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VORWÄRTS/776: "Wir bauen die Schweiz!"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.43/44 vom 2. Dezember 2011

"Wir bauen die Schweiz!"

von Johannes Supe


Am 25. November gingen mehr als 7.000 Bauarbeiter auf die Strasse. 4.000 in Genf, 2.000 in Lausanne, 800 in Zürich und 300 in Bern legten ihre Arbeit nieder und schlossen sich dem "Protesttag" an, denn die Verhandlungen um einen neuen Landesmantelvertrag (LMV) mit dem Schweizerischen Baumeisterverband (SBV) sind gescheitert. Es droht der vertragslose Zustand für 100.000 Bauarbeiter.


Unia und Syna organisierten am 25. November einen Protesttag der Bauarbeiter. Die beiden Gewerkschaften, die ansonsten eher in Konkurrenz denn Solidarität zueinander stehen, kämpfen gemeinsam um den LMV. Verständlich, denn die Baubranche ist traditionell eine der Kernbranchen beider Gewerkschaften. Ihre strategische Bedeutung ist in diesem Fall grösser als die Differenzen, die man miteinander hat. Und sowohl Unia wie auch Syna sprechen vom "grossen Erfolg" des Protesttages. Dass es gelungen sei, 7.000 Arbeiter zu mobilisieren, habe auch sie "überrascht". Die Arbeiter legten ihre Arbeit nieder und demonstrierten in Bern, Lausanne, Genf und Zürich. Da Baustellen mittlerweile häufig von weniger als zehn Arbeitern bearbeitet werden, geht man davon aus, dass um die 1.000 Baustellen von Arbeitsniederlegungen ganz oder teilweise betroffen wurden.


Repression der Baumeister

7.000 Protestierende sind eine Masse, denn gegen den Kampfwillen der Bauarbeiter steht die entschiedene Repression der Baumeister. Am 25. November zeigte sie sich in vielen Formen. Harmlos aber hinterhältig ist es, wenn viele Baumeister das Weihnachtsessen bewusst auf den 25. November legten, im Kalkül, dass die Arbeiter lieber feiern als streiken. Erpresserisch wirkt es, wenn dem Arbeiter gedroht wird: "Wenn du heute gehst, musst du am Montag gar nicht mehr wiederkommen." Feige mutet es an, wenn man Securitas-Leute holt, um die Baustelle abzuriegeln, damit auch ja niemand das Areal verlässt. Und schliesslich ist es offen illegal, wenn der Baumeister - auch das geschah am 25. November - versucht, seine Arbeiter in der Baracke einzusperren. In ihren Taten diffamieren sich die Baumeister selbst. Dass der Baumeisterverband die Gewerkschaften verklagen will und dass das noch am morgen des gleichen Tages, vor der ersten Aktion, bekannt war, darf gleichwohl als Form der Repression gewertet werden. Hier allerdings nicht mehr gegen den Einzelnen, sondern als Repression gegen das Allgemeine, die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft.

Aber wer Angst benutzt, der hat sie meist selbst. Und tatsächlich wichen die Baumeister überall da zurück, wo sich die Arbeiter erhoben. Als die Grossbaustelle in Wallisellen besetzt und zum grossen Versammlungsort umfunktioniert wurde, da wagten die Baumeister keinen Widerstand, da schlossen sie die Baustelle kurzerhand. Als 1000 Bauarbeiter vor dem Gebäude des SBV in Zürich standen, da traute sich kein Baumeister aus dem Haus. Es sind leichte Ansätze, aber sie zeigen, dass die Baumeister einer organisierten Arbeitermacht wenig entgegenzusetzen haben.


Wütende Arbeiter

Und wütend sind sie, die Bauarbeiter. In Zürich zeigte sich das, als mit dem Geschrei und Jubel von Tausend Arbeitern eine LKW-Ladung voller Eis vor der SBV-Zentrale ausgeleert wurde. Der Mann, der den LKW fuhr, war der Held der aufgebrachten Masse. Aufgebracht, kämpferisch, zu mehr Taten bereit. So zumindest die Stimmung in Zürich - und die Vermutung liegt nahe, dass dem die Genfer und Lausanner und Berner Arbeitsgenossen wenig nachstehen.

Ganz im Gegenteil zur Gewerkschaftsleitung. Hansueli Scheidegger von der Unia und Ernst Zülle von der Syna sind Verhandlungsleiter der Gewerkschaften und leiteten die Medienkonferenz am gleichen Tag. Wir erlauben es uns, ihre Aussagen denen der marschierenden Arbeiterschaft entgegenzustellen. Gewerkschaftsleitung: "Wir glauben immer noch daran, dass mit Respekt und Fairness eine gemeinsame Lösung [mit dem SBV] möglich ist." Arbeiter: "Sie zeigen nur dann Respekt, wenn wir ihn erkämpfen! Wir werden also auch in Zukunft kämpfen, die Arbeit niederlegen." Gewerkschaftsleitung: "Wenn keine Einigung Zustande kommt, wären wir gezwungen Kampfmassnahmen, wie man das von ganz früher kennt, durchzuführen. Aber das wäre der falsche Weg. Es braucht jetzt die Vernunft des SBV." Arbeiter: "Wir kehren erst dann an den Verhandlungstisch zurück, wenn die uns mit mehr Respekt behandeln. Erst dann sind wir bereit, mit ihnen zu reden. (...) Und im Januar, ohne LMV, werden wir streiken!"

Der Ton der Gewerkschaftsleitung ist versöhnlich; die Stimmung der Arbeiter, zumindest jenes aktiven Teils auf der Strasse, kämpferisch. Die Gewerkschaften setzen auf den Druck, um Verhandlungen zu erzwingen. Die Wut der Arbeiter könnte aber in einen eigenständigen Kampf umschlagen. Darauf angesprochen sagt Scheidegger: "Das ist etwas Gemeinsames. Ich würde hier nicht von oben und unten [in der Gewerkschaft] sprechen." Wir geben zu bedenken: "Nicht aufs Wort glauben, aufs strengste prüfen."


Weiterkämpfen!

Klar ist, dass weitergekämpft werden muss. Der Protesttag - das Wort "Streik" will zumindest die Gewerkschaftsleitung noch nicht in den Mund nehmen - lässt in dieser Hinsicht auf Gutes hoffen. Zumal sich im Kampf um den LMV die Ansätze einer Fragestellung zeigten, die weit über den eigentlichen Lohnkampf hinausgehen. Wer die Strassen baut und wer sie besitzt, für wen der Wert, den die Arbeit schafft, bestimmt ist - das wurde in Ansätzen, und musikalisch von der Internationalen unterlegt, angegriffen. In den Worten eines Bauarbeiters: "Sie wollen die Arbeiter die heute auf die Strasse gehen, morgen durch billige Arbeitskräfte ersetzen. Aber wir bauen die Schweiz und werden sie bauen. Wir bauen die Tunnel, die Strassen! Das müssen die Baumeister begreifen und endlich mehr Respekt zeigen. Die Arbeiter werden für ihre Rechte auf die Strasse gehen. Seit zwei Jahren haben wir nicht mehr Lohn bekommen. Jeder Banker und Versicherer hat mehr gekriegt, nur die Bauarbeiter nicht. Wir müssen ihnen zeigen, wie ernst wir es meinen, wie wütend wir sind. Wir streiken."


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 43/44/2011 - 67. Jahrgang - 02. Dezember 2011, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2011