Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


VORWÄRTS/1202: "Es geht um die Überwindung der Kunst" - Interview mit Zürcher Kunstgruppe Konverter


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 25/26 vom 1. Juli 2016

"Es geht um die Überwindung der Kunst"

Interview von Thomas Schwendener


Die offene Kunstgruppe Konverter gibt es seit bald 10 Jahren. Ursprünglich hat sich das Kollektiv zusammengeschlossen, um über Kunst, Kultur und Politik zu diskutieren. Mittlerweile haben sich die Aktivitäten der in Zürich ansässigen Gruppe ausgeweitet: Neben Diskussionszyklus und regelmässigen Veranstaltungen agieren die Mitglieder auch fleissig in den verschiedenen Bereichen der kreativen Praxis.



Vorwärts: Die Gruppe Konverter scheint ein ziemlich bunter Haufen von subversiven Kreativen zu sein. Stellt doch kurz die Gruppe und ihre Aktivitäten vor.

A: Es ist sehr banal: Wir treffen uns regelmässig, sprechen über den Alltag, die Arbeit, über Gesellschaft und Politik; wir diskutieren Kunst, die Kulturindustrie, Filme und Bücher...

G: Und trinken Bier. So subversiv sind wir gar nicht.

A: Ja, wir sind ein Bierkränzchen. Zwischendurch publizieren wir dann etwas, organisieren eine Lesung von eigenen Texten, spielen selber Theater in Kneipen oder zeigen Filme. Organisieren Diskussionen oder Ausstellungen zu den Sachen, die uns interessieren. Wir machen das alles freizeitlich und selbstständig, nicht als professionelle Kreative.

D: Wir sind eigentlich nicht viel mehr als dem
alten Sponti-Aufruf nachgekommen, dem "Bildet
Banden!" Alles ist strikt anti-kommerziell und Jede
und Jeder kann mitmachen.


Vorwärts: Der Zusammenhang von Politik und der Praxis im Kunstbereich ist bei euch ein wichtiges Thema. Zudem kritisiert ihr, dass die revolutionäre Linke der Kunst zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Warum ist dieser Zusammenhang wichtig und warum sollte sich die revolutionäre Linke dem Bereich stärker widmen?

A: Uns geht es um eine kritische Haltung zu Kunst. So haben wir damals begonnen. Ein paar von uns kommen aus der revolutionären Linken, ein paar nicht. Aber wie gesagt: Wir schreiben, wir zeichnen, wir spielen Theater, wir machen diese Sachen gerne. Gleichzeitig wollten wir aber auch über diese Dinge diskutieren. Unter Linken sind solche Gespräche häufig anrüchig und bei den Kunstschaffenden ist keine Bereitschaft vorhanden, die eigene Rolle kritisch zu hinterfragen. Wir versuchen da halt bloss, die Diskussion über Kunst vom Kopf auf die Füsse zu stellen. Vermutlich muss man sich nicht mit diesen Sachen auseinander setzen - aber wir möchten es und machen es. Es hat auch viel mit der Geschichte der Arbeiterbewegung zu tun.

D: Schon Eisenstein hat sinngemäss gesagt, dass man die Masse nur mittels Kunst für die Revolution begeistern kann.

A: Es geht nicht nur um Kunst, es geht um deren Rolle für das Bürgertum. Oder das Verhältnis von Kunst und Kulturindustrie. Wie gesagt, ich würde verneinen, dass die Linke sich stärker diesem Bereich zuwenden muss, aber wir beschäftigen uns mit diesem Bereich und bieten Allen diese Sachen an.

G: Ich finde, es geht doch um mehr: Ich finde viele dieser Diskussionen unter AktivistInnen und RevoluzzerInnen unglaublich öde. Die Sätze sind lang, verschachtelt, kompliziert. Ich finde, wir müssen da weg kommen, von diesen ewig langen Texten, die akademisch daherkommen. Ohne gleich bei platten Slogans zu landen.


Vorwärts: Eigentlich mögt ihr den Begriff der Kunst nicht wirklich und setzt ihn auf eurer Webpräsenz in Anführungszeichen. Ihr sprecht stattdessen in der Einleitung eures Readers von der "kulturellen Praxis kreativen Massenausdrucks". Was ist eure Kritik am Kunstbegriff und was wäre das positive Gegenstück dazu?

