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VORWÄRTS/1009: Nichts als ein Name


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 13/14 vom 11. April 2014

Nichts als ein Name

von David Hunziker



Die Kommunistische Partei der Ukraine (KPU) betreibt Politik für Menschen, die es gar nicht mehr gibt: für die Menschen der Sowjetunion. Ihr selbsterklärter Bezugsrahmen ist die "sowjetische Heimat". Wer sich darin nicht zuhause fühlt, dem hat diese Partei nichts zu sagen. Wenn der Begriff Kommunismus noch etwas bedeuten soll, müssen sich soziale Bewegungen aus dem von solchen Parteien geschnürten Korsett befreien.


Petro Symonenko, Parteivorsitzender und Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU), ist empört. Mit dem Machtumsturz in Kiew ist er gar nicht zufrieden und ist der Meinung, sein Land sei einem Protektorat westlicher Mächte unterworfen worden. Die Proteste würden begleitet "von einer extrem gefährlichen Welle antikommunistischer Hysterie, von der Zerstörung von Denkmälern für Lenin und die Helden des Grossen Vaterländischen Krieges, von Banditenangriffen auf die Einrichtungen unserer Partei in Kiew und in anderen Städten, vom moralischen und physischen Terror gegen die Kommunisten und von der Forderung nach einem Verbot der Aktivitäten der Kommunistischen Partei der Ukraine".

Ein vorwärts-Leser hat sich kürzlich zu einem gewagten Vergleich hinreissen lassen: Die gegenwärtige Situation in der Ukraine gleiche derjenigen unmittelbar vor der Machtergreifung der Nazis in Deutschland. Begründet hat er ihn damit, dass auch damals das Verbot der Kommunistischen Partei eine der ersten Amtshandlungen der rechten Machthaber gewesen sei. Abgesehen davon, dass dieser Vergleich - wie die meisten seiner Art - die Nazi-Diktatur massiv verharmlost, ist er auch schlicht vermessen. Er suggeriert nämlich nichts Geringeres, als dass die KPU eine Arbeitermacht hinter sich wüsste, die derart starker Gegenwehr bedürfte wie dazumal.


Unabhängigkeit - was nun?

Daran anschliessend lässt sich fragen, was Symonenko eigentlich meint, wenn er von Antikommunismus spricht, und was für eine Vorstellung von Kommunismus er folglich haben muss. Mindestens zwei Dinge werden in seiner Aussage impliziert: Erstens, dass sich die Zerstörung sowjetischer Denkmäler gegen die Arbeiterklasse richtet, und zweitens, dass Symonenko und seine GenossInnen VertreterInnen dieser Arbeiterklasse sind. Beides ist ein Irrtum.

Die ehemals staatstragende KP der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik blieb - im Gegensatz zu anderen KPs in Osteuropa - Moskau stets treu und entwickelte nie eine eigene Linie oder gar dissidentische Ambitionen. Wie auch die kasachische und die weissrussische KP wurde sie nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Zentralmacht unfreiwillig in den Rahmen eines unabhängigen Nationalstaats entlassen. Theoretisch hat die heutige KPU, die sich - neben einigen anderen ukrainischen Parteien - als Erbin der ehemaligen KP sieht, diese materielle Verschiebung nie nachvollzogen. Nur schon darum ist ihr Anspruch, am Historischen Materialismus festzuhalten, unglaubwürdig.


Slawischer Nationalismus

Die KPU hält eisern daran fest, dass die sowjetischen Verhältnisse zu restaurieren seien. Weil mit der Sowjetunion aber auch ihr Gründungsmythos, die Oktoberrevolution, an legitimatorischer Kraft verloren hat, sind ideologische Tricks gefragt. Im Laufe der 90er Jahre hat sich die KPU daher einem neuen Ursprungsmythos verschrieben: dem slawischen Nationalismus. Dieser sieht in der Kiewer Rus (mittelalterliches Grossreich mit Zentrum in Kiew) den gemeinsamen Ursprung des ukrainischen, weissrussischen und russischen Staates. Dies führt so weit, dass die KPU offene Sympathien für die orthodoxe Kirche entwickelt hat. Auf ihrer Internetseite findet sich etwa eine von Symonenko zu Ostern verfasste Lobpreisung Christi.

Hinzu kommt ein happiger Geschichtsrevisionismus: Die KPU leugnet etwa den Holodomor, bei dem durch Stalins Wirtschaftspolitik Millionen von Menschen verhungerten; die Stalin-Zeit wird als Hochblüte der sowjetischen Geschichte gesehen, Chruschtschow, Gorbatschow und Jelzin dagegen als Opportunisten und Verräter derselben. Bezogen auf die Geschichte zeigen sich damit frappante Ähnlichkeiten mit Putins Sicht der Dinge.


Symonenko und sein Bunker

Rhetorisch gibt sich die KPU sozialkritisch und emanzipatorisch, tatsächlich aber ist sie nichts als eine weitere ukrainische Systempartei, die den korrupten Oligarchen-Staat wacker mitträgt. Symonenko selbst schwimmt im Geld und hat sich dafür eine gigantische Villa - inklusive einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg in seinem Garten - errichtet. Mehr noch: Indem die KPU kritisches Potential in ihrer Wählerschaft versammelt und damit verpuffen lässt, trägt sie direkt zum Aufstieg und Machterhalt von Konservativen wie Wiktor Janukowytsch oder Leonid Kuchma, dem ehemaligen Präsidenten der Ukraine, bei.

Wenn der Begriff Kommunismus noch eine politische Bedeutung haben soll, sollte man sich sein Versprechen einer möglichst gemeinschaftlichen Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens in Erinnerung rufen. Eine Gemeinschaft mit dem "Sowjet-Menschen" kann es aber nicht geben. Und selbst wenn fälschlicherweise angenommen würde, dass die Sowjetunion dieser Art Gesellschaft nahe kam, muss eingestanden werden, dass sie nie mehr zurückkommen wird. Jedes utopische Potential beharrlich in ihre Grenzen zu verweisen, wie es die KPU tut, kann daher nur eines sein: genuin konservativ.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14/2014 - 70. Jahrgang - 11. April 2014, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2014