Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


VORWÄRTS/1248: "Davon können wir hier nur träumen"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 45/46 vom 23. Dezember 2016

"Davon können wir hier nur träumen"

Interview mit Professor Franco Cavalli von Damian Bugmann


Trotz US-Wirtschaftsblockade hält sich das Soziale Gesundheitssystem in Kuba. Ein Gespräch mit Franco Cavalli, Mitgründer von mediCuba-Suisse, Chefarzt und Professor für Onkologie, Präsident der Internationalen Krebs-Union und alt-Nationalrat vom linken Flügel der SP.


Wie begann die Solidaritäts- und Aufbauarbeit von mediCuba?

Kuba befand sich nach dem Verschwinden der Sowjetunion im sogenannten "Periodo especial". Auch drohte das vorbildliche kubanische Gesundheitssystem auseinanderzufallen, weil kein Nachschub aus den früher sozialistischen Ländern mehr kam und wegen der US-Blockade meistens auch keine Alternative vorlag. So erinnere ich mich zum Beispiel daran, dass fast alle strahlentherapeutischen Apparate bald zum Stillstand kamen, da keine Ersatzteile mehr zu bekommen waren. Mit mediCuba wollten wir vor allem versuchen, diese Engpässe zu beheben. Häufig mussten wir dabei Apparate einkaufen und dabei so tun, als ob diese für irgendein Schweizer Spital gedacht waren. Ansonsten weigerten sich die Produzenten, uns diese für Kuba zu liefern, aus Angst, dass sie von den USA mit sehr hohen Bussen bestraft würden.

Welches waren deine beeindruckendsten Erlebnisse?

Das Beeindruckendste, das ich in Kuba gesehen habe, sind die Ausbildungsstätten für behinderte Kinder: Ein sehr hoher Einsatz, der meistens eine Pflegefachperson pro Kind bedeutet. Davon können wir in der Schweiz nur träumen.

Wie sieht das kubanische Gesundheitssystem heute aus?

Kuba hat immer sehr viel in die Medizin, aber auch in die medizinische Forschung investiert und dies sogar während der sehr schwierigen Zeiten des "Periodo especial". Die Erfolge lassen sich dementsprechend sehen und sind heutzutage allgemein anerkannt. Die Weltgesundheitsorganisation hat seit langem das kubanische Gesundheitssystem als das Modell gepriesen, von dem alle Länder, vor allem im südlichen Teil der Welt, lernen sollten. Auch die zwei wichtigsten medizinischen Zeitschriften "Lancet" und das nordamerikanische "New England Journal of Medicine" haben häufig Artikel über die Erfolge des kubanischen Gesundheitssystems veröffentlicht. Die wichtigsten sind: Kuba hat die längste Lebenserwartung von Lateinamerika, die Neugeborenensterblichkeit ist mit der unsrigen vergleichbar und tiefer als in den USA, an den kubanischen Universitäten promovieren jedes Jahr acht Mal mehr ÄrztInnen als bei uns und viele südamerikanische PatientInnen lassen sich in Kuba behandeln.

Das kubanische Gesundheitssystem basiert auf Allgemein- und FamilienärztInnen. JedeR von ihnen ist zuständig für etwa tausend Personen. Meistens lebt der Arzt in einem Häuschen mittendrin in seiner "Gemeinde"". Dort hat er auch seine Praxis, in der auch immer mindestens eine Gesundheitsschwester arbeitet. Der Arzt muss sich proaktiv um die Gesundheit dieser Leute kümmern. Kommen sie nicht in seine Sprechstunde, dann muss er sie regelmässig aufsuchen, vor allem um sicherzustellen, dass sie bei den verschiedenen Vorsorgeprogrammen (Zuckerkrankheit, hoher Blutdruck, Krebs, usw.) mitmachen. Gibt es Probleme, werden die PatientInnen zwanglos der zuständigen Poliklinik oder dem nationalen Kompetenzzentrum zugewiesen. Da die ÄrztInnen keine materiellen Interessenkonflikte untereinander haben, erfolgt diese Zuweisung problemlos.