G: "Kunst" ist zu vereinheitlichend als Begriff. Wenn ein gediegener Salonanlass, zu dem nur die Elite der Gesellschaft zusammen kommt, um der privaten Lesung eines arrivierten Dichters zuzuhören, unter den selben Begriff fällt wie die Gedichte eines Holzfällers, die er für sich schreibt, oder die Gesänge einer Mannschaft Matrosen, wird das Problem fühlbar.

D: Wenn man jetzt den Standpunkt einnimmt, der Holzfäller solle nicht schreiben, weil er in der Kunst nichts verloren habe, wird es politisch. Da gleichen sich gewisse RevoluzzerInnen und Bürgerliche.

A: Genau. Etwa die Wobblies und der Proletkult zum Beispiel haben gezeigt, wie es aussieht, wenn ArbeiterInnen ihre eigene Kunst und Kultur schaffen. Egal ob man das, was in der Arbeiterbewegung an kreativer Selbstermächtigung vorhanden ist, als "Kunst" oder als etwas anderes bezeichnet: Es bricht mit den Vorstellungen des Bürgertums, aber auch mit dieser konservativen Haltung in der Linken, nämlich dass "Kunst" eine Sache von talentierten Experten allein sein soll.


Vorwärts: Ihr habt kürzlich folgerichtig die Dilettantistische Internationale gegründet. Der Dilettantismus ist die Aneignung der Welt durch jene, die sonst immer vertreten werden. Programmatisch heisst es im entsprechenden Manifest: "Der Dilettant macht die Dinge selber, anstatt sie einem Experten zu überlassen." Das ist im Hinblick auf eine Gesellschaft der Trennung und Spezialisierung erstmal sehr sympathisch und bricht mit der Ideologie des Stellvertretertums, das auch in der Linken sehr verbreitet ist. Warum ist euch das wichtig?

D: Letztlich ist es banal und wir haben es bei der russischen Revolution gesehen: Als die ArbeiterInnen und Soldatensowjets begannen, die Kontrolle über die Gesellschaft zu übernehmen, die Fabriken, die Regierung - da übernahmen sie auch die Kunst-Institutionen. Und genau wie in Ökonomie oder Politik, wollten sie auch die Ebene der Kunst nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen umgestalten. Für die ArbeiterInnen selbst war es ein logischer Schritt bei ihrer Revolution, vor der Kunst nicht haltzumachen. Es geht um das Prinzip der Arbeiterkontrolle, und dass dieses auch für die Institution Kunst gilt.

G: Vor allem sollen die Leute sich nicht aufs Konsumieren beschränken, sondern selbst mal den Hintern bewegen.

A: Das ist vielleicht ein bisschen platt, aber es trifft den Kern.

G: Man muss vielleicht auch noch erwähnen, dass wir, bei aller Sympathie für künstlerische Arbeiterbewegungen, schlecht für die Arbeiterschaft sprechen können. Wir sind Studentenpack.

A: Du vielleicht. Wir sind trotzdem alle gezwungen, unsere Arbeitskraft zu verkaufen. In dem Sinne sind wir Teil des Proletariats wie alle anderen.


Vorwärts: Gewisse Bereiche müssen vermutlich professionell organisiert werden. Einen dilettantischen Neurochirugen liesse ich nur ungern an mein Gehirn. In anderen Bereichen scheint das Expertentum die notwendige Selbstermächtigung der Masse künstlich zu verhindern. Ist der Dilettantismus auf den Bereich der kreativen Praxis beschränkt? Oder auf welche anderen Bereiche liesse sich der Dilettantismus ausdehnen?

A: Unser Dilettantismusbegriff behauptet nicht, dass ein Dahergelaufener es gleich gut machen kann wie einer, der Jahrzehnte an Erfahrung hat. Wir verstehen den Begriff des Dilettantischen nicht in seiner abwertenden Form, also als Synonym für Pfusch und Schindluder. Wir sehen das eher entlang der Idee von: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen." Ein dilettantistischer Hirnchirurg ist kein schlechterer Hirnchirurg, wenn er die selben Fähigkeiten und Erfahrungen hat, aber es ihm an Titel, Prestige oder Expertenruf mangelt.

G: In dem Sinne sind im Dilettantismus eigentlich alle anderen Bereiche der Gesellschaft mitgemeint. Uns war es auch wichtig, als wir das Manifest des Dilettantismus schrieben, dass klar drinnen steht, dass es sich nicht um eine Kunsttheorie handelt.

A: Im Gegenteil geht es ja um die Überwindung von "Kunst", ebenso wie es um die Überwindung der gängigen Ökonomie und Politik geht.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26 - 72. Jahrgang - 1. Juli 2016, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang