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VORWÄRTS/1020: Bin ich jetzt ein Stalinist?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.17/18 vom 9. Mai 2014

Bin ich jetzt ein Stalinist?

Von Siro Torresan



In der vorwärts-Ausgabe Nummer 13/14 vom 11. April hat Redaktionskollege David Hunziker (huz) einen Artikel über die Kommunistische Partei der Ukraine (KPdU) geschrieben. Eine Replik im Sinne einer anderen Sichtweise.


Huz schreibt, dass die KPdU "Politik betreibt für Menschen, die es gar nicht mehr gibt; Menschen aus der Sowjetunion". Das ist befremdend. An den letzten Parlamentswahlen im 2012 hat die KPdU 13,18 Prozent der Stimmen erhalten. Gut möglich, dass es unter den KPdU-WählerInnen viele gibt, die der Sowjetunion nachtrauern. Doch das ist nicht einfach eine ewiggestrige Nostalgie, sondern hat sehr wohl mit Lebensrealitäten und mit der eigenen Identität zu tun. Für das "Nachtrauern" gibt es daher nachvollziehbare Gründe, die zu respektieren sind. Auch ist so ein Wahlresultat nur dann denkbar, wenn sich viele AktivistInnen unter widrigsten Umständen den Arsch aufreissen. Dies nicht nur vor den Wahlen; Voraussetzung für so ein Ergebnis ist eine gewisse gesellschaftliche Verankerung, die unter anderem auf einer täglichen, politischen, harten Knochenarbeit über Jahre hinweg beruht. Man muss die politischen Ansichten der AktivistInnen und WählerInnen der KPdU nicht teilen. Doch sie als "Menschen, die es nicht mehr gibt" zu bezeichnen, ist doch fragwürdig, um es nett auszudrücken.


Alles nur LügnerInnen?

Gleich nach dem Sturz der gewählten Regierung wurde die Zentrale der KPdU besetzt und praktisch vernichtet, die KPdU sowie die Feierlichkeiten zum 1. Mai verboten. Regionale Parteilokale gingen in Flammen auf, AktivistInnen wurden bedroht, verfolgt und massiv zusammengeschlagen. Eine richtige Hetze gegen KommunistInnen wurde von faschistischen Kräften in Gang gesetzt. Die Geschichte lehrt - nicht nur jene im Deutschland der 30er Jahre, ein Blick in die Geschichte Lateinamerikas würde hier auch nicht schaden -, dass überall dort, wo reaktionäre Kräfte die Macht mit Hilfe von imperialistischen Staaten ergriffen haben, als erstes die radikalen linken Organisationen und Parteien buchstäblich mit Terror eliminiert wurden. Einfach so aus Spass? Oder aus einem ganz bestimmten Grund, der sich mit dem Begriff "Widerstand gegen den Faschismus" beschreiben lässt? Dieses bekannte Muster ist auch in der Ukraine eine Realität. Opfer dieser Gewalt wurden viele antifaschistische AktivistInnen der Kommunistischen Partei. Menschen, die es nicht mehr gibt?

Huz schreibt, dass sich die KPdU zwar "rhetorisch sozialkritisch und emanzipatorisch gibt, tatsächlich aber ist sie nichts als eine weitere ukrainische Systempartei, die den korrupten Oligarchen-Staat wacker mitträgt. Symonenko (Sekretär der Partei) selbst schwimmt im Geld und hat sich dafür eine gigantische Villa - inklusive einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg in seinem Garten - errichtet."

Weil der Chef der Partei in einer Villa wohnt, ist alles nur Rhetorik und trägt zum Erhalt des korrupten Machtsystems bei? Etwas gar einfach erklärt! Wo wohnen die meisten der 13,18 Prozent, welche die KPdU gewählt haben? Auch in einer Villa mit Bunker? Schwimmen sie auch im Geld, oder werden sie tagtäglich ausgebeutet? Zu behaupten, alles sei nur Rhetorik suggeriert auch, dass die Partei nur aus lauter LügnerInnen besteht. Konkret: Die Genossin Olga in Kiew, die an einer Standaktion der Partei teilnimmt, ist eine Lügnerin, denn eigentlich will ihre Partei - und daher sie ja auch - den korrupten Oligarchie-Staat aufrechterhalten. Und so wie Olga sind alle ParteiaktivistInnen. Eine Pauschalverurteilung, die wohl kaum der Realität entspricht.


Die "Stalin-Keule"

Huz belehrt die LeserInnen, es sei ein "Irrtum" zu glauben, dass sich die "Zerstörung sowjetischer Denkmäler gegen die Arbeiterklasse richtet". Die Macht der Symbolik zu unterschätzen, ist ein Fehler. Wenn Lenin-Statuen vom Sockel gerissen werden, richtet man sich direkt gegen Ideen und Ideale, die mit der Arbeiterklasse eng verbunden sind, gegen kommunistische Gesellschaftsvorstellungen, gegen die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, die aus antikapitalistischen, antifaschistischen und antiimperialistischen Kämpfen besteht. Daher viel mehr, als "nur" gegen die Arbeiterklasse! In zwei Sätzen erklärt huz dann den "Geschichtsrevisionismus" der KPdU durch ihre Haltung zu Stalin. Somit will er wohl definitiv und unwiderruflich bewiesen, dass von dieser Partei nichts, aber auch gar nichts Gutes, kommen kann. Ich stelle dies in Frage, denn zum Beispiel liest sich die Forderung der Partei nach einer "politischen Reform zur Abschaffung der Präsidentschaft und zur Bildung einer parlamentarischen Republik, bei wesentlicher Erweiterung der Rechte der regionalen Gemeinschaften" ganz vernünftig. Bin ich jetzt ein Stalino? Die "Stalin-Keule" ist ein antikommunistisches Stereotyp und keineswegs gleichzusetzen mit einer Auseinandersetzung über den Stalinismus. Ersteres stellt KommunistInnen gezielt pauschal in die Ecke des Unrechts, letzteres ist eine wichtige Aufgabe der KommunistInnen; ersteres kennen wir seit Jahrzehnten bestens aus der bürgerlichen Presse, letzteres sollten wir im vorwärts fördern und dafür können wir die "Stalin-Keule" nur schlecht gebrauchen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 17/18 - 70. Jahrgang - 9. Mai 2014, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2014