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VORWÄRTS/828: Buchbesprechung - "Krise und Scheitern des Kapitalismus" von Paul Mattick


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 21/22 vom 25. Mai 2012

Das Buch zur Krise

von Thomas Schwendener



Paul Mattick Juniors im Sommer 2010 in den USA veröffentlichtes Buch "Business as Usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus" ist nun kürzlich beim Verlag "Nautilus" auf Deutsch erschienen. Der Sohn des Rätekommunisten Paul Mattick legt damit eine relativ einfach verständliche und mit vielen Daten und Zitaten unterlegte Erklärung der Prozesse der aktuellen Krise vor.


Mattick räumt mit dem weit verbreiteten Missverständnis auf, dass die Krise ihren Ursprung in der hochspekulativen Finanzwelt habe und dann quasi die gesunde "Realwirtschaft" mit sich gerissen habe. Er weist im Gegenteil nach, dass die Wurzeln der Krise in den strukturellen Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals seit den 70er Jahren zu suchen sind, die erst einen aufgeblähten Finanzsektor nach sich gezogen haben. Die massive Überschuldung der Staaten, die aktuell gerade wieder für hitzige Diskussionen sorgt, hat ihren Ursprung noch früher: Das ganze "goldene Zeitalter" nach dem Zweiten Weltkrieg hätte es ohne die enormen staatlichen Eingriffe nicht gegeben und auch mit dem so genannten neoliberalen Angriff wurde die Staatsquote nicht wesentlich reduziert. Sie wuchs in jenem Zeitraum in den westlichen Staaten sogar weiter, vor dem Hintergrund eines Regulationsversuchs der strukturellen Krise. Und so ist das, was wir heute erleben "ein weiterer Ausdruck jener Depression, die sich Mitte der 1970er Jahre in dramatischer Weise ankündigte, aber durch staatliche Wirtschaftspolitik seit über dreissig Jahren in Schach gehalten werden konnte" (S. 82). Seit über dreissig Jahren werden Probleme des Kapitalismus, die letztlich nur durch massive Entwertungsprozesse und entsprechende soziale Verwerfungen temporär gelöst werden könnten, aufgeschoben.


Die Pausenclowns des Kapitals

Das Buch erklärt nicht nur die Krise und ihren Ursprung anschaulich, es stellt auch die rat- und rastlosen Nobelpreisträger, Wirtschaftsweisen und PolitikerInnen bloss, die über die Krise nur ideologischen Nonsens zu erzählen wissen. Es werden die widerstreitenden historischen wie aktuellen Positionen innerhalb der Wirtschaftstheorie und die entsprechenden politischen Auseinandersetzungen dargestellt und kritisiert. Dabei wird augenscheinlich, dass die so genannten ExpertInnen die Krise nur aus externen Faktoren zu erklären wissen oder in historisch unhaltbaren Keynesianismus oder Marktfetischismus fliehen. Zudem sind sie geradezu unheimlich geschichtsvergessen: Sonst hätte ihnen auffallen müssen, dass "Depressionen, je nach Datierung durch unterschiedliche Institutionen, ein Drittel oder die Hälfte des Kapitalismus von den 1800er Jahren bis in die späten 1930er Jahre" (S. 33) ausmachten.

Im Buch werden allgemeine Missverständnisse über die Funktionsweise des Kapitalismus und seine inhärenten Krisen ausgeräumt. Wo es bürgerlichen TheoretikerInnen meist um Güterallokation und die Produktion von Gebrauchsgegenständen geht, weiss Mattick mit Marx, das einzig und allein der Profit Antrieb der kapitalistischen Ökonomie ist. Und wo die Profitrate zu tief ist, da investiert das Kapital nicht mehr: Kapital liegt brach oder flieht in die Spekulation, ArbeiterInnen werden massenhaft in die Arbeitslosigkeit geschickt und der Wirtschaftsprozess gerät über kurz oder lang ins Stocken.


