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VORWÄRTS/739: Wenn Frau wollte, stünde alles still


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.23/24/2011 vom 24. Juni 2011

Wenn Frau wollte, stünde alles still

Von Johannes Supe


Am 14. Juni jährte sich der Frauenstreiktag zum 20. Mal. Die Gewerkschaften riefen zum Frauenstreik- und Aktionstag auf. Geht es im Schneckentempo der letzten 20 Jahren weiter, braucht es weitere 925 bis zur Gleichstellung. Uneingeschränkte Solidarität mit der Frauenbewegung: Ja! Aber nicht ohne Kritik. Eine Reportage aus Zürich.


Frauen am Frauenstreiktag. Was sagen sie, was motiviert sie? Antworten dazu: "Ich bin da, um ein Zeichen zu setzen." "Da geht es ja um die Einstellung. Ich bin ja eine Frau und heute hier, weil ich denke, dass es nötig ist." "Ich bin von der Unia hier, ich war auch schon vor zwanzig Jahren dabei." "Es braucht einfach mehr Frauen. Für alles." "Für die Gleichstellung, gleiche Rechte, gleiche Löhne bin ich hier. Und eine Demo für eine richtige Sache ist immer gut." Der 14. Juni, er versammelte in Zürich 3.000 Menschen, überwiegend Frauen, überwiegend fröhliche, engagierte Frauen.


Die Lila Lounge

Frauenstreiktag in Zürich, das bedeutete erst mal Lila Lounge auf dem Kanzleiareal. Ab 11 Uhr bauten AktivistInnen diverse Stände auf. Sie bauten sie auf, um dem Ansturm der Frauen, die man zu Streikpausen aufgerufen hatte, zu entgegnen. Aber der blieb leider aus. Während des ganzen Vor- und Nachmittages waren selten mehr als einhundert Frauen anwesend. Am Rande folgender Wortwechsel: "Es sind ja schon wenig Leute hier." - "Und weisst du auch wieso: Weil die meisten vermutlich arbeiten!" Das passt, nur nicht zum Frauenstreiktag. Den Anwesenden allerdings bot man eine ganze Menge: Neben veganer Verköstigung gab es einen Workshop zum Thema geschlechtergerechter Sprache, organisiert und geleitet von einer Delegation der Uni Zürich. Man konnte seine Wünsche bezüglich der Gleichstellung aufschreiben und gut sichtbar an einem Baum "veröffentlichen" oder die endlose Liste der Informationen zur Ungleichstellung der Frau durcharbeiten. Um 14.06 Uhr - eine Anspielung auf das Datum - fand dann das nationale Trillerpfeifenkonzert statt. Die Idee: Die Frauen im ganzen Land lassen ihrem Frust freien Lauf, nutzen die Minute um einen Krach zu machen, der nicht überhört werden kann. Ein Kommentar des VPOD: "Das sind Pfeifen vom VPOD, die sind extra nicht so laut, wir wollen ja keinen Hörsturz verursachen". Will heissen: Krach machen, nur ohne wirklich Krach zu machen. Hörbar war das trotzdem und wurde wie folgt zusammengefasst: "Das ist nötig gewesen. Und wir wissen, dass Tausende mit uns gepfiffen haben." Tausende?


Reden

Frauen verschiedener Organisationen oder Berufsgruppen sprachen vor dem Publikum der Lila Lounge. Gerichtsdolmetscherinnen sprachen über ihre Lage ebenso, wie Studentinnen oder Kindergärtnerinnen. Die Dinge: allesamt erschreckend. "Bei dem jetzigen Tempo dauert es noch 925 Jahre, bis wir wirklich gleichgestellt sind!" "Die Qualität der Kinderbetreuung kann nur gewährleistet werden, wenn sie planbar ist. Der Flexibilisierung der Arbeitszeiten muss eine klare Grenze gesetzt werden." "80 Prozent der Pflegebedürftigen werden von Angehörigen, vor allem Frauen betreut." Eine besondere Aufmerksamkeit verdient Ruth Genner, allein, weil sie Stadträtin ist, weil sie wirklich Einfluss nehmen könnte. Von ihr kommt die denkwürdige Aussage: "Der grösste Nachholbedarf besteht bei der Privatwirtschaft. Viele Dinge können nicht vom Staat umgesetzt werden." Interessant, bedeutet das doch, dass eine Privatwirtschaft ohne staatliche Steuerung in die Irre läuft. So wollte Frau Genner das aber nicht verstanden wissen: "Wir können es ihnen ja nicht vorschreiben. Wir können nur Gesetze machen und um die winden sie sich dann mit den Stellenbeschreibungen herum". Also doch besser keine Planwirtschaft. "Natürlich ist es zu bedauern, dass wir die Gleichstellung nicht so umsetzen können, wie wir wollen. Aber das liegt ja daran, dass wir in den Kadern so wenig Frauen haben". Und wie will sie "Frauenkader" hervorbringen, wenn die Politik ja keinen Einfluss auf die Wirtschaft ausüben kann oder soll? Ein Rätsel.


Wie vor 20 Jahren?

Die Demonstration durch Zürich ging vom Bürkli- zum Helvetiaplatz. Es war eine Demonstration, die man so selten gesehen hat: Frauen in rosa und lila, Ballons gleicher Farbe, von beidem um die dreitausend, bestimmten Zürichs Strassen. Friedlich, fröhlich, einheitlich und laut skandierte man für eine echte Gleichstellung, für die Angleichung der Löhne, überhaupt für Mindestlöhne und weniger unbezahlte Frauenarbeit im Haus und mit den Kindern. Am Ende, am Helvetiaplatz angekommen, sorgte man für ein symbolträchtiges Bild: Hunderte und Aberhunderte von Ballons, die in den Himmel über Zürich entlassen wurden. Und dennoch, zwei Fragen gab es, deren Antworten unbefriedigend waren: Die erste war die, ob frau denn wirklich gestreikt, zumindest aber Streikpause gemacht habe. Die Antworten: "Also, Streikpause nein. Aber wir haben ja sowieso am Morgen und am Nachmittag Pause." "Ich kann nicht streiken, sonst bin ich raus." "Ich arbeite gar nicht, ich bin ja Studentin." "Nein, gestreikt habe ich nicht. Aber dafür bin ich extra nach Zürich gekommen." Und so weiter und so fort. Ein Frauenstreiktag, nur ohne Streik. Die zweite Frage an die Frauen, die vor 20 Jahren dabei waren: War dieser 14. Juni mit dem von vor 20 Jahren vergleichbar? Die Antworten: "Das war eine andere Bewegung, viel mehr Frauen." "Das vor 20 Jahren war ein Ausnahmezustand, ein Fest. Das heute ist eher wie eine Demo für mich, wie andere Demos auch." "Vor 20 Jahren war das viel mehr Party. Ganz Zürich hat gefeiert. Heute sehe ich viele Frauen im Tram und denke, denen geht das am Arsch vorbei."


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 23/24/2011 - 67. Jahrgang - 24. Juni 2011, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2011