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VORWÄRTS/1520: Vom Basler Mietenkampf


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 33/34 vom 18. Oktober 2019

Vom Basler Mietenkampf

von Florian Sieber


In den Städten ist bezahlbarer Wohnraum ein knappes Gut. Durch Spekulation und Aufwertung werden Wohnungen teurer und Arbeiter*innen verdrängt. Basel ist hier nicht Ausnahme sondern besonders anschauliches Beispiel. Seit Monaten tobt dort, wenig beachtet, ein politischer Kampf um Mieten, die man sich leisten kann.

230 Briefe waren es. 230 Kündigungen. 230 Mieter*innen, Familien, Arbeiter*innen, Rentner*innen, Kinder, Alleinstehende, Menschen in den unterschiedlichsten Phasen ihres Lebens, die im Februar den Bescheid bekamen, dass sie ihre Wohnungen am Schorenweg 20/22 verlassen müssen. Der Grund: Der Credit-Suisse-Anlagefonds, der die Liegenschaft besitzt, hat Sanierungspläne. Dies, obwohl die meisten Wohnungen in gutem Zustand sind und in den frühen 2000er Jahren bereits einmal saniert wurden.


Massenhaft rausgeworfen

Die bisherigen Bewohner*innen der beiden Hochhausüberbauungen im Hirzbrunnen-Quartier müssen deshalb raus. Man kennt das Spiel: Nach der Sanierung werden die Wohnungen neu vermietet. Natürlich mit erhöhtem Mietzins.

Manche der Betroffenen, wie die 80-jährige Hedy, die seit 58 Jahren in ihrer Wohnung lebt, haben einen Grossteil ihres Lebens hier verbracht. Nun müssen sie gehen. "Mir tut es wahnsinnig weh, dieses Quartier verlassen zu müssen. Aber es geht auch nicht nur um mich: Ich denke an alle anderen", erklärte Berger gegenüber der bz Basel im März. Als Reaktion auf die Kündigungen und die allgemeinen Entwicklungen auf dem Basler Wohnungsmarkt kam es in der Folge zu Besetzungen und auch zu einer Mieter*innendemo.

Die Gekündigten vom Schorenweg sind kein Einzelfall. Am Giessliweg wurde 30 Mietparteien gekündigt, an der Feldbergstrasse 137 waren es 62 Parteien, an der Rheinfelderstrasse sind es nochmals 60 und an der Ryffstrasse sind es 32. Die Kündigungen läppern sich zusammen: Insgesamt schätzt der Mieterverband, dass 2600 Mietparteien ihre Wohnungen bei insgesamt 34 Massenkündigungen verloren haben, die seit Sommer 2018 stattfinden.

Bei der Rechnung nicht dabei sind jene, die im Verlauf von kleineren Kündigungen die Wohnung verloren und jene, die die Wohnung selber gekündigt haben, nachdem die Kündigung vom Vermieter angekündigt wurde. Und der massenhafte Rauswurf war im Stadtbild nachvollziehbar: In Kleinbasel begannen gekündigte Mieter*innen mit Transparenten, welche an Balkone und Fassaden gehängt wurden, auf die Situation aufmerksam zu machen. "Massenkündigungen - Wohnen statt Profit" verlangte beispielsweise ein Banner in der Webergasse in der Kleinbasler Altstadt. Die Kündigungswelle begann, nachdem die Basler Stimmberechtigten gleich vier Initiativen angenommen hatten, die die Wohnungssituation in Basel verbessern sollten. Zwei der Vorlagen waren eher technischer Natur: So sollten Vermieter*innen verpflichtet werden, neuen Mieter*innen den Mietzins der Vormieter*innen zu nennen. Die andere sieht vor, dass bei Verfahren vor Gericht die Mietpartei nur die eigenen Verfahrenskosten zu tragen hat.


Initiativen gegen Mietenwucher

Die anderen beiden Initiativen gehen weiter: So wurde ein Recht auf Wohnen in der Basler Kantonsverfassung festgeschrieben. Das letzte der vier Volksanliegen drehte sich um die Verbesserung des Schutzes vor Kündigungen und der Erhöhung des Mietzinses. Während die technischen Vorlagen ohne Probleme umgesetzt wurden, machen die beiden weiterführenden Initiativen mehr Schwierigkeiten. So geht der Vorschlag der Basler Regierung für die Einführung eines Rechts auf Wohnen nicht weiter als der Status quo, der momentan in Städten wie Zürich bereits herrscht: Mehr Genossenschaften sollen her und eine Stiftung für den Bau von Wohnungen soll eingerichtet werden. Für die weitere Vorlage soll die Sanierung von Liegenschaften bewilligungspflichtig werden, den Anstieg des Mietzinses nach der Sanierung will man begrenzen. Eine Übergangsbestimmung fehlte den Vorlagen. Wohl vor allem darum sehen sich Basler Immobiliensspekulant*innen im Zugzwang schnell noch eine Sanierung durchzuboxen, um noch eine massive Erhöhung der Mietzinse zu ermöglichen. So wurden laut Angaben der Onlinezeitung Republik die Mieten bei der Liegenschaft an der Ryffstrasse um 20 Prozent von 1300 auf 1600 Franken erhöht. Gerade solche Sprünge beim Mietzins sollten die Initiativen verhindern.


Bürgerliche Krokodilstränen

Während die Kündigungsbriefe rausflattern, wird nach Schuldigen gesucht. Beim Basler Gewerbeverband wird der Mieter*innenverband (MV) in die Mangel genommen. So hätten laut Gewerbeverband die Initiativen versucht "einen Keil zwischen die Vermieterschaft und die Mieter*innen zu treiben" und würden mit ihren Vorlagen "investitionsfeindlich" vorgehen. Beim MV nahm man derweil auch die Basler Regierung in die Kritik. In der Basellandschaftlichen Zeitung monierte im März der Co-Geschäftsleiter des Basler MV Beat Leuthardt, dass es zu lange brauche, bis die Wohnschutzverordnung endlich in Kraft tritt. Dabei geht aber oft eine Gruppe vergessen, die unmittelbar für das Leid derjenigen Betroffenen, die ihre Wohnung verloren haben, verantwortlich ist: Die Kapitalist*innen selber, die an den Sanierungen, Mietzinserhöhungen und Massenkündigungen verdienen. Die Geschichte dieses aktuellen Basler Mietenkampfs lässt sich aber nicht mit Klagen über die moralische Verkommenheit von Immobilienspekulant*innen lösen. Die Entwicklungen in Basel wurden bereits in Berlin, in London, in Zürich vorweggenommen, wo Kapitalist*innen mit Verdrängung Profite machen. Was in Basel geschieht, ist nichts Neues. Es zeigt aber, dass Wohnraum nichts ist, was man dem Markt überlassen darf und dass gut gemeinte technische Lösungen Enteignungen nicht ersetzen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 33/34 - 75. Jahrgang - 18. Oktober 2019, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2019

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