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VORWÄRTS/870: "CLASSE" - Eine feministische, basisdemokratische Organisation


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.41/42 vom 9. November 2012

"CLASSE": Eine feministische, basisdemokratische Organisation

Von Maurizio Coppola



Der im Frühling ausgebrochene Studierendenstreik und die soziale Bewegung in Québec basieren grösstenteils auf der Organisationsfähigkeit ihres radikalsten Flügels, der "CLASSE". Die Koalition vereinigt 67 SchülerInnen- und Studierendenorganisationen. Die Strasse und der Generalstreik sind ihre Orte der sozialen Auseinandersetzung.


"Nous somme avenir. Ensemble construisons à nouveau" - Wir sind die Zukunft. Zusammen für den Neuaufbau. Dies ist der Kampfslogan der "CLASSE". "CLASSE" steht für "Coalition large de l'Association pour une solidarité syndicale étudiante" (breite Koalition der Vereinigung für eine gewerkschaftliche Studierendensolidarität). Ihre Organisationsstrukturen weisen Ansätze eines Neuaufbaus einer kämpferischen Studierendenorganisation sowie einer ganzen Gesellschaft auf.

Die grundsätzlichen Prinzipien von "CLASSE" sind das Recht auf öffentliche, qualitativ gute, laizistische, kostenlose und nicht-diskriminierende Bildung. Gleichzeitig steht sie für einen kämpferischen, gewerkschaftlichen Aufbau von Jugendlichen im Allgemeinen.

Studierende in Québec sehen sich heute mit existenziellen, finanziellen Problemen konfrontiert: Um einen Bachelor-Abschluss zu erlangen, verschulden sie sich im Durchschnitt mit 15.000 kanadischen Dollar (rund 14.000 Franken). Für einen Master liegt die Verschuldung bei 40.000 Dollar (37.500 Franken). Dass diese Realität auf einer politischen Entscheidung basiert, zeigt "CLASSE" in ihrem Informationsmaterial: Die liberale Regierung versprach im Jahr 2007 950 Millionen Dollar Steuergeschenke für KapitalbesitzerInnen. Die kostenlose Bildung würde hingegen 700 Millionen jährlich kosten. So bietet "CLASSE" auch unmittelbare finanzielle Hilfe an. Sie kombiniert also "Systemkritik" und "gegenseitige Hilfe".

Die Koalition grenzt sich von den anderen Studierendenorganisationen auch dadurch ab, dass sie staatliche Institutionen und die korporatistische Zusammenarbeit ablehnt. Damit meidet sie die Gefahr der institutionellen Vereinnahmung und des Verlustes ihrer Unabhängigkeit. Für "CLASSE" sind vielmehr die Strasse und der Generalstreik die "Orte" der sozialen Auseinandersetzung.


Das andere Geschlecht - ein anderer Kampf?

"CLASSE" zeichnet sich weiter durch die spezifische Rolle der Frauen in der Organisation aus. In ihren Argumenten weist sie stets darauf hin, dass die Verschuldung der Studierenden geschlechtsspezifische Konsequenzen hat. So ist die Wahrscheinlichkeit für Frauen, nach dem Studium einen Job zu finden, der ihnen die Schuldenrückzahlung erlaubt, geringer als für Männer. Dies erhöht ihre Abhängigkeit von Familie und Staat. Als Antwort auf diese spezifische Form der Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen wurden innerhalb von "CLASSE" Frauenkomitees aufgebaut. Diese setzen sich einerseits mit den frauenspezifischen Problemen auseinander, andererseits stehen sie in engem Kontakt mit anderen feministischen Gruppierungen in der Gesellschaft. Der Feminismus zieht sich durch alle organisatorischen Instanzen von "CLASSE" hindurch und besitzt somit eine praktische Basis.

Durch diese kontinuierliche Arbeit konnten innerhalb der "CLASSE" und der Studierendenbewegung die Herrschafts- und Machtunterschiede zwischen Frauen und Männern auf ein Minimum reduziert werden. Und dadurch lernte die Bewegung nach und nach, die spezifischen Anliegen von Frauen nicht als einen untergeordneten Kampf zu sehen, sondern ihn zum Fundament einer anderen Gesellschaft zu machen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 41/42/2012 - 68. Jahrgang - 9. November 2012, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2012