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VORWÄRTS/989: Die Roten Falken im Aufbruch


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 3/4 vom 31. Januar 2014

Die Roten Falken im Aufbruch



Rote Falken. Die Roten Falken sind auch 2014 aktiv: Die Falkengruppe der Innenstadt trifft sich neu nicht mehr am Bellevue, sondern auf der Josefwiese. Zudem gibt es ab diesem Jahr eine zweite Zürcher Falkengruppe, die Falken Zürich-Affoltern! Wir versuchen weiterhin, unser Ideal von grösstmöglicher Partizipation umzusetzen, auch wenn dies nicht immer einfach ist.


Freundschaft! So lautet der traditionelle Gruss der Kinder- und Jugendgruppe Rote Falken, die jeden Samstag (während der Schulzeit) ein Nachmittagsprogramm für interessierte Kinder und Jugendliche anbietet. Unserer Gruppe von circa dreissig Personen gehören aktuell Kinder im Alter zwischen sieben und fünfzehn und HelferInnen zwischen sechzehn und zweiundzwanzig Jahren an. Neben den Samstagsprogrammen veranstalten die Falken jedes Jahr drei Wochenendlager: jeweils eines über Auffahrt, eines zur Sonnenwende im Dezember und eines anlässlich des Herbstfests unseres Lagerhauses "Mösli" in Stallikon.

Das alljährliche Highlight ist unser zweiwöchiges Sommerlager, bei dem wir gemeinsam mit den anderen Schweizer Falkengruppen wegfahren und zwei Wochen ganz in die Falkenwelt abtauchen. Meistens mieten wir ein Lagerhaus an einem schönen Ort irgendwo in der Schweiz, aber immer wieder finden unsere Lager auch in Deutschland oder Österreich statt, wo wir die dort ansässigen Falkengruppen treffen und kennenlernen.

So weit so gut, aber was unterscheidet die Roten Falken von anderen Kinder- und Jugendgruppen wie zum Beispiel der Pfadi? Im Vergleich zu anderen, ähnlichen Gruppen haben die Roten Falken - wie unser Name schon ahnen lässt - ihren Ursprung in der Arbeiterbewegung der 1920er Jahre. Die Falkengruppen wurden damals mit dem Zweck gegründet, Arbeiterkindern sinnvolle und lässige Freizeitmöglichkeiten zu bieten, während ihre Eltern der Lohnarbeit nachgehen mussten. Die Falkenlager waren damals oft die einzige Möglichkeit jener meist aus armen Familien stammenden Kinder, einmal in die Ferien zu fahren, Ausflüge zu machen und gemeinsam Abenteuer zu erleben.

In der Schweiz wurde die erste Falkengruppe 1922 von der bekannten Sozialistin und Feministin Anny Klawa-Morf gegründet, nach welcher 2012 ein Platz an der Sihlfeldstrasse in Zürich benannt wurde. Seit 1922 hat sich natürlich viel geändert bei den Falken, so sind die Gruppen zum Beispiel schon lange nicht mehr geschlechtergetrennt und der Unterstützungsverein im Hintergrund heisst nicht mehr Kinderfreunde, sondern Pro Rote Falken. Die sozialistische Grundüberzeugung, dass alle Menschen gleich sind und eine bessere, solidarische Welt möglich ist, ist jedoch noch immer das Fundament und der Leitgedanke, nach dem wir leben. Gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen wollen wir eine Gegenwelt zum vorherrschenden Konkurrenzdenken, zur Konsumgesellschaft und vor allem zur adultistischen und kindesentmündigenden Erziehung schaffen und zeigen, dass eine andere Welt möglich ist.


Politik in einer Kinder- und Jugendgruppe?

