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VORWÄRTS/1127: Die Türkei treibt Krieg


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 29/30 vom 28. August Nr. 5/6 vom 13. Februar 2015

Die Türkei treibt Krieg

Von Tarek Idri


In Syrien kämpft das AKP-Regime gegen die Rojava-Revolution, gegen den syrischen Staat und ein bisschen gegen den IS. Im Nordirak bombardiert es Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Und in der Türkei verfolgt es linke und kurdische AktivistInnen.


Vor etwas mehr als einem Monat wurden bei einem Anschlag des Islamischen Staats (IS) in der südtürkischen Grenzstadt Suruç nahe Syrien über 30 junge SozialistInnen getötet. In beispiellosem Zynismus nutzte die AKP-Regierung unter Recep Tayyip Erdogan das Massaker aus, um einen Krieg gegen innere wie äussere Feinde des Regimes zu starten. Es seien "Spannungen im Nachbarland" für den Anschlag verantwortlich, die den "inneren Frieden" der Türkei gefährden würden, liess Ministerpräsident Ahmed Davutoglu verlauten.

AKP unterstützt IS

Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien im Frühling 2011 hat die AKP-Regierung durch ihre Unterstützung von islamistischen RebellInnen zur Eskalation, zu diesen "Spannungen" einen mächtigen Beitrag geleistet. In den letzten Jahren wurden erwiesenermassen Tausende KämpferInnen und Hunderte Waffentransporte durch den türkischen Militärgeheimdienst (MIT) ins Grenzgebiet in den südlichen Nachbarstaat geschleust. Im Januar 2014 flog ein solcher vom MIT begleiteter Waffentransport auf, als er von der türkischen Polizei selber entdeckt und gestoppt wurde.

Die AKP-Regierung liess die islamistischen KämpferInnen das Grenzgebiet zu Syrien als Rückzugsort und zur Behandlung der Verwundeten nutzen.

Nahostexpertin Karin Leukefeld erklärt, die Unterstützung der islamistischen Kampfverbände hätte zum Zweck, "sowohl die syrische Regierung zu stürzen als auch gegen die zunehmend selbstbewusst auftretenden nordsyrischen Kurden vorzugehen". Die fortschrittlichen Kräfte in Rojava stellen für den türkischen Imperialismus nämlich ein zweifaches Problem dar. Einerseits tritt die führende kurdische Partei in den autonomen Gebieten, die PYD, für eine gewaltfreie, politische Lösung ohne ausländische Einmischung zwischen Opposition und Regierung in Syrien ein, was für die Türkei, den Westen und die Golfstaaten keine Option ist. Noch im Juli haben die USA und die Türkei wieder eine Gruppe neu ausgebildeter KämpferInnen in den Krieg gegen den IS nach Syrien geschickt.

Andererseits erhielten die KurdInnen in Rojava, aber auch die PKK, für ihren konsequenten Kampf gegen den IS zunehmend internationale Anerkennung, während die Unterstützung des IS die Türkei in eine aussenpolitische Isolation führte. Die Türkei fürchtete daher die Möglichkeit eines kurdischen Staates.

Intervention In Syrien

Am 24. Juli startete die türkische Regierung ihre Intervention in Syrien. Kampfflugzeuge griffen mehrere Ziele des IS an und zerstörten Stützpunkte. Der türkische Ministerpräsident Davutoglu erklärte, diese Einsätze seien "kein Einzelfall" und würden fortgeführt. Ein paar Tage später eröffnete Davutoglu die wirklichen Hintergründe der Einsätze: man sei nun zwar auch gegen den IS angetreten, aber die "Wurzel" des Problems sei die Regierung Baschar al-Assads in Damaskus.

In einem Telefongespräch einigten sich US-Präsident Barack Obama und Erdogan, dass die US-geführte Anti-IS-Allianz ab August den Luftwaffenstützpunkt Incirlik auf türkischem Boden nutzen kann.

Im Gegenzug darf Erdogan eine Pufferzone und möglicherweise noch eine Flugverbotszone im Norden Syriens einrichten. Die Pufferzone soll als Rückzugsraum für die von der Türkei gehätschelten IslamistInnen der "Ahrar al-Scham" dienen. Seit längerem wird von Ankara versucht, die Gruppe dem Westen als "moderate Rebellen" für einen Regime-Change in Syrien zu verkaufen. In Wirklichkeit ist diese Gruppe mit al-Qaida verbündet und hat wie der IS einen islamistischen "Gottesstaat" zum Ziel.

Einen Tag nach der Intervention in Syrien weitete die Türkei ihren Krieg aus auf eine weitere Front und begann mit der Bombardierung von Stützpunkten der PKK im Nordirak.

Auch im Norden Syriens, wo sich die türkischen Angriffe offiziell nur gegen den IS richten, meldete die YPG mehrfachen Beschuss ihrer Stellungen durch türkische Panzer. Angesichts dessen löste die PKK ihren Waffenstillstand mit der Türkei auf, der vor zweieinhalb Jahren in Kraft getreten war. Danach kam es in verschiedenen kurdischen Provinzen zu Vergeltungsanschlägen der PKK gegen Einrichtungen und VertreterInnen des türkischen Staats.

Repression gegen Linke

Zeitgleich zur Intervention in Syrien und zu den Angriffen gegen die PKK im Nordirak startete die AKP-Regierung eine Offensive gegen Linke und kurdische AktivistInnen im eigenen Land und im geringeren Masse gegen IS-SympathisantInnen. Während einer der ersten Razzien, die grossangelegt in mehreren türkischen Städten durchgeführt wurden, kam eine Aktivistin der marxistisch-leninistischen DHKP-C ums Leben. Mittlerweile sind bei Razzien weitere Menschen getötet worden. Bei der Mehrheit der inzwischen weit über 1000 Festgenommenen handelt es sich um Mitglieder der im Parlament vertretenen linken prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), der PKK-Jugendbewegung sowie sozialistischer Gruppierungen wie der DHKP-C.

Nachdem die HDP bei den vergangenen Wahlen die Zehn-Prozent-Hürde überschreiten konnte und damit Erdogans AKP die absolute Mehrheit vermasselte, könnte eine Schwächung der Partei oder gar ein Verbot die Mehrheitsverhältnisse für Erdogan wieder herstellen. Bereits wurde die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten der HDP beantragt, um diese aufgrund angeblicher Verbindungen zu "terroristischen Organisationen zur Rechenschaft zu ziehen".

Ein linker Aktivist erklärte gegenüber einem Istanbuler Journalisten, dass es nur eine Antwort der türkischen und kurdischen Linken geben könne: "Wir müssen zum aktiven, auch bewaffneten Kampf übergehen. Sonst werden alle reaktionären Organisationen wie der IS oder auch der faschistische türkische Staat sich durch ihren Terror bestätigt fühlen und immer aggressiver und skrupelloser werden."

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 29/30 - 71. Jahrgang - 28. August 2015, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2015

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