Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


VORWÄRTS/1104: Kreativität statt Kunst


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 17/18 vom 8. Mai 2015

Kreativität statt Kunst

Von Thomas Schwendener


Vor zwei Wochen hat die Gruppe Konverter einen Diskussionszyklus über das Verhältnis von Kunst und Revolution begonnen. Der vorwärts sprach mit Albrecht Füller, einem der Gründungsmitglieder, über Politik, Kunst und befreite Kreativität.


vorwärts: Wann und mit welchem Anspruch hat sich die Gruppe Konverter gegründet? An wen richtet sich eure Aktivität? Stell doch kurz die Gruppe und ihre kreative Praxis vor.

Albrecht Füller: Die Kerngruppe besteht schon seit 2007. Wir stammen aus unterschiedlichen Zusammenhängen, aber das Gemeinsame war, dass wir alle nebenher irgendwie kreativ tätig waren. Wir waren StudentInnen, Angestellte oder ArbeiterInnen, hatten nebenher aber alle etwas, in das wir Energie steckten. Wir begannen konkret, unsere Sachen aus der Schublade zu nehmen, uns zu zeigen und zu diskutieren. Wir hinterfragten unsere Rollen und unsere Vorstellungen. Wir empfanden uns nicht als KünstlerInnen, aber wir waren irgendwie in dem Bereich tätig. Wir empfanden diese Tätigkeit aber auch nicht bloss als ein Hobby, denn es ging uns nicht darum, im Kleinen für uns das zu wiederholen, was professionelle KünstlerInnen im Grossen machten. Neben der Frage: "Was machen wir hier eigentlich?" - stellten wir uns die Frage: "In welchem Zusammenhang steht das alles?" Wir sehen solche kreativen Erzeugnisse auch nicht als "Werke", sondernm suchen nach dem Zusammenhang mit unserem eigenen Leben.


vorwärts: "Das Bürgertum organisiert alle kreative Tätigkeit als Profession und isoliert sie in einem eigenen System namens Kunst", paraphrasiert ihr Peter Bürger. Gegen das Spezialistentum und die Isolation der Kunst soll die Kreativität der Massen entfesselt werden. Wie kann man sich das vorstellen?

Albrecht Füller: Ich würde hier auf die verschiedenen Bewegungen hinweisen, die wir zitieren, insbesondere aber auf den russischen Proletkult in seiner frühen Phase, also von 1917 bis 1921. Die Initiative zur Gründung dieser Organisation kam von den Arbeiterräten selber. Der Gedanke ergab sich ganz organisch: Wir übernehmen die Fabriken, die Produktion; wir übernehmen die gesellschaftliche Führung, ganz nach dem Prinzip "Alle Macht den Sowjets". Denkt man das Prinzip der Arbeiterkontrolle weiter, die Übernahme der Gesellschaft, ergibt sich zwangsläufig die Frage, was denn mit dem Theater, mit den Museen geschehen soll. Ein Beispiel: Als nach der Oktoberrevolution ArbeiterInnen, Matrosen und Soldaten das erste Mal in die Theatersäle strömten, riefen sie in die Vorstellung hinein. Sie skandierten, sie begannen zu singen, weil sie keine Erfahrung mit dem Theater hatten. Sie scherzten, kommentierten, brachten sich mit ihrer eigenen Art ins Theater ein. Die SchauspielerInnen waren überfordert und konnten damit nicht umgehen. Diese neue Zuschauerschicht kam mit anderen Vorstellungen in den Saal: Die ArbeiterInnen gingen schliesslich auf die Bühne: und fingen an, selber vorzutragen, zu spielen, ganz einfach, weil sie auch spürten, was ihr eigenes Milieu eigentlich verhandelt sehen möchte.