Wir schreiben auf unserer Homepage, dass wir eine politische Kinder- und Jugendgruppe sind - dies führt oft zu Unklarheiten. Indoktrinieren wir die Kinder mit Politprogrammen? Geben wir ihnen die "richtige" Meinung vor, die sie dann auswendig lernen? Werden "linke" Dogmas eingebläut und Kinder instrumentalisiert? - So läuft das nicht bei uns. "Politisch" zu sein ist heutzutage ein negativ besetztes Schlagwort und scheint gerade für eine Kinder- und Jugendgruppe vielen Leuten unangebracht. Aber kann etwas, das die Vermittlung von Werten beinhaltet, jemals unpolitisch sein? Wir sind der Meinung, dass Werte überall und somit auch in der Erziehung, in der Schule, in Freizeitangeboten und auch in anderen Kinder- und Jugendgruppen vermittelt werden. Dies jedoch oft indirekt, weshalb es weniger bemerkt wird.

Bei den Roten Falken hingegen sagen wir offen, welche Werte wir vertreten und welche Weltanschauung wir haben: Gleichwertigkeit aller Mitglieder und Solidarität statt Konkurrenz sind zum Beispiel zwei solche Grundwerte. Weiterhin bezieht sich ein grosser Teil des Politischen bei den Roten Falken darauf, wie wir mit den Kindern und Jugendlichen umgehen: Wenn wir sogenannte politische Themen diskutieren, wird dies auf eine kindergerechte Weise getan und die freie Meinungsbildung der Kinder und Jugendlichen steht an oberster Stelle. Wir wollen Kinder und Jugendliche zum Denken anregen, wir wollen ihnen vermitteln, dass ihre Meinung gefragt und wichtig ist und dass sie genauso wie Erwachsene befähigt und befugt sind, sich über die Angelegenheiten von Erwachsenen Gedanken zu machen und diese auch zu kritisieren. Die HelferInnen probieren, die vertretenen Werte vorzuleben, das gemeinsame Gruppenerlebnis soll unser Motto Spiel, Spass und Solidarität praktisch erlebbar machen.


Partizipation statt Hierarchie!

Entsprechend diesem Grundgedanken ist es uns wichtig, die Hierarchie innerhalb der Gruppe möglichst flach zu halten, um keine unnötigen Autoritäten zu etablieren. Im letzten Jahr haben wir uns immer wieder gefragt, wie wir diesen Gedanken besser leben können. Das fünfte der von der Gruppe gemeinsam verfassten Falkenversprechen lautet: In unserer Gruppe zählt die Meinung eines jeden Einzelnen gleich viel. Leiterinnen und Leiter sind HelferInnen, nicht AnführerInnen. Wir nehmen die Kinder und Jugendlichen ernst und möchten ihnen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben, sondern mit ihnen gemeinsam herausfinden, was allen Spass macht, wie es allen gut geht und wie wir uns organisieren wollen. Deshalb zählt bei uns die Stimme eines Kindes genau gleichviel wie die einer erwachsenen Helferin oder eines erwachsenen Helfers.

Um diese Überzeugung für andere und vor allem auch uns selbst noch deutlicher zu machen, haben wir letztes Jahr beschlossen, uns nicht mehr LeiterInnen, sondern HelferInnen zu nennen. So wollen wir die natürliche Hierarchie des Worts "LeiterIn" vermeiden. Wir haben aber nicht nur an der Oberfläche gekratzt und Bezeichnungen geändert, sondern auch Strukturen im Alltag geändert. Neu findet der sogenannte Lagerrat nicht nur im grossen Sommerlager statt, sondern auch immer wieder zwischendurch als Vollversammlung. So organisieren wir sowohl die Lager, Weekends als auch die Samstagsprogramme basisdemokratisch gemeinsam mit den Kindern. Die Versammlung ist jener der antiautoritären Schule Summerhill nachempfunden: die Teilnahme ist freiwillig, die Versammlung wird auch von Freiwilligen geleitet und protokolliert.