Ohne marxistische Terminologie

Was Mattick versucht, ist die Krise aus einer marxistischen Perspektive zu erklären, ohne auf das marxistische Vokabular zurückzugreifen und ohne Vorwissen vorauszusetzen. Das ist ein überaus schwieriges Unterfangen, gerade wenn man bedenkt, dass das Buch nur gerade etwas über 150 Seiten dünn ist. Der Autor beweist einiges Geschick darin, komplexe Sachverhalte einfach darzustellen. Und das braucht er auch, denn das Buch ist nicht weniger als eine Analyse der Krise und eine partielle Einführung in die marxsche Kritik der politischen Ökonomie.

An einigen Stellen hätten weitere Ausführungen für EinsteigerInnen gut getan. So schreibt Mattick zum Beispiel im dritten Kapitel: "Der Profit ist ein Teil der gesamten produktiven Arbeit der Gesellschaft, wie sie durch den abstrakten Symbolismus des Geldes dargestellt wird. Da er lediglich die verbleibende Summe ist, nachdem der Tausch sämtlicher Güter gegen Geld wieder die benötigten Mittel für Produktionsgüter und Arbeitskraft hervorgebracht hat, wird er vom gesellschaftlichen System produziert, auch wenn einzelne Unternehmen ihn erhalten" (S. 57). Der Autor fasst in diese zwei Sätze nicht nur Wert, Mehrwert und abstrakte Arbeit, er versucht gleichzeitig zu erklären, wie eben der Mehrwert - aus dem der Profit sich letztlich ableitet - eine gesellschaftliche Grösse ist, die vermittelt über die Durchschnittsprofitrate mit Abweichungen an die einzelnen Unternehmen verteilt wird. Das ist alles richtig. Bloss ist das für Leute, die in der Kritik der politischen Ökonomie nicht geschult sind, schwierig zu verstehen und der Autor bleibt, bei der Kürze des Buches verständlich, auf der Ebene der Behauptungen stehen. Glücklicherweise weist der Autor an manchen Stellen durch Fussnoten seine Gedanken als marxistische Theorie aus und ermöglicht es Interessierten so, an den entsprechenden Stellen weiterzulesen.


Perspektiven der Menschheit

Es sind nur die wenigsten Kapitel so abstrakt. Über lange Strecken erklärt der Autor einleuchtend und anschaulich die Krisenprozesse und ihre ideologische Begleitmusik. Allerdings sollte man die theoretischen Ausführungen halbwegs verstanden haben, um dem Gang der Erklärung ganz folgen zu können. Es ist schwierig nachvollziehbar, warum staatliche Finanzspritzen die Wirtschaft nicht wieder in Gang bringen werden, wenn man den inneren Zusammenhang von Mehrwert und Profit nicht verstanden hat. Die staatlich finanzierte Produktion erzeugt eben keinen Mehrwert und ist bloss Abzug von den Profiten der übrigen Unternehmen. Dazu kommt, dass staatlich "mehr und mehr Profit kapitalistischen Zwecken entzogen [wird], um die Hungernden zu ernähren, die Aufsässigen zu befrieden und die Folgen der selbst in den entwickelten Ländern ungenügenden Akkumulation zu verwalten" (S. 113)

Im letzten Kapitel, in dem Mattick grundsätzliche Überlegungen zur Zukunft der Menschheit anstellt, wird augenscheinlich, dass er nicht wie ein Schmetterlingssammler auf die Welt schaut, sondern ein reelles Interesse an der Umwälzung der Verhältnisse hat. Man muss nicht alle Überlegungen teilen, aber sie runden als Input die fundierte Analyse des Buches ab.


BUSINESS AS USUAL. KRISE UND SCHEITERN DES KAPITALISMUS. PAUL MATTICK. HAMBURG 2012. CA. 17 FRANKEN.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22/2012 - 68. Jahrgang - 25. Mai 2012, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2012