Das Beispiel ist zwar historisch und steht im Zusammenhang mit einer wirklichen Revolution. Es ist aber exemplarisch, weil es aufzeigt, welche Dimensionen und Bedeutung eine Bewegung haben kann, die parallel auf dem kulturellen Gebiet das Prinzip der Arbeiterkontrolle vertritt. Der Proletkult hatte je nach Angaben 400.000 bis: 500.000 Mitglieder, und war damit mengenmässig auf Augenhöhe mit der bolschewistischen Partei. Lunatscharski hat das entsprechend formuliert: Neben Partei und Gewerkschaft war der Proletkult die dritte grosse Macht in der jungen Sowjetunion. Wichtig erscheint mir hier auch, darauf hinzuweisen, dass der Proletkult neben Partei und Gewerkschaft tätig war, also unabhängig und diesen nicht untergeordnet. Dies ist ein organisatorisches Muster, das wir immer wieder antreffen und das eine Kategorie eines solchen proletarischen Zugangs ausmacht. Das Interessante ist, dass sich hier ganz allgemein plötzlich verblüffende Parallelen zur Kunst aufdrängen: Das Prinzip einer politischen Avantgarde wird in der Kunst wiederholt, als ästhetische Avantgarde. Der Revolutionär als Professioneller ist hier ebenso problematisch wie der Kreative als Professioneller.


vorwärts: In eurem Zyklus spielen auch Guy Debord oder einige der "Frankfurter" wie Herbert Marcuse und Theodor W. Adorno eine Rolle. In diesem Teil wird es vermutlich um die Funktion und Produktion der Kunst im bestehenden gesellschaftlichen Verhängnis gehen. Wie total ist denn die kapitalistische Präformation der Kunst heute? Wie kommt sie zustande und wie kann sie durchbrochen werden? Ist ein Durchbrechen dieser Formen ohne umfassende Revolutionierung der sozialen Verhältnisse überhaupt denkbar?

Albrecht Füller: Auf die letzte Frage: Nein. Die Formen existieren ja nicht unabhängig von einer kapitalistischen Gesellschaft. Das ist gerade ein häufiger Denkfehler innerhalb des Systems Kunst: Dass die Erneuerung der Formen zu einer Erneuerung darüber hinaus führen könnte. Die Re-formierung innerhalb der Kunst führt bestenfalls zu einer Reformierung der Gesellschaft. Marcuse hat das ja auch gut ausgeführt, diesen "affirmativen Charakter der Kunst". Viele Kunstschaffende haben Mühe, sich das einzugestehen. Die Analyse der eigenen Position fällt schwer, weil die Kunst selbst die Mittel zur Verfügung stellt, den Zustand zu verklären. Wer als KünstlerIn oder in der Kulturindustrie seine Arbeitskraft oder sein Produkt als Ware anbietet, idealisiert die Warenform gleichzeitig. Wir begegnen im Bereich der kreativen Arbeit unglaublich miesen Arbeitsbedingungen, prekären Lebensverhältnissen und einem erschreckenden Grad an Selbstausbeutung, die in anderen Bereichen niemals toleriert würden. Hier ist man tatsächlich noch glücklich und dankbar, wenn man ein unbezahltes Praktikum erhält, oder 80 Stunden in der Woche arbeiten muss. So etwas kann man nur aushalten, wenn die eigenen Hoffnungen auf ideologischem Grund aufbauen. Von daher ist es unerlässlich, dass jene, die dem gängigen Verständnis von kreativer Tätigkeit als Kunst verfallen, sich selbst hinterfragen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Position und Bedeutung - und gleichzeitig dass jene, die diesen Schritt bereits vollzogen haben und zu einer revolutionären Perspektive gelangt sind, ein Verständnis von kreativer Tätigkeit anbieten, das eben nicht zur Kunst führt. Das klingt kompliziert, aber eigentlich geht es darum: Die Selbsttäuschung als Täuschung aufzudecken, um damit Ent-täuschung herzustellen. Die Kunst abschaffen, aber gleichzeitig Formen kreativer Tätigkeit für Alle zu ermöglichen.


Die nächsten Daten des Diskussionszyklus sind der 30. Mai und der 27. Juni. Man trifft sich jeweils um 14 Uhr in der Garage Konverter an der Fellenbergstrasse 239 (Station Sackzelg). Genauere Infos findet man auf der Homepage der Gruppe:
https://konverter.wordpress.com

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 17/18 - 71. Jahrgang - 8. Mai 2015, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang