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VORWÄRTS/789: Bedingungsloses Grundeinkommen - Grundsätzliche Kategorien


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.01/02 vom 13. Januar 2012

Bedingungsloses Grundeinkommen: Grundsätzliche Kategorien

Von Johannes Supe


Eine "neue" Debatte kommt auf, sie drängt ins Herz der Gesellschaft: Kann und soll ein "bedingungsloses Grundeinkommen" (bGE) den bisherigen Sozialstaat ablösen? Noch wird der Kampf in Hinterzimmern und linken wie bourgeoisen Theorieblättern geführt, aber schon beim Sammeln für die Mindestlohninitiative wurde man das ein oder andere Mai in ein Gespräch um ein bGE verwickelt. Grund genug, sich dem Thema zu widmen.


Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf.
(Theodor Fontane)

Die Frage um das bedingungslose Grundeinkommen ist die Frage nach dem Sozialstaat; das bGE tritt an, nicht um den Sozialstaat zu ergänzen, sondern um ihn zu ersetzen. BGE und Sozialstaat, das sind zwei getrennte Konzepte. Auf der einen Seite der bisherige, traditionelle Sozialstaat, hervorgegangen aus langen Kämpfen der Arbeiterklasse und erzwungenen Zugeständnissen der Bourgeoisie. Hinter ihm steht das Konzept der "bedarfsabhängigen Grundsicherung"; wer bedürftig ist, wer keine Arbeit findet, dem zahlt der Staat - so er seine Notlage nachweisen kann - das Nötigste für seine Existenz. In den Worten von Michael R. Krätke, Professor für Politische Ökonomie, garantiert der Sozialstaat durch Renten, Sozialleistungen et cetera bereits ein Recht auf ein "bedingtes Grundeinkommen" ("Leben und Arbeiten, Brot und Spiele", Widerspruch 52). Die Bedingungen sind die wirkliche Bedürftigkeit des oder der Bezügers/Bezügerin und deren/dessen Willen, sich am bestehenden Arbeitsmarkt zu beteiligen.

Das bedingungslose Grundeinkommen tritt an, dieses System herauszufordern, zu überwinden und (fast) restlos aufzuheben. Das "Netzwerk Grundeinkommen" aus Deutschland fasst die Idee des bGE so zusammen: "Das Grundeinkommen stellt eine Form von Mindesteinkommenssicherung dar, die sich von den zurzeit in fast allen Industrienationen existierenden Systemen der Grundsicherung wesentlich unterscheidet. Das Grundeinkommen wird erstens an Individuen anstelle von Haushalten gezahlt, zweitens steht es jedem Individuum unabhängig von sonstigen Einkommen zu, und drittens wird es gezahlt, ohne dass Arbeitsleistungen oder Arbeitsbereitschaft verlangt wird." (www.grundeinkommen.de/die-idee)

Daraus lassen sich vier Bedingungen an ein Grundeinkommen ableiten:

Erstens: Seine Höhe ist angemessen, um Existenz und Teilhabe des Individuums an und in der Gesellschaft zu ermöglichen.

Zweitens: Das Grundeinkommen wird an ausnahmslos jedes Individuum der Gesellschaft ohne vorherige Prüfung der Bedürftigkeit gezahlt.

Drittens: Das Grundeinkommen wird ohne Anspruch auf Gegenleistung gezahlt; die Bereitschaft am Arbeitsmarkt teilzunehmen wird nicht verlangt.

Viertens: Das Grundeinkommen richtet sich nicht an Haushalte oder "Bedarfsgemeinschaften", sondern ist ein Anspruch jedes Individuums.

Die Logik des bisherigen Sozialstaates wird damit ausser Kraft gesetzt. Und wie die Logik des Sozialstaates zerbricht, so zerbricht auch der Sozialstaat selbst. Das bGE ersetzt die Leistungen des Sozialstaates, nur in Ausnahmen gibt es noch Ansprüche der Bedürftigkeit an den Staat. Die Frage lautet also: Entweder Sozialstaat ODER bedingungsloses Grundeinkommen.


"Echtes" und "unechtes" bGE

Die Idee des bGE ist kein Monolith. Es gibt nicht eine Form des bGE, sondern viele; es gibt nicht eine Richtung, die das bGE propagiert, sondern mehrere.

Eine erste Unterscheidung tritt bereits in der Form des bGE auf. Es konkurrieren miteinander zwei Konzepte. Das Direkte ist die "Sozialdividende. Hierbei wird das bGE in seiner Höhe schlichtweg an jedes Mitglied der Gesellschaft ausgezahlt. Soziale Stellung, Einkommen und Bedürftigkeit spielen keine Rolle, nur das Alter wird noch zur Einteilung herangezogen (praktisch alle Modelle des bGE Stufen dessen Höhe für Kinder und Jugendliche herab). Anspruch und Höhe des ausgezahlten bGE sind ohne Bedingung, man spricht auch von einem "echtem" bedingungslosen Grundeinkommen.

Andererseits taucht auch die Idee der "negativen Einkommenssteuer" im Kontext des bGE auf. Die negative Einkommenssteuer ist eine Steuer, die vom Staat an das Individuum gezahlt wird. Allerdings wird die negative Einkommenssteuer mit dem Steueraufkommen, dass das Individuum zu leisten hat, verrechnet. So ist zwar der Anspruch des Individuums auf das bGE bedingungslos, die reale Höhe des ausgezahlten Geldes ist hingegen an Bedingungen geknüpft: Geld erhält nur, wer weniger Steuern zahlen muss als die Höhe der negativen Einkommenssteuer beträgt. Wir haben es mit einem "unechten" Grundeinkommen zu tun.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 01/02/2012 - 68. Jahrgang - 13. Januar 2012, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2012