Welche Rolle spielen heute die Wirtschaftsblockade und das Abwerben von Ärztinnen?

All dies wurde trotz der amerikanischen Wirtschaftsblockade erreicht; sie ist leider aber noch die Hauptursache für die gelegentlichen Engpässe bezüglich Medikamente und Heilmittel, die immer wieder hie und da auftreten. Die grösste Herausforderung momentan besteht aber in der zunehmenden Auswanderung kubanischer ÄrztInnen, vor allem derjenigen, die hochspezialisiert sind. Zurzeit gibt es ja kein Hindernis mehr zur Auswanderung, nicht einmal für ÄrztInnen. Kubanische SpezialärztInnen bekommen deswegen sehr viele hochlukrative Offerten. Als Beispiel sei erwähnt, dass kürzlich Dubai eine ganze Equipe angeworben hat, die in Kuba Herztransplantationen vorgenommen hat. Löhne von einer halben Million Dollar pro Jahr werden dabei angeboten. Es ist somit verständlich, dass kubanische ÄrztInnen, die immer noch weniger verdienen als Leute, die in der Tourismusbranche tätig sind, dieser Versuchung nicht immer widerstehen können.

Welche Arbeit macht mediCuba heute?

MediCuba ist ja entstanden, um Lösungen für Probleme und Engpässe, die im kubanischen Gesundheitssystem wegen der Wirtschaftsblockade entstanden waren, anzubieten. Und obwohl viele Leute es nicht mehr wahrhaben wollen - die Wirtschaftsblockade der USA geht ja weiter -, bestehen viele dieser Probleme immer noch. So liefert mediCuba zum Beispiel Medikamente für die Behandlung von Kinderkrebskrankheiten, die von einem amerikanischen Monopolproduzenten hergestellt werden und deswegen in Kuba nicht erworben werden können. MediCuba-Europa, zusammen mit mediCuba-Suisse, hat gerade ein grosses Projekt begonnen, mit dem Instrumente zur molekularbiologischen Diagnose von verschiedenen Viruskrankheiten (Zika, Dengue, HIV, usw.) finanziert werden sollten, gesamthaft ein Projekt, das über fünf Jahre etwa 1,5 Millionen Dollar kosten sollte. Die genaue Kontrolle dieser Epidemien ist für Kuba nicht zuletzt wegen des Tourismus von entscheidender Bedeutung.

MediCuba finanziert sehr intensiv die Ausbildung von hochspezialisierten ÄrztInnen auch im Hinblick darauf, diejenigen zu ersetzen, die in der Zwischenzeit ausgewandert sind. Zudem finanziert mediCuba wichtige Instrumente, die wiederum ansonsten nicht gekauft werden könnten, für die kubanische Biotechnologie, die ja mehrere sehr innovative Medikamente bereits hat produzieren können. Auch wirtschaftlich ist unterdessen die Biotechnologie zu einer der wichtigsten Exportindustrien Kubas geworden.

Und last, but not least: mediCuba unterstützt sehr aktiv die Escuela Latinoamericana de Medicina, an der etwa 6000 Medizinstudentlnnen aus allen Entwicklungsländern weitgehend umsonst studieren, Kuba exportiert nicht nur sehr viele ÄrztInnen, sondern ist für viele Länder der wichtigste Ausbildungsort für ihre MedizinstudentInnen geworden. Trifft man irgendwo in einer versteckten Ecke des Urwaldes oder der Anden einen Arzt, kann man sicher sein, dass es sich entweder um einen kubanischen Arzt oder um einen Arzt, der in Kuba ausgebildet wurde, handelt. Die Hilfe von mediCuba gilt deswegen nicht nur der karibischen Insel, sondern der medizinischen Versorgung vieler armer Länder.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 45-46/2016 - 72. Jahrgang - 23. Dezember 2016, S. 11
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Januar 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang