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VORWÄRTS/977: Die Angriffe der SVP


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 43/44 vom 6. Dezember 2013

Die Angriffe der SVP

von Maurizio Coppola



Am 9. Februar 2014 steht die nächste Abstimmung bevor. Kernelement der politischen Debatten und Propaganda wird die sogenannte "Masseneinwanderungsinitiative" der SVP sein. Sie zielt auf eine vermehrt politische Steuerung der Migration. Doch die SVP strebt mit ihren Vorstössen eine allgemeine Restrukturierung des Arbeitsmarktes an.


"Die Schweiz steuert die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig." Absatz 1 der von der SVP eingereichten Initiative "Gegen Masseneinwanderung" resümiert die Bestrebungen der Partei im Bereich von (Arbeits-)Migration und Asyl. Damit will die SVP die jährliche Zahl für erwerbstätige AusländerInnen, GrenzgängerInnen inklusive, und Asylsuchende kontingentieren, sprich politisch regulieren und nicht mehr den Marktmechanismen überlassen. Dies widerspricht dem Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU). Der Bundesrat hat daher auch nicht gezögert, die Kampagne gegen die Masseneinwanderungsinitiative der SVP zu lancieren und die Personenfreizügigkeit zu verteidigen.


Dauerthema (Arbeits-)Migration

Blicken wir auf die letzten vierzig Jahre zurück (1964-2013), dann entschied die stimmberechtigte Bevölkerung in der Schweiz über dreissig, (!) Initiativen und Referenden zum Thema Asyl und Migration. Hinzu kamen zudem noch kantonale Abstimmungsvorlagen. Seit vierzig Jahren wird daher in der Schweiz mit dem Thema "AusländerInnen" Stimmung gemacht. Am letzten Abstimmungswochenende entschied beispielsweise die Stimmbevölkerung des Kantons Bern, Einbürgerungen restriktiver zu regeln: SozialhilfebezügerInnen und "Kriminelle" haben kein Recht auf Einbürgerung mehr. Im 2014 werden zudem schweizweit zwei weitere wichtige Abstimmungen bevorstehen: Einerseits die "ecopop-Initiative" (siehe dazu Seiten 4 und 5 [der Originalausgabe]), andererseits die Ausweitung des Freizügigkeitsabkommens auf das neue EU-Mitglied Kroatien.

Gerade letztere Abstimmung steht inhaltlich in engem Zusammenhang mit der Masseneinwanderungsinitiative. Denn einerseits werden mit der Ausdehnung der Freizügigkeit auf ein neues Land - ähnlich wie mit Bulgarien und Rumänien - politisch die Ängste um Arbeit, Wohnung und Sicherheit geschürt. Andererseits stellt Kroatien symbolisch und geographisch Länder mit einem wichtigen Anteil oder gar einer Mehrheit an MuslimInnen dar, die europäischen anti-islamischen RassistInnen in Aufruhr versetzt und somit für islamophobe Kampagnen instrumentalisiert wird. Mit Konzepten wie Missbrauch, Devianz und Kriminalität wird eine Massenstigmatisierung produziert, die in eine Angstpolitik umgemünzt wird. Auf diese Angstpolitik baut die SVP wiederum auf, um ein "Heimat-Kollektiv" zu konstruieren, welches den falschen Antagonismus zwischen SchweizerInnen und AusländerInnen zuungunsten des Antagonismus zwischen ArbeiterInnen und Kapital stärkt.


