vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 05/06 vom 21. Februar 2019
Zusammenkommen als kollektive Macht der Frauen
von Sabine Hunziker
Mit #WomensWave soll die Welt grösser, lauter und stärker als zuvor vereint werden, so schreiben es die Veranstalterinnen. Vereint gegen Diskriminierung und Gewalttaten - das wollen die AktivistInnen am globalen Women's March Jahrestag in Zürich. Der einzige Weg, wie der Welt die kollektive Macht als Frauen gezeigt werden kann, ist das Zusammenkommen.
"Gewalt an Frauen* ist kein kulturelles Problem, sondern ein
Gesellschafts-Problem. Gewalt gegen Frauen und Transgender Personen
findet auch hier in der Schweiz statt. Gewalt gegen Frauen* wird oft
als 'Kavaliersdelikt' abgetan. Leider findet häusliche Gewalt täglich
und überall statt. Frauen und LGBTQI+-Personen werden immer noch
vielerorts als Menschen zweiter Klasse behandelt, für die
Menschenrechte nicht unbedingt gelten müssen", das sagte Franziska
Egli Beller von Women's March Geneva vorgängig. Am Samstag, 19. Januar
2019 um 18 Uhr sammeln sich viele AktivistInnen, um zusammen zu
demonstrieren. Bald wird es dunkel beim Helvetiaplatz in Zürich, denn
die Sonne ist am Himmel verschwunden. Aber nicht lange bleibt es
schwarz, denn erste Lampions und Laternen, Lichterketten oder Fackeln
bringen Licht. Nach Sprechbeiträgen von unter anderem Tamara
Funiciello (Juso-Präsidentin), Anna Schmid (Frauen*streikkollektiv
Zürich 2019) oder Benjamin Zumbühl (Campax) direkt auf dem Platz, geht
die Demo los. Mehr als eine Stunde marschieren Einzelpersonen und
Gruppen Seite an Seite durch Zürichs Strassen. Bunte Transparente
flattern und AktivistInnen verteilen PassantInnen am Rand Flyer. Ohne
Zwischenfall kommt der Demonstrationszug später wieder beim Volkshaus
an, wo noch eine Party stattfinden wird. Aktuell steht aber im
Theatersaal - wenige Meter neben dem Eingang zum Volkshaus - eine ganz
andere Veranstaltung auf dem Programm. Jordan Bernt Peterson wird bald
hier sprechen, doch jetzt sind die schweren Türen verschlossen.
Polizeikastenwagen fahren hin, Beamte steigen aus und stellen sich vor
den Eingang. Jordan Peterson selber beschreibt sich als Kulturkritiker
und arbeitet als Professor für Psychologie in Toronto. Als Autor
zahlreicher antifeministischer Schriften vergleicht er Marxismus und
Neomarxismus mit Faschismus und Neofaschismus. Er lehnt ab, dass
Geschlechtsidentität und biologische Geschlechtlichkeit
unterschiedliche, voneinander unabhängige Konstrukte sind. In der
Praxis heisst das beispielsweise, dass er von Betroffenen gewünschte
spezifische Pronomen der dritten Person ablehnt. In Minderheitenschutz
und emanzipatorischer Gleichstellungspolitik sieht Peterson Formen
einer Identitätspolitik, durch welche die postmoderne Linke das
Fundament der westlichen Zivilisation untergraben will. Bald ist der
Platz vor der Polizeikette voll und die AktivistInnen veranstalten ein
sehr lautes Pfeifkonzert, das sicher auch bis in den Saal des
Theatersaals zu hören ist. Gut zu sehen, dass hier reaktionäre Hetzer
nicht ungestört auftreten können.
Der einzige Weg, wie wir der Welt unsere kollektive Macht als Frauen zeigen können, ist das Zusammenkommen: so schreiben es die VeranstalterInnen. Women's March Zürich und Women's March Geneva sind Teil einer globalen Bewegung, wo mehr als 100 Schwestervereine zusammenkommen. Der Begriff "Welle" steht für die Phasen in kollektiven Frauenprotesten. Sichtbar macht diese Metapher vor allem Hochphasen und Tiefpunkte von feministischem Aktivismus. So unterscheidet die Forschung drei Wellen neuerer Frauenkämpfe. Die erste Welle umfasst den bürgerlichen und sozialistischen Feminismus ab 1900, zu einer zweiten Welle wird der Feminismus in den 70ern gezählt und die dritte Welle begann Mitte der 80er Jahre. Kennzeichnend für die dritte Hochphase ist der feministische Aktivismus im virtuellen Raum in Form des Cyberfeminismus und die Verankerung von Frauenanliegen in nationalen und staatenübergreifenden Rechtssystemen und Institutionen. Unter HistorikerInnen werden diese Begrifflichkeiten rund um die feministische Welle allerdings weniger benutzt.
Zwar können mit dem Begriff "Welle" der Zusammenhang feministischen Handelns aufgezeigt und Momente beschrieben werden, in denen sich feministische Kämpfe verdichten. Es entspricht dem Bild von bewegtem Wasser, das mal höher oder tiefer schwappt. Ausgeklammert werden dabei wichtige Informationen bezüglich Verhältnissen der einzelnen Gruppen und Organisationen untereinander oder welche verschiedenen Ziele oder Vorstellungen innerhalb einer Welle bei den einzelnen AkteurInnen vorherrschen. Trotzdem haben die Veranstalter*innen beim Aufruf auf diese historische Wellenmetapher zurückgegriffen. Beabsichtigt wurde wohl, die aktuellen feministischen Aktivitäten als eine neue Hochphase des Frauenkampfes einzuordnen. Die Betonung, dass Women's Wave als "weltweite Welle", grösser, lauter und stärker als zuvor" sein wird, läutet also die vierte Welle des Feminismus ein. "The Women's Wave is Coming." Auch Julia Camara, Mitglied der nationalen Koordination des Frauenstreiks 2018 im Spanischen Staat und feministische Aktivistin von Anticapitalistas, spricht von einer dritten feministischen Welle. Die Aktivistin ist 2019 an einer Veranstaltung "Das Andere Davos" (organisiert von der Bewegung für den Sozialismus BFS) aufgetreten.
Ab 2013/14 sind vermehrt wieder antikapitalistische Kämpfe auch zu Frauenthemen gemacht worden. Allerdings gab es dabei bei linken Gruppen und Organisationen kaum sektorielle Forderungen, sondern es bildeten sich vielmehr Bewegungen gegen präfaschistische Entwicklungen auf dieser Welt wie beispielsweise in den USA oder in Brasilien. Camara spricht dabei von einer Feminisierung der Avantgarde, die jetzt am entstehen ist.
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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06 - 75. Jahrgang - 21. Februar 2019, S. 4
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2019
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