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VORWÄRTS/800: Recht ohne Grenzen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.05/06 vom 10. Februar 2012

Recht ohne Grenzen

Von Siro Torresan


Klare Regeln für Schweizer Konzerne - weltweit! Dies fordern rund 50 Organisationen mit der Kampagne "Recht ohne Grenzen" und einer Petition. Bundesrat und Parlament sollen dafür sorgen, dass Firmen mit Sitz in der Schweiz weltweit Menschenrechte und Umwelt respektieren müssen. Wie dringend notwendig dies ist, zeigen sechs Beispiele.


Immer wieder kommen Schweizer Konzerne mit Menschenrechten und Umweltstandards in Konflikt. Zwar haben sich viele Firmen interne Bestimmungen zur sozialen und ökologischen Unternehmensverantwortung zugelegt. Aber diese Vereinbarungen sind freiwillig, oft fehlt eine unabhängige Instanz, welche die Einhaltung überprüft, und Verstösse werden nicht geahndet und können von den Betroffenen nicht eingeklagt werden.


Eine kleine, weltweite "Tour de Suisse"

"Trafigura" hat ihren operativen Hauptsitz in Genf und Luzern und handelt mit Rohstoffen aller Art. Ihr Umsatz belief sich im 2010 auf 79,2 Milliarden US-Dollar und der Gewinn auf 690 Millionen. Der Multi trägt die Verantwortung für eine Umweltkatastrophe in der Elfenbeinküste: Erst am Morgen des 20. August 2006 konnte die Bevölkerung von Abidjan das volle Ausmass der nächtlichen Katastrophe wahrnehmen. In der Nacht war an mindestens 18 verschiedenen Stellen Giftmüll abgeladen worden, der die ganze Stadt in einen grässlichen Gestank hüllte. Zehntausende von Menschen, die unter ähnlichen Symptomen litten, suchten medizinische Zentren in der ganzen Stadt auf. Die Menschen litten unter Übelkeit, Brechreiz, Kopfschmerzen, Unterleibsschmerzen, Reizungen der Haut und der Augen sowie einer Reihe von Ohren-, Nasen-, Rachen-, Lungen- und Magenproblemen. Der in Abidjan entsorgte Müll stammte vom Ölhandelskonzern "Trafigura". Mit dem Frachter "Probo Koala", den die Firma gechartert hatte, wurde der Giftmüll zur Elfenbeinküste transportiert.

Die "Axpo" ist in Besitz von neun Kantonen und Fussballfans hierzulande als Hauptsponsor der höchsten Fussballiga bestens bekannt. Im 2010 verbuchte der Energiekonzern 6.29 Milliarden und einen Gewinn von 409 Millionen Franken. Das Unternehmen mit Sitz in Baden (AG) lässt in Russland atomaren Brennstoff für ihre AKW aufbereiten. Dass Teile der Brennelemente aus den stark radioaktiv verseuchten Fabriken in Majak und Seversk stammen, hat die Axpo jahrelang verschleiert. Die erhöhte Krebsrate bei der Bevölkerung und die radioaktive Verseuchung weiter Landstriche hindern den Stromkonzern nicht daran, neue Lieferverträge abzuschliessen.

Der Basler Pharmagigant "Roche" verbuchte 2010 einen Gewinn von knapp neun Milliarden bei einem Umsatz von 47.5 Milliarden Franken. Das Unternehmen führt in China Studien an Patienten durch, die ein neues Organ erhalten haben. Der Konzern testet ein Medikament, das die Abstossung der transplantierten Organe verhindern soll. In China bestehen kulturell bedingte Vorbehalte gegen die Organspende. Ein Grossteil der transplantierten Organe stammt von hingerichteten Gefangenen. Über die Herkunft der Organe kann der Pharmakonzern keine Angaben machen. Trotz Protesten lässt Roche die Studien zu Ende führen.

