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VORWÄRTS/729: Es brodelt beim Pflegepersonal


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20/2011 vom 27. Mai 2011

Es brodelt beim Pflegepersonal

Von Siro Torresan


Die massiven Sparmassnahmen im Gesundheitswesen führen zu einem beunruhigenden Qualitätsverlust. Das Personal des Zürcher Unispitals wehrt sich gegen den Abbau von 220 Arbeitsplätzen. Die "Aktion Gsundi Gsundheitspolitik" hat ein Schwarzbuch veröffentlicht mit Berichten über die strukturelle Gewalt in den Spitälern. Der Widerstand des Personals formiert sich.


Gegen 200 Mitarbeitende des Universitätsspitals Zürich (USZ) nahmen am 17. und 18. Mai an den vom Aktionskomitee "Nein zum Stellenabbau im USZ" einberufenen Personalversammlungen teil. Die versammelten Mitarbeitenden machten deutlich, dass sie nicht bereit sind, die geplanten Entlassungen und den Stellenabbau stillschweigend hinzunehmen. Erste Protestmassnahmen wurden beschlossen.


Sofortige Verhandlungen gefordert

Rückblende: Am 26. Januar 2011 wurden die Mitarbeitenden des USZ darüber informiert, dass im Jahr 2011 beim Personal 18 Millionen Franken eingespart werden sollen. 130 bis 150 Vollzeitstellen sollen gestrichen werden. Davon sind über 220 Arbeitsplätze betroffen. Hintergrund des geplanten Stellenabbaus ist der Umstand, dass der Kanton Zürich das Budget 2011 des USZ um 48 Millionen reduziert hat. 18 Millionen davon will das USZ beim Personal einsparen.

"Viele Mitarbeitende des USZ wollen dies nicht länger akzeptieren und können dies gegenüber den Patientinnen und Patienten auch nicht länger verantworten", schreibt die Gewerkschaft VPOD dazu. Das Personal gründete das Komitee "Nein zum Stellenabbau im Universitätsspital Zürich", das vom VPOD und vom SBK unterstützt wird und man lancierte eine Petition unter dem Titel: "Ja zu qualitativ hoch stehenden Dienstleistungen für die Patientinnen und Patienten im Universitätsspital Zürich". In der Petition wurde der "Verzicht auf die angekündigten Entlassungen" sowie das "Verhindern eines Qualitätsabbaus für die Patientinnen und Patienten" gefordert. Weiter verlangt die Petition "volle Transparenz" und "Verhandlungen" über die gestellten Forderungen. Am 20. April überreichten rund 500 Mitarbeitende des Universitätsspitals der Spitaldirektorin Rita Ziegler die Petition mit 2.153 Unterschriften. Ein toller Erfolg. So schreibt auch die Gewerkschaft VPOD von "unmissverständlichen Signalen an die Spitalleitung" und fügt hinzu: "Das Personal ist nicht bereit, den angekündigten Abbau von über 220 Arbeitsplätzen widerstandslos hinzunehmen."

An der Personalversammlung mitte Mai hat das Personal des USZ nun eine Resolution verabschiedet. Darin wird die Personalleitung aufgerufen, "die Forderungen unserer Petition umzusetzen und unverzüglich Verhandlungen mit dem Komitee 'Nein zum Stellenabbau im USZ' aufzunehmen". Der Regierungs- und Kantonsrat wird aufgefordert, "nachträglich die nötigen Mittel für das Jahr 2011 zuzusprechen, damit ein Stellenabbau - und der dadurch drohende Qualitätsabbau bei unseren Dienstleistungen für die PatientInnen - vermieden werden kann." Man darf auf die Weiterentwicklung gespannt sein.


Immenser Arbeitsdruck

Bereits am 12. Mai hatten sich gegen 100 MitarbeiterInnen aus dem Zürcher Gesundheitswesen zu einer Protestversammlung im Volkshaus eingefunden. Sie folgten dem Aufruf der "Aktion Gsundi Gsundheitspolitik" (AGGP). Anlass war die Veröffentlichung eines Schwarzbuches mit dem Titel "Wir können dich zwingen" und dem Untertitel "Gesundheitspersonal: Zielscheibe struktureller Gewalt in Zürcher Spitälern". Es beinhaltet Berichte von Pflegenden aus den Zürcher Spitälern über den aufreibenden Spitalalltag und die Willkür bei den Lohneinreihungen der Lohnteilrevision des Kantons Zürich. Sie berichten darin von ihren prekären Arbeitsbedingungen und von struktureller Gewalt, hervorgerufen durch Sparmassnahmen und Qualitätsabbau. Im Vorwort des sehr lesenswerten Schwarzbuchs ist zu lesen: "Belastend für das Pflegepersonal ist das Betriebsleben mit seinen aufgezwungenen Vorgaben, der Sturheit einer nach mehr Flexibilität rufenden Hierarchie, die sich täglich wiederholenden kleinen Ungerechtigkeiten und die missachtende Indifferenz für berufliches Engagement."

Das Personal und die PatientInnen sind tagtäglich den Auswirkungen des immensen Arbeitsdrucks, der physischen und psychischen Belastung und ständiger Gefahr von Fehlhandlungen ausgesetzt. "In der Folge erkranken Pflegende zum Teil schwer und/oder steigen aus dem Beruf aus", schreibt die AGGP in ihrer Medienmitteilung. Die Attraktivität der Gesundheitsberufe leidet massiv. Ein künstlich veranstalteter Wettbewerb unter den Spitälern soll die Häuser in gewinnbringende Unternehmen verwandeln. "Es müssen grosse Anstrengungen geleistet werden, um eine Umkehr einzuleiten", hält die AGGP fest. Denn bis zum Jahr 2020, stellt das Bundesamt für Gesundheitswesen (BAG) fest, fehlen "25.000 bis 50.000 Fachleute im nicht-ärztlichen Gesundheitsbereich". Der grösste Teil dieses Personals wird in der Pflege fehlen. So stellte die Protestversammlung einen Forderungskatalog auf und beschloss, weitere Schritte zu prüfen.


REFERENDUM

Der VPOD Region Zürich hat das konstruktive Referendum beim Spitalplanungs- und -finanzierungsgesetz im Kanton Zürich ergriffen. Der VPOD will mit seinem Referendum sicherstellen, dass alle Spitäler und Kliniken auch bei Einführung der Fallkostenpauschalen mit ausreichendem und qualifiziertem Personal arbeiten. Das Referendum verlangt gleich lange Spiesse für sämtliche Spitäler im Kanton Zürich, die einen öffentlichen Leistungsauftrag haben.
Das Referendum des VPOD ermöglicht der Zürcher Bevölkerung zudem, auch über den Zukunfts- und Unterstützungsfonds abzustimmen. Der Fonds würde insbesondere das Kinderspital unterstützen, aber auch öffentliche Spitäler, die aus unvorhergesehenen Gründen in Bedrängnis geraten. Der Fonds würde aus Zusatzeinnahmen jener (Privat)Spitäler gespiesen, die (viele) überobligatorisch versicherte PatientInnen haben.

Infos zum Referendum: www.vpod-zh.ch


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20/2011 - 67. Jahrgang - 27. Mai 2011, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2011