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VORWÄRTS/1029: Die Annahme der Zuwanderungsinitiative


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.25/26 vom 4. Juli 2014

Schaden wir der Wirtschaft!

Von David Hunziker



Die Annahme der Zuwanderungsinitiative ist für die SVP ein Segen. Weil Staat und Parteien noch länger mit ihrer Umsetzung beschäftigt sein werden, erhält sie sich so ihre Dominanz im politischen Diskurs. Linke Positionen haben darin höchstens noch in grotesk verzerrter Form Platz.


Niemand ist öfters zu Gast in der Polittalkshow "Arena" als Christoph Blocher. Nachdem der SVP-Politiker aus dem Nationalrat zurückgetreten war, hat ihm das Schweizer Fernsehen sogar eine ganze Sendung gewidmet. Auch letzten Freitag durfte sich Blocher in Leutschenbach wieder in den Ring stellen und hat bei dieser Gelegenheit gezeigt, dass weiterhin mit ihm zu rechnen ist. Obwohl die SVP immer wieder über den "linken Staatssender" klagt, hatte Blocher das Medium an diesem Abend fest im Griff. Wenn er mit seinem Stammtisch-Gestus zu ausladenden, gemächlich vorgetragenen Geschichten darüber anhob, wie schlecht es der Schweiz aufgrund der Zuwanderung gehe, mochte Moderator Urs Wiedmer jedenfalls nur noch andächtig zuhören.

Einer, der ab und zu energisch versuchte, Blocher im Zaum zu halten, war SP-Nationalrat und Unia-Gewerkschafter Vasco Pedrina, der in der Diskussionsrunde keinen leichten Stand hatte. Debattiert wurde nämlich über den Vorschlag des Bundesrats zur Umsetzung der Zuwanderungsinitiative, der eine Woche zuvor vorgestellt wurde. Anhand der "Arena"-Diskussion lässt sich gut zeigen, wie Blocher und seine Mannen den politischen Diskurs in der Schweiz derzeit im Würgegriff halten. Wohl oder übel geraten auch "linke" PolitikerInnen in diesen Würgegriff, wenn sie im Staat ihre Verantwortung übernehmen wollen, wie man so schön sagt.


Sommaruga gegen die Zuwanderung

Das beginnt bei SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Um sich als Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements zu profilieren, scheint sie ihren Job besonders gut machen zu wollen. Sie pocht dazu auf eine baldige und strenge Umsetzung der SVP-Initiative zur Reduktion der Zuwanderung. Die Bereitschaft eines Grossteils der PölitikerInnen zur Reduktion der Zuwanderung geht so weit, dass sogar die SVP selber kalte Füsse bokommt, wie das Verhalten Toni Brunners in der vorletzten "Arena" vermuten liess: Die Zuwanderung wirklich reduzieren will auch die SVP nicht wirklich, vielmehr sollen Zugewanderte ihrer Rechte beraubt werden - also doch nur eine neoliberale Reform.

Eine SP-Bundesrätin, die der Zuwanderung einen Riegel schieben will, so könnte man zuerst vermuten, ist eine reichlich widersprüchliche Konstellation. Doch eine Beschränkung der Zuwanderung hat sie bereits gefordert, als sie noch gar nicht im Bundesrat sass. Im "Gurtenmanifest, der programmatischen Schrift zur Zukunft der SP, die 2001 erschien und von Sommaruga mitverfasst wurde, heisst es: "Die SP sucht nach einer Einwanderungspolitik, welche die längerfristigen Landesinteressen mit sozialer Verantwortung verbindet. Ziel dieser Politik ist die Integration. Damit Integration möglich ist, muss die Zahl der ZuwandererInnen von ausserhalb des EU-Raums begrenzt werden." Die visionäre Idee, sich mit Zuwanderungsbeschränkungen politisch positionieren zu können, hatte Sommaruga also auch für die SP, gepunktet hat mit dem Thema jedoch immer die SVP.


Gewerkschafter im Würgegriff

In eine etwas andere Rolle geriet Gewerkschafter Pedrina. Wenn er selbst am Zug war, betonte er, dass es keine Probleme mit der Zuwanderung gäbe, wenn die Arbeitsbedingungen in der Schweiz besser wären. Wenn in Form von Roland Müller, dem Direktor des Arbeitgeberverbands, die Gegenseite dann das Wort übernahm, sah dies geradezu nach einer Aneignung linker Positionen aus. Müller sprach von Krippenplätzen, Tagesschulen und der Förderung von Frauen und älteren Menschen. Der Schweizer Wirtschaft geht es gut, sie braucht viele Arbeitskräfte. Weil ihr diese nun vorenthalten werden sollen und zudem ein Inländervorzug gilt, müssen die zuvor verdrängten Reserven angezapft werden.

Pedrina wies diese soziale Charmeoffensive des Kapitalisten-Führers nicht etwa zurück, sondern bot sich in guter sozialpartnerschaftlicher Manier als Bündnispartner der Wirtschaft gegen die Rechtskonservativen an: freier Personenverkehr mit flankierenden Massnahmen lautet hier das Zauberwort. Es war geradezu befremdlich zu sehen, wie gut sich Müller und Pedrina verstanden. Zwar ist diese Allianz ein Tiefpunkt, Pedrina liegt aber richtig, wenn er die Annahme der SVP-Initiative zum Anlass nimmt, auf sozialer Gerechtigkeit zu insistieren.


Gegen den nationalen Standort

Der deutsche "Spiegel" hat sich nach der Abstimmung vom 9. Februar erstaunt gefragt, wie es möglich sei, dass die Mehrheit der BürgerInnen eines derart reichen Landes wie der Schweiz davon überzeugt sind, ihre Sicherheit und ihr Wohlstand seien durch die Zuwanderung bedroht. Obwohl berechtigte Existenzängste hier dünn gestreut sind, ist diese Behauptung nicht absurd: Das Ergebnis vom 9. Februar zeugt nicht bloss von Fremdenhass, sondern auch von einem Unbehagen gegenüber dem Kapitalismus. Das Volk hat sich für einen planwirtschaftlichen, offensichtlich wachstumsschädigenden Eingriff in die Wirtschaft entschieden, um die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt drastisch einzuschränken. Blocher darf der Wirtschaft schaden. Wenn er davon redet, zu viel Wirtschaftswachstum sei schädlich und man könne auf Handelsabkommen mit der EU verzichten, dann gewinnt er gegen eine Front aus allen Parteien und Wirtschaftsverbänden. Statt im Namen eines starken Standorts mit guten Löhnen eine Allianz mit der Wirtschaft zu suchen, sollte sich die Linke hier ein Beispiel an Blocher nehmen und sich wieder vermehrt das Recht herausnehmen, der Wirtschaft zu schaden und dies auch offen zu propagieren.

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Quelle:
vorwärts .• die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26 - 70. Jahrgang - 4. Juli 2014, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2014