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VORWÄRTS/1446: E-Voting - Profit vor Sicherheit?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 05/06 vom 21. Februar 2019

E-Voting: Profit vor Sicherheit?

von Siro Torresan


Sollen Herr und Frau Eidgenosse in Zukunft mit ihrem Smartphone abstimmen können? Ja, sagt der Bundesrat, ja sagt auch die Schweizerische Post, nein sagen die InitiantInnen der Initiative "Für eine sichere und vertrauenswürdige Demokratie" oder kurz "E-Voting-Moratorium". Rund um die Frage des E-Voting ist Bewegung gekommen.


VertreterInnen von links bis rechts, IT-Kracks und AktivistInnen, viel breiter abgestützt kann das Initiativkomitee kaum sein, das am 25. Januar sein Anliegen der Presse vorstellte. Die Initiative "Für eine sichere und vertrauenswürdige Demokratie" verlangt ein mindestens 5-jähriges Verbot für E-Voting, daher auch die Bezeichnung "E-Voting-Moratorium". Das Moratorium kann nach dieser Frist vom Parlament aufgehoben werden. "Voraussetzung dafür wären neue E-Voting-Systeme, die sicher wie auch für den Stimmbürger einfach und ohne Fachkenntnisse überprüfbar sind. Für die elektronische Stimmabgabe sollen die gleichen Sicherheitsbedingungen wie bei der handschriftlichen Wahl gelten", ist auf der Website der Initiative zu lesen. Das Initiativkomitee ist der Ansicht, dass die Zeitspanne von fünf Jahren realistisch ist, um danach erstmals neue Lösungen zu prüfen, die "allenfalls sicheres und vertrauenswürdiges E-Voting ermöglichen."


Problemlos gehackt

Warum die Initiative? In der Schweiz treiben Bund und Kantone Projekte zur Einführung von E-Voting seit dem Jahr 2000 voran. 2004 kam E-Voting erstmals bei einer eidgenössischen Abstimmung versuchsweise zum Einsatz. Als Pionierkanton profilierte sich Genf, das ein eigenes E-Voting-System entwickelte, dem sich verschiedene andere Kantone angeschlossen haben. Das zweite, von mehreren Kantonen genutzte System, wird von der Schweizerischen Post getragen, die ihr Kernsystem bei einer spanischen Firma einkaufte.

Per Anfang 2019 waren es 14 Kantone, die E-Voting in irgendeiner Form getestet haben. Die Bilanz spricht deutlich gegen die Handydemokratie: Von den Testkantonen haben sich bereits mehrere aus dem Versuch zurückgezogen, vor gut einem Monat der Kanton Jura. Und: Der Kanton Genf hat die Aufgabe seines eigenen E-Voting-Systems nach über 10-jähriger Entwicklungszeit beschlossen, angeblich aus Kostengründen. Wobei: Das Genfer System war vom Chaos Computer Club Schweiz (CCC-CH) nach allen Regeln der Cyberkunst vorgeführt worden: "Dessen Hackerangriffe passierten das System, wie das heisse Messer durch die Butter geht. Der CCC-CH ist denn auch einer der vehementesten Befürworter des E-Voting-Moratoriums", hält das Initiativkomitee in der Medienmitteilung vom 7. Februar fest.


Bitte angreifen

Im lukrativen E-Voting-Geschäft bleibt also nur noch die Schweizerische Post mit ihrem System übrig - und die ging wenige Tage nach der Lancierung der Initiative zum Angriff über. "Die Schweizerische Post stellt ihr System vom 25. Februar bis am 24. März 2019 für einen öffentlichen Intrusionstest zur Verfügung", teilt der Bundesrat am 7. Februar mit. Die Regierung erklärt: "Interessierte Personen aus aller Welt können das System angreifen und so einen Beitrag zu seiner Sicherheit leisten." Bei einem Intrusionstest (auch Pentest genannt) wird die Sicherheit geprüft, indem das System angegriffen wird. "Mit dem öffentlichen Intrusionstest kann die Sicherheit nun zusätzlich durch eine Vielzahl von Personen geprüft werden", schreibt der Bundesrat, der zusammen mit den Kantonen diesen öffentlichen Intrusionstest als Voraussetzung festlegte, bevor ein "verifizierbares E-Voting-System" überhaupt eingesetzt werden kann. Konkret werden 400 Personen gesucht, die gegen Bezahlung versuchen, das System zu knacken. Die auf Intrusionstests spezialisierte Firma SCRT wird im Auftrag von Bund und Kantonen die Teilnehmenden registrieren. "Sie bewertet auch die Rückmeldungen und nimmt zu ihnen sobald als möglich Stellung", informiert die Landesregierung. Das ganze natürlich nicht gratis: Bund und Kantone lassen sich den Hackerangriff auf das System der Post ganze 250.000 Franken kosten, eine Viertelmillion. Davon sind 150.000 Franken als Beitrag an die Gesamtkosten der Schweizerischen Post vorgesehen. Die Firma SCRT kriegt 100.000 Franken. Und um die HackerInnen weltweit zu Höchstleistungen anzuspornen, wird ein Bonus in Aussicht gestellt: "Besonders wertvolle Meldungen von Sicherheitslücken sollen finanziell entschädigt werden. Die Schweizerische Post legt die Höhe möglicher Entschädigungen fest und ist für die Auszahlung zuständig."


Ziele nicht erreicht

Für Jean Christoph Schwaab, ehemaligen SP-Nationalrat aus dem Kanton Waadt und Mitinitiant des E-Voting-Moratoriums, ist der Intrusionstest "eine 250.000 Franken teure, reine Farce. Die Vorstellung, damit alle relevanten Hacking-Methoden ausschliessen zu können, ist eine wohlgemeinte Illusion." Auch Nicolas A. Rimoldi, Kampagnenleiter der Volksinitiative, kann diesem grossangelegten Versuchs-Hacking nichts abgewinnen: "Die entscheidenden Befunde liegen längst vor: Das Schweizer E-Voting ist höchst unsicher. Die Ziele, die damit verbunden waren, wie etwa eine allgemein höhere Stimmbeteiligung oder die Motivation der internetaffinen Jugend, wurden allesamt nicht erreicht. Die Post ist nur an Tempo in der Sache interessiert, Sicherheit geniesst keinerlei Priorität." Die Rechnung für die Post ist einfach: Je rascher das E-Voting per Gesetzt festgeankert wird, desto schneller fliesst der Rubel. Kann es eine 100-prozentige Sicherheit überhaupt geben? Wohl kaum, denn da wo es IT-Systeme gibt, gibt es auch HackerInnen, die früher oder später ihr Ziel erreichen werden. Aber abgesehen davon: Ist das freie Wahl- und Abstimmungsrecht nicht einfach ein zu wertvolles demokratisches Recht, um es in die Hände der Technik zu legen, sprich von irgendwelchen IT-Kracks?


PS Wer sich am Angriff auf das System der Post
beteiligen will, kann sich hier anmelden:
https://onlinevote-pit.ch.
Klüger ist aber, die Initiative zu unterschreiben:
e-voting-moratorium.ch

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06 - 75. Jahrgang - 21. Februar 2019, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2019

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