In den Versammlungen werden Probleme geklärt, Aktivitäten vorbereitet und Anliegen vorgetragen. Die Beschlüsse werden nach dem Konsensprinzip gefällt und anschliessend ausgehängt. So können die Kinder und Jugendlichen selbst mitbestimmen, was sie unternehmen wollen, können Ideen und Vorschläge bringen und Probleme können gemeinsam gelöst werden. Die HelferInnen unterstützen diesen Prozess und setzen die ausgeheckten Pläne gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen in die Tat um. Durch gelebte Partizipation bieten wir den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, sich selbst zu organisieren. Wir geben ihnen eine Stimme in einer Welt, in der vieles von Erwachsenen bestimmt wird, ohne dass Sie eine Chance haben, sich dazu zu äussern. Sie lernen, dass ihre Meinung wichtig ist, geschätzt wird und dass sie selbst Einfluss auf das Geschehen haben. In den Lagern findet der Lagerrat täglich statt, im Rahmen des Samstagsprogramms gibt es circa einmal pro Monat eine Vollversammlung. Natürlich ist das Abhalten solcher Versammlungen und das gemeinsame Diskutieren von Angelegenheiten auch eine grosse Herausforderung, schliesslich sind wir alle mehr gewöhnt, Regeln zu befolgen und Dinge auszuführen anstatt unsere Leben von A bis Z selbst zu gestalten. Dennoch ist es uns wichtig, dass wir uns nicht von Schwierigkeiten abhalten lassen und den Prozess des gemeinsamen Gestaltens immer wieder neu beginnen und jedes Mal etwas dazulernen.


Neue Gruppe und neuer Treffpunkt

Wie es der Titel über diesem Text schon ankündigt, sind die Falken im Aufbruch! Seit über einem Jahr gibt es nicht mehr nur die Zürcher Falkengruppe, sondern auch die Berner Falken, die sich jeweils am Samstagnachmittag unter dem Baldachin beim Bahnhof Bern treffen. Auf Anfang 2014 haben wir uns noch einmal vergrössert und freuen uns, die neue Falkengruppe Zürich-Affoltern auf die Beine zu stellen! Die ehemaligen Jugendlichen der Falkengruppe in Zürich sind voller Elan daran, eine zweite Falkengruppe in Zürich-Nord aufzugleisen. Diese trifft sich jeweils am Bahnhof Affoltern und spricht Kinder und Jugendliche aus Affoltern, Oerlikon und Umgebung an. Das erste Programm wird am 1. März stattfinden. Da das Gruppenlokal der "alten" Falken in der Innenstadt viel zu weit weg ist für die Gruppe in Affoltern, konnte eine Zusammenarbeit mit dem Kulturlokal KuBaA (Kulturbahnhof Affoltern) realisiert werden, welches ab und zu als Bastel- oder Spielort der neuen Gruppe dienen wird.

Ab Februar treffen sich die Falken auf der Josefwiese. Hier können sich die Kinder frei bewegen, bis alle anwesend sind. Man muss hier auch keine Angst haben, unter ein Tram zu kommen oder angerempelt zu werden. Auch für uns HelferInnen bedeutet dies weniger Stress und eine bessere Übersicht über die Kinder. Mit dem neuen Treffunkt erhoffen wir uns zudem einen Zuwachs an Kindern sowie einen Beitrag von unserer Seite, zu einem lebendigen Quartier leisten zu können. Mit dem Umzug ins ehemalige Arbeiterquartier an der Josefwiese wollen wir auch versuchen, wieder näher an unsere Wurzeln und unsere Zielgruppe heranzukommen und in einer kinder- und familienfreundlichen Umgebung direkt ansprech- und erlebbar zu sein.


Mitmachen!

Wer mehr über uns wissen will, findet auf unserer Homepage zahlreiche Infos, Fotos und Berichte. Ebenfalls kann dort das aktuelle Samstagsprogramm der verschiedenen Gruppen nachgeschaut werden. Wir freuen uns über jede Kontaktaufnahme per Mail (infos@rotefalken.ch) oder du kommst einfach an einem Samstagnachmittag bei uns vorbei!

www.rotefalken.ch

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 3/4/2014 - 70. Jahrgang - 31. Januar 2014, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2014