph Ndukaku Chiakwa starben alle drei nicht während des Fluges, sondern kamen bei der Vorbereitung und Fesselung für die Ausschaffung ums Leben. Zwar wurde als Reaktion auf den Tod bei der Ausschaffung am 1. Januar 2009 das sogenannte Zwangsanwendungsgesetz in Kraft gesetzt, trotzdem kam es zu einem weiteren Toten.


Hungerstreik und 33 Kilo Gewichtsverlust

Fest steht heute, dass der Verstorbene sich während rund zwei Monaten im Hungerstreik befand und in dieser Zeit von 93 auf 60 Kilogramm abmagert ist. Trotz dieses lebensbedrohlichen und massiven Gewichtsverlustes, klärten die zuständigen Behörden den Gesundheitszustand von Joseph Ndukaku Chiakwa nicht ab, sondern hielten kurzerhand an seiner Zwangsausschaffung fest. Ein totbringendes Versäumnis, wie wir heute wissen. Statt aber den tragischen Todesfall lückenlos aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, wird so getan wie wenn nichts gewesen wäre. Weiterhin wird vertuscht und alles daran gesetzt, die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen und falsche Informationen zu streuen. Trauriger Höhepunkt: Die Medienmitteilung der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, in dem suggeriert wird, dass die Todesursache geklärt und Joseph Ndukaku Chiakwa an einem praktisch nicht diagnostizierbaren und sehr seltenen Herzfehler verstorben sei. Dann kann man ja gleich jemand aus dem 22. Stock eines Hochhaus werfen und danach sagen: "Hey, der ist nicht beim Aufprall gestorben, sondern hatte zwischen der 8. und 7. Etage einen Herzinfarkt". So einfach machen es sich die Schweizer Behörden. Dem aber nicht genug. So kritisiert Viktor Györffy, Anwalt des verstorbenen Nigerianers, das Obduktionsgutachten des "Institut für Rechtsmedizin" (IRM) und dessen vermeintliche Unabhängigkeit in einer Medienmitteilung. Györffy liess das rechtsmedizinische Gutachten, welches durch Morten Keller, Ehemann der beinahe Bundesrätin Keller-Suter, erstellt wurde, durch unabhängige Experten prüfen. Diese gelangen zu einem anderen Befund und zum Schluss, dass die Diagnose Herzfehler alles andere als gesichert sei. Györffy kritisiert das Gutachten insgesamt als mangelhaft und fachlich nicht überzeugend, weshalb er ein neues rechtsmedizinisches Rechtsgutachten einfordert.

Kann es sein, dass in einem sogenannten Rechtsstaat wie der Schweiz, die Behörden sich gegenseitig decken und mittels Gefälligkeitsgutachten den Rücken stärken? Kann es sein, dass sich das international renommierte IRM angesichts der Tatsache, dass es vor allem für die Justiz des Kantons Zürich tätig ist, unter Druck setzen lässt? Falls dem so ist, wären dann prinzipiell nicht alle rechtsmedizinischen Gutachten zu Mord, Raub und Vergewaltigung, welche das IRM zuhanden der Zürcher Justizbehörden verfasst, nur noch bedingt "geniessbar"? Und es bleibt zu befürchten, dass die Behörden einmal mehr mit ihrer Taktik Erfolg haben werden. Alleine schon deswegen, weil der öffentliche Druck derzeit zu gering ist, um den Behörden das nötige Feuer unter dem Allerwertesten zu machen, damit sie einigermassen korrekt die Umstände, welche zum Tod des 29-jährigen Ausschaffungshäftlings führten, lückenlos aufklären.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 37/38/2010 - 66. Jahrgang - 9. Oktober 2010, S. 2
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2010