Frauenfeindlichkeit

Die xenophobe und rassistische Politik der SVP ist stets begleitet von anti-feministischen Elementen. Anhand von drei Beispielen politischer Vorstösse wird diese Haltung deutlich. Erstens handelt es sich um die in der Abstimmung vom 24. November 2013 mit 58,5 Prozent zwar verworfenen, jedoch darum nicht unbedeutenden "Familieninitiative". Diese hätte vorgesehen, dass Eltern, die ihre Kinder selber betreuen, für die Kinderbetreuung mindestens ein gleich hoher Steuerabzug gewährt würde wie Eltern, die ihre Kinder extern (zum Beispiel in einer Krippe) betreuen lassen. Statistisch betrachtet sind es in erster Linie Eltern aus den oberen Schichten, die ihre Kinder zu Hause betreuen. Eltern aus migrantischen und proletarischen Haushalten können heute kaum noch mit einem "Alleinernährerlohn" leben, Frauen gehen meist einer (prekären) Teilzeitarbeit nach. Von der Initiative hätten in erster Linie wohlhabende Familien profitieren können.

Zweitens fordert der SVP-Nationalrat Sebastian Frehner (Basel), dass geschiedene Frauen für sich selbst sorgen und die Ex-Männer von den Unterhaltspflichten entlastet werden sollen. Damit strebt die SVP eine Harmonisierung der Alimentenregelung und die gleiche Regelung wie bei der Sozialhilfe an: Geschiedene Frauen sollen wieder arbeiten, sobald das jüngste Kind das dritte Lebensjahr vollendet hat. Heute wird geschiedenen Müttern Teilzeitarbeit zugemutet, wenn das jüngste Kind zehnjährig ist, und Vollzeitarbeit, wenn das Kind 16 Jahre alt ist. Ein Drittel der alleinerziehenden Frauen ist sozialhilfeabhängig. Bei Männern liegt die Zahl bei 5 Prozent.

Drittens gehört zur sozialpolitischen Priorität der SVP die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre. Zum Projekt "Altersvorsorge 2020", das von Bundesrat Alain Berset jüngst in die Vernehmlassung geschickt wurde, schreibt die SVP: "Die SVP fordert eine zeitliche Priorisierung der zentralen strukturellen Massnahmen. Dazu gehört insbesondere eine rasche Angleichung des Rentenalters von Mann und Frau bei 65 Jahren." Durch die Erhöhung des Rentenalters für Frauen wird die gesellschaftliche Situation von Frauen ab 50 Jahren völlig ausgeblendet (hohe Erwerbslosigkeit und Schwierigkeiten, wieder in den Arbeitsmarkt zu gelangen, um nur zwei Tatsachen zu nennen) und somit eine spezifische Gruppe an ausbeutbaren Arbeitskräften weiterhin in einem Arbeitsmarkt gehalten, der strukturell nie alle Arbeitskräfte aufnehmen kann.


Klassenpolitik

Die Kombination der migrations- und frauenpolitischen Reformbestrebungen der SVP ist nicht zufällig, sondern entsprechen klaren Klasseninteressen. Das angestrebte Ziel ist, die Beschäftigung derjenigen Teile der schweizerischen Proletarisierten zu erhöhen, der zurzeit eine eher tiefere Beschäftigungsquote aufweisen (Frauen) und gleichzeitig die ausländische Bevölkerung zu beschränken. Längerfristig wird so eine "Auswechslung" ausländischer durch weiblicher Arbeitskräfte angestrebt, welche wiederum allgemein die Erwerbslosigkeit reduzieren soll. Dadurch wird einerseits die Prekarisierung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt vorangetrieben, andererseits die aufgrund von Erwerbslosigkeit produzierten sozialen "Kosten" reduziert, welche KapitalistInnen heute noch über die Institutionen des Sozialstaates bezahlen.

Die SVP bringt also sexistische, xenophobe und welfaristische (Geringschätzung jener ArbeiterInnen, die sozialstaatliche Leistungen beziehen) Elemente zusammen, die so Programm machen. Angesichts der bevorstehenden politischen Abstimmungen und der sozio-ökonomischen Entwicklungen ist es höchste Zeit, sich dieser Angstpolitik zu widersetzen - an den Arbeitsplätzen, in den Schulen, in den Wohnquartieren und auf der Strasse.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 43/44/2013 - 69. Jahrgang - 6. Dezember 2013, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2013