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VORWÄRTS/1013: Für eine offene und solidarische Schweiz


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 28. März 2014

Für eine offene und solidarische Schweiz

Bündnis Massenwandern



Mit einer kämpferischen Front und tänzerischem Umzug wanderten am 15. März über 2000 Menschen durch die Zürcher Innenstadt. Während dem Umzug wurden mehrere Reden gehalten, die auf verschiedene Aspekte der Masseneinwanderungsinitiative (MEI), deren Folgen und allgemeinere Tendenzen von ausgrenzender und diskriminierender Politik eingingen.


Seit der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative wird viel diskutiert. Was ist der Kern der Initiative? Warum wurde sie angenommen? Was sind die Folgen? Immer wieder hört man, die Initiative sei in keiner Weise rassistisch oder fremdenfeindlich, geschweige denn nationalistisch. Vielmehr ginge es um eine rein sachliche Umstrukturierung der Einwanderungssteuerung. Aber diese Überzeugung ist und bleibt falsch. Die Initiative ist rassistisch, fremdenfeindlich und nationalistisch. Wer das Argumentarium der InitiantInnen liest, stösst auf eine pauschale Unterteilung der Menschen in "gute Schweizer" und "faule, unangepasste Ausländer". Es wird also eine klare Grenze durch die Bevölkerung gezogen und die zwei entstehenden Kategorien unmissverständlich bewertet: Es gibt die Guten, es kommen die Schlechten. Des Weiteren finden sich im Argumentarium der SVP zur Initiative auch direkte Angriffe auf MuslimInnen, die mit Genitalbeschneidung, Ehrenmorden und Zwangsheirat die "hiesige" Kultur zerstören und deren Kinder das Leistungsniveau in den Schulen senken würden. Es wird direkt von einem "Islamisierungsproblem" gesprochen. Innerhalb der Kategorie "Ausländer" werden bestimmte Kulturen als besonders minderwertig beurteilt. Das ist zutiefst diskriminierend.

Wir sind kein einig Volk!

Es gibt also eine rassistische Trennung zwischen "AusländerInnen", "SchweizerInnen" und der neusten Erfindung: "Eingebürgerten". Mit dieser Trennung wird die Angst vor einem schädlichen kulturfremden Einfluss verbunden. Diesen zentralen Punkt der MEI wollen wir kritisieren. Dieser rassistische Diskurs geht aber weit über die letzte Abstimmung hinaus und hinein in bereits vorhandene staatliche Praktiken, wie auch unseren Alltag.

Die Initiative ist nationalistisch: "Die masslose Einwanderung gefährdet aber auch die schweizerische Identität und unser Selbstverständnis als Willensnation. Diese Identität ist weltweit einmalig." Wie diese einmalige Identität genau aussehen soll, wird von der SVP aber verschwiegen, wodurch sich auch nicht darüber streiten lässt. In anderen Worten: Hier wird der inhaltslose Mythos einer Nation beschworen, die es real weder gibt, noch gab. Wir sind kein einig Volk und wollen es auch nicht werden!

Die parlamentarische Linke hat sich einer grösseren Perspektive im Abstimmungskampf zur MEI komplett verweigert. Sie hat einzig die Argumente der Wirtschaft gebetsmühlenartig wiederholt. Sie hat darauf bestanden, wie wichtig die Zuwanderung für die Wirtschaft sei, und welchen Anteil ausländische Arbeitskräfte am Wohlstand der Schweiz hätten. Es ging im ganzen Abstimmungskampf, egal ob von links oder rechts geführt, egal ob die SP sprach, oder die SVP, immer nur darum, was denn die Zuwanderung der Wirtschaft nützt. Wir lehnen die Einteilung in nützliche und schädliche Zuwanderung, in nützliche und schädliche Menschen entschieden ab! Wenn wir für eine offene und solidarische Gesellschaft einstehen, tun wir das nicht nach Kriterien der wirtschaftlichen Verwertbarkeit! Die Frage bleibt: Was wird passieren, jetzt wo diese Initiative angenommen wurde? Es zeichnet sich ab, dass die Spaltung zwischen so genannten "AusländerInnen" und "SchweizerInnen" die Arbeitsbedingungen auf keinen Fall verbessern wird. Denn reiche Ausländer werden wohl kaum unter den Einwanderungsbeschränkungen leiden, dafür ist gesorgt. Vielmehr scheint eine Rückkehr zum Saisonnier-Status wahrscheinlich, also die Erteilung einer kurzen Aufenthaltsbewilligung von wenigen Monaten, ohne Möglichkeit des Familiennachzugs und ohne soziale Sicherung. Die Unternehmen können so ihren Bedarf nach billigen Arbeitskräften weiterhin decken, während das Miteinander und die politische Organisierung praktisch unmöglich werden.

Wir sind nicht einverstanden

Die Situation der hierlebenden Menschen und die sich verschlechternden Arbeits- und Wohnbedingungen der letzten Jahre, werden mit der MEI sicher nicht verbessert. Nicht nur die Zukunft der Beziehungen der Schweiz mit der EU ist ungewiss. Der internationale Konkurrenzkampf und die damit verbundene Unvorhersagbarkeit und Unkontrollierbarkeit eines komplexer und globaler werdenden Marktes bleiben. Die Unsicherheit, wie die Arbeitswelt, wie der Wohnungsmarkt und wie die Altersvorsorge morgen aussehen werden, bleibt. Lohndumping bleibt. Der internationale Druck bleibt. Und wer heute zu den "Verlierern", zu den Lohnabhängigen gehört, der wird auch morgen nicht zu den "Gewinnern" gehören. Man könnte einwenden, dass die Initiative angenommen wurde, dass der Kampf gelaufen und - leider - verloren sei. Aber genau das glauben wir nicht! Es geht nicht nur um den politischen Kampf um diese Initiative. Es geht um Fragen darüber hinaus. In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Wo liegen die Probleme unseres Wirtschaftssystems? Wie wollen wir unsere Umwelt gestalten? All diese grossen Fragen hängen direkt damit zusammen, wie wir Migration sehen, wie wir andere Menschen oder Nationalitäten sehen. Auch die Frage, was Demokratie ist und wie sie funktioniert, ist angebracht. Was bedeutet es, wenn die SVP nach einem extrem knappen Abstimmungsresultat von der Durchsetzung DES "Volkswillens" spricht? Was heisst eigentlich Demokratie, wenn betroffenen Menschen, die hier leben, hier arbeiten, hier ihre Freunde haben, nicht mitbestimmen dürfen? Eine eigentlich kleine Minderheit hat diese Initiative entschieden. Und mit dieser Entscheidung sind wir weiterhin nicht einverstanden.

Kontakt & Informationen:
www.massenwandern.wordpress.com

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12/2014 - 70. Jahrgang - 28. März 2014, S. 2
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2014