In Baar (ZG) sitzt die "Glancore". Ihr Umsatz betrug im 2010 145 Milliarden Franken und sie schrieb einen Gewinn von über sechs Milliarden Franken. Bekanntlich handelt der Weltkonzern mit Rohstoffen und baut in der Demokratischen Republik Kongo Rohstoffe ab. In der Bergbauregion Katanga werden immer wieder Menschenrechte missachtet. Die schwerwiegendsten Probleme betreffen Wasserverschmutzungen und die Arbeitsbedingungen in den Minen von Glencore-Tochterfirmen, die auch negative Auswirkungen auf die Gemeinden in der Umgebung der Minen haben sowie die prekären Verhältnisse beim handwerklichen Bergbau in den "Mines artisanales".

Auch im Zuger Steuerparadies Baar ist die "Danzer Group" zu Hause und rund um den Globus in der Branche "Forstwirtschaft" tätig. Danzer baut seit 1993 über ihre Tochtergesellschaft "Siforco" im Gebiet von Bumba (Équateur Province) der Demokratischen Republik Kongo Holz ab. Der Konzern verpflichtete sich 2005 in einer Vereinbarung, die Menschen vor Ort für die Nutzung ihrer Wälder zu entschädigen. Konkret versprach Danzer in Yalisika den Bau einer Schule und eines medizinischen Zentrums. Das Versprechen wurde nie eingelöst, was zu Protesten der Bevölkerung führte. Im Mai 2011 kam es zu schweren Menschenrechtsverletzungen, nachdem Danzer die Sicherheitskräfte rief.

"Triumph International" ist in der Textilindustrie tätig. Der Hauptsitzt befindet sich in Bad Zurzach (AG) und schrieb im 2009 einen Umsatz von 2.25 Milliarden. "Triumph" entliess 2009 in Thailand und den Philippinen über 3600 Arbeiterinnen ohne vorherige Gewerkschaftskonsultation. Ein Vorgehen, das den Empfehlungen der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen entgegenläuft. Die Gewerkschafterinnen legten daraufhin beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das den "Schweizer Kontaktpunkt" (NKP) für die OECD-Leitsätze betreut, Beschwerde ein. Doch das Seco liess jegliches Engagement vermissen und stellte das Verfahren 2011 ergebnislos ein, ohne dass jemals ein Mediationstreffen stattgefunden hatte.


Zeit, es zu ändern!

Die Kampagne "Recht ohne Grenzen" fordert von Bundesrat und Parlament gesetzliche Bestimmungen, damit "Firmen mit Sitz in der Schweiz weltweit die Menschenrechte und die Umwelt respektieren müssen und damit Opfer von Menschenrechts- und Umweltverstössen durch solche Firmen, ihre Niederlassungen und Zulieferer in der Schweiz auf Wiedergutmachung klagen können", ist auf der sehr informativen Webseite der Kampagne zu lesen. Konkret geht es um die juristische Trennung zwischen Mutterkonzern und Tochterunternehmen (corporate veil), wie sie das aktuelle Schweizer Recht kennt, aufzuheben. Mutterkonzerne sollen gegenüber ihren Tochterunternehmen, Joint-Ventures und Zulieferfirmen eine Sorgfaltspflicht wahrnehmen müssen, um sicherzustellen, dass diese die Menschenrechte und Umweltstandards einhalten. Schliesslich müssen Geschädigte die Möglichkeit erhalten, in der Schweiz eine Wiedergutmachung einzufordern - die heute bestehenden Hindernisse in der Zivil- und Strafprozessordnung sind zu beseitigen. "Als Standort von sehr vielen international tätigen Unternehmen kommt der Schweiz eine besondere Verantwortung zu", hält die Kampagne fest, denn: "Pro Kopf der Bevölkerung hat sie weltweit die höchste Dichte an solchen Konzernen". Dank tiefen Steuern und anderen Vorteilen bleibt sie nicht nur für alteingesessene Firmen interessant, sie zieht auch immer mehr dubiose Zuzüger an, etwa aus dem Rohstoff- oder Sicherheitsbereich. Bisher hat sich die Schweiz gegen rechtlich verbindliche Richtlinien für Multis ausgesprochen - höchste Zeit, dass sie dies ändert!

Unterschreibt die Online-Petition unter
www.rechtohnegrenzen.ch.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06/2012 - 68. Jahrgang - 10. Februar 2012, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch

vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2012