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VORWÄRTS/949: Die verlorenen Rebellen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.27/28 vom 19. Juli 2013

Die verlorenen Rebellen

Von David Hunziger



Hip Hop wurde in seiner Anfangszeit massgeblich durch Impulse politisch eingestellter Künstler vorangetrieben. Die neusten Veröffentlichungen von Kanye West und Jay-Z zeigen dagegen eindrücklich, dass die musikalische Selbstermächtigung der Afroamerikaner zur Farce geworden ist.


Die Geschichte des neusten Jay-Z-Albums beginnt mit einer Spaltung: eine in Menschen, die ein Samsung-Galaxy-Handy besitzen, und in solche, die keines besitzen. Der Rapper hatte mit dem koreanischen Unternehmen einen Vertrag abgeschlossen, der jedem Besitzer jenes Handy-Modells eine App zusichert, die das neuste Jay-Z-Werk "Magna Carta Holy Grail" enthält. Der Rapper kassierte damit umgehend fünf Millionen Dollar. Ausserdem reichte eine einzige Marketing-Aktion zur weltweiten Verbreitung des Albums: ein Clip, der in der Halbzeitpause eines NBA-Spiels gezeigt wurde und die Samsung-App bewarb. Die dekadente Pointe der Aktion ist das Video selbst, in dem Jay-Z über millionenteure Minuten in leeren Sätzen über neue Medien philosophiert.

Dass man es hier als HörerIn vor allem mit einer geschickten Geschäftsstrategie zu tun hat, erzählt uns Jay-Z, dessen Vermögen von Celebritynetworth.com auf 500 Millionen Dollar geschätzt wird, gleich selbst: "I'm not a businessman/I'm a business, man", heisst es in einem der neuen Songs. Diese handeln dann auch grösstenteils von einem Leben in Saus und Braus. Wen's interessiert: Dazu gehört zum Beispiel ein Maybach oder Kunst von Picasso, Andy Warhol und Jeff Koons. Mit dem Kunst-Namedropping im Song "Picasso Baby" scheint Jay-Z neben ökonomischer Potenz noch etwas hochkulturelle Bildung demonstrieren zu wollen. Sein Haus wird da wahlweise zum Louvre, der Tate Modern oder zum MoMa.


Geldsäcke statt Kugel durchs Hirn

Jay-Z erzählt auf "Magna Carta Holy Grail" immer wieder die gleiche Geschichte: Ich habe verdammt viel Erfolg und es gefällt mir sehr gut. Selbstverständlich ist das schliesslich nicht. In den Lyrics werden auch zwei Künstler genannt, die als Beispiele der vernichtenden Wirkung des Erfolgs in die Geschichte eingegangen sind: der Maler Jean-Michel Basquiat, der als erster Afroamerikaner den Durchbruch in der Kunstwelt schaffte, und Nirvana-Frontman Kurt Cobain. Beide waren drogensüchtig, beide begingen Selbstmord.

Während Basquiat nur im Zusammenhang der Deko an Jay-Zs Wand erwähnt wird, kommt Cobain im Song "Holy Grail" die Ehre eines Zitats zu. "And we all just entertainers/And we're stupid and contagious", säuseln Jay-Z und Justin Timberlake, einer der vielen prominenten Assistenten auf dem Album, zur Melodie des ursprünglichen Nirvana-Songs ("Smells Like Teen Spirit"). Dann setzt Timberlakes süsser Gesang wieder ein und erinnert an die zynische Lücke zwischen denjenigen, die auf Geldsäcken sitzen und ihren Erfolg geniessen, und demjenigen, der sich deswegen das Hirn weggeblasen hat.


Geht's noch höher?

Wenn sie sich nicht umbringen, was aus der Mode gekommen zu sein scheint, geht es für Musiker wie Jay-Z normalerweise immer weiter nach oben. "Can we get much higher", mit diesen Zeilen, gesungen von einem Chor, hat Kanye West vor drei Jahren sein vielgelobtes Album "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" eröffnet. Mit "Yeezus", seiner letzten Veröffentlichung, versucht West zumindest genau dies: "I'm a God", heisst es in einem seiner neusten Songs konsequenterweise.

"Yeezus" ist härter und weniger zugänglich als "Magna Carta Holy Grail". Es ist beeinflusst von Sounds der achtziger Jahre: Industrial und Acid House. Den grössten Teil des Albums hat West in seiner Loft in Paris produziert, wo er von Daft Punk oder der Produzenten-Legende Rick Rubin unterstützt wurde. Laut eigener Aussage hat Rubin das noch unfertige und viel zu lange Rohmaterial für "Yeezus" erst kurz vor Abgabe zum ersten Mal gehört. Ruhm, der sich mit Produktionen wichtiger Hip-Hop- und Metal-Alben der achtziger Jahre einen Namen gemacht hat, war sofort begeistert. West habe schliesslich die Hälfte der Vocals in zwei Stunden auf Band gebracht.

Dass er ein hervorragender Musiker ist, weiss West selbst am besten. Er sei der einzige Musiker, hat er in einem Interview einmal gesagt, der so gut geworden sei wie Michael Jordan im Basketball. Seine Bedeutung gehe aber über die Musik hinaus, er sei die Stimme einer Generation. Auf Youtube gibt es ein tolles Video: Zwei Frauen stellen einem Publikum ein kleines Rätsel und lesen Zitate vor, die entweder von Kanye West oder von Hitler stammen. Man ahnt es schon: das ist jeweils sehr schwer zu sagen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 27/28 - 69. Jahrgang - 19. Juli 2013, S. 10
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2013