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BERICHT/221: Grundrechenart Social Media (M - ver.di)


M - Menschen Machen Medien Nr. 7/2012
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift

Grundrechenart Social Media
Widersprüche, Defizite und Chancen im Journalismus

von Uwe Sievers



"Social Media im Journalismus" war ein Schwerpunkt der Social Media Week vom 24. bis zum 28. September in Berlin. Konkrete Einzelaspekte wie Social Media Monitoring, die journalistische Relevanz von Twitter, Datenjournalismus, Finanzierung durch Crowdfunding oder die Überprüfung von Video- und Fotomaterial in sozialen Netzwerken wurden in einer Vielzahl von Veranstaltungen an drei verschiedenen Tagungsorte diskutiert.

"Social Media sind zu einer Art Grundrechenart geworden, die man benutzt, ohne darüber nachzudenken", beschrieb der Sprecher der Social Media Week Berlin, Rico Valtin, das Thema der Veranstaltung gegenüber M. Man versuche, Menschen verschiedenster Bereiche, wie Künstler, Startup-Gründer, Lehrer, politisch Aktive und Freiberufler in den Gedankenaustausch zu bringen, sagte Valtin, "denn inzwischen ist allgemein klar geworden, dass die Betreuung der Facebook-Seite nicht mehr eine Aufgabe für Praktikanten ist".

Die Veranstalter erwarteten 6.000 Teilnehmer, was einem 20-prozentigen Zuwachs gegenüber dem Vorjahr entspräche. Auffällig war der hohe Frauenanteil, den die Organisatoren mit fast 50 Prozent angaben. "Wir achten sehr genau darauf", erklärte Valtin, "und kümmern uns deshalb darum, dass auch bei den Rednern der Frauenanteil hoch ist. Dazu müssen wir allerdings Frauen direkt für ein Vortragsthema ansprechen, denn im Gegensatz zu Männern kommen sie nicht auf uns zu."


Neue interessante Stimmen. Die Teilnehmer kamen aus verschiedenen europäischen Ländern. Aus Paris reiste die französische Journalistin Maelle Fouquenet an. Sie arbeitet seit fünf Jahren mit sozialen Netzwerken, bildete Journalisten aus und realisierte mit verschiedenen französischen Zeitungen Social Media Projekte. "Wir können unheimlich davon profitieren", meinte sie zur Bedeutung der Social Media für den Journalismus. Auf die Frage, was sie unter Social Media zusammenfasse, antwortete sie: Alle Dienste, die man im Internet und mobil "for sharing" nutzen könne. Sharing sei das wesentliche Kennzeichen, das Social Media von anderen Internet-Plattformen unterscheide. "Sharing" - das gemeinsame Benutzen, das Teilen, aber auch das Verteilen - wird auch von anderen Teilnehmern als kennzeichnende Funktion der Social Media genannt. Im Zentrum von Fouquenets Arbeit mit Social Media stehen Facebook und Twitter. Besonders Facebook sei sehr geeignet, um beispielsweise für Interviews Experten zu finden. Anders als die klassischen Medien, die immer auf die gleichen Experten zurückgreifen würden, ließen sich hierüber neue interessante Stimmen finden, die auch andere Aspekte in Diskurse einbringen könnten.

Nur fünf Prozent der Teilnehmenden sind älter als 50 Jahre. Gerne würde man auch ältere Menschen gewinnen, das sei jedoch nicht einfach, da diese nur schwer über die Social Media-Kanäle erreichbar und zudem schlechter vernetzt seien, erklärte Valtin im Gespräch mit M. Auf der Suche nach Wegen habe man auch schon bei Gewerkschaften angefragt, aber keine positive Resonanz erhalten.

Die Social Media Week finanziert sich nur über Sponsoring. "Es ist Bestandteil des Konzepts, dass alle Vorträge und Workshops kostenlos angeboten werden", sagte Valtin. Redner erhielten daher auch keine Honorare. Was dazu führt, dass große Namen eher selten im Programm der Social Media Week zu finden sind.

Jenseits des Hypes und trotz der Kostenfreiheit vieler Social Media Dienste im Internet sollte man bedenken, dass es sich um einen Milliardenmarkt handelt. Die Nutzer zahlen mit ihren Daten, die sie in die Plattformen einbringen. Während der mangelhafte Datenschutz in den sozialen Netzwerken für Redaktionen zumeist weniger gravierend ist, sollten Journalisten genau darauf achten, welche Informationen sie preisgeben. Nicht nur Überwachungsorgane, sondern auch Juristen und Psychologen lesen mit - zumeist für Auftraggeber.


Twitter - das unterschätzte Medium. Wer Twitter sinnvoll einsetzen will, muss sich mit Hashtags auskennen, denn diese sind bei Twitter das zentrale Element. Die ehemalige UN-Mitarbeiterin und Journalistin Melanie Nolte beschäftigte sich in ihrem Vortrag auf der Social Media Week mit dem Gebrauch von Hashtags. Sie erläutert den Einsatz von Hashtags, gibt Hinweise zu Twitter als Recherchewerkzeug und erklärt typische Fehler.

Hashtags werden durch das Symbol "#" gekennzeichnet und dienen der Markierung von Schlüsselwörtern. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Suchfunktion von Twitter: "Wer auf Twitter eine Mitteilung verfasst, stellt Schlüsselbegriffen das Symbol voran und ordnet die Mitteilung dadurch thematisch ein. Bei der Suche nach diesem Suchbegriff werden alle mit dem passenden Hashtag versehenen Tweets hervorgebracht", erklärt Nolte. Mitteilungen werden bei Twitter Tweets genannt. Eine Suche nach "#verdi" würde alle Tweets finden, in denen die Verfasser die Bezeichnung verdi mit dem Symbol versehen haben. (Die Suche nach #ver.di findet Tweets mit dem Wort ver.di ohne Raute.) Man sollte bei der Verwendung von Hashtags darauf achten, dass die Schlüsselworte keine Leerzeichen oder Satzzeichen enthalten dürfen - ein Fehler, der von Benutzern häufig gemacht werde.

Darüber hinaus bekäme man zugleich die Leute angezeigt, die zum gesuchten Thema etwas geschrieben hätten, so Nolte weiter. Daher seien Hashtags nicht nur die Basis jeder Recherche auf Twitter, sondern auch eine Möglichkeit, Experten und Augenzeugen zu finden. Nolte empfiehlt deshalb, Hashtags bei Twitter auch in den Benutzerprofilen einzusetzen, um eigene Themen, Fachgebiete und Tätigkeitsfelder kenntlich zu machen, da bei einer Suche Profile mit einbezogen würden.

Das bei Twitter etablierte Symbol sei bereits von anderen Social Media Plattformen übernommen worden, wie etwa Pinterest und Instagram, erklärt sie weiter. Bei diesen sozialen Netzen steht der Austausch von Fotos im Mittelpunkt. Nolte, die sich inzwischen hauptsächlich mit der Entwicklung von Kommunikationsstrategien beschäftigt, berichtet, dass Hashtags zwischenzeitlich sehr bewusst eingesetzt würden, um Personen und Themen zu propagieren. Mit der wachsenden Bedeutung von Hashtags bilde sich neben der Suchmaschinenoptimierung, Search Engine Optimization oder SEO genannt, gerade eine neue Variante heraus: Social Search Optimization, SSO abgekürzt. Während SEO eingesetzt werde, um Webseiten auf Suchmaschinen besser zu platzieren, werde SSO eingesetzt, um Personen und Themen in den Social Media ins Zentrum zu rücken.

Twitter wird im Journalismus nicht nur für die Recherche eingesetzt, sondern auch als Medium für die Verbreitung eigener Mitteilungen. Dafür rät Nolte: "Man sollte sich vorher überlegen, wo die Reise hingehen soll". Das fange schon mit der Wahl des gewählten Pseudonyms oder Namens an und höre nicht bei der Verwendung von Hashtags auf. Während Redaktionen Twitter oft lediglich für die Ankündigung von Artikeln und Themen verwenden, empfiehlt Nolte insbesondere freien Journalisten, es nicht dabei zu belassen. Twitter sei eben keine reine Selbstdarstellungsplattform, sondern es ginge auch um "Social Sharing". Journalisten sollten auf Retweets - also die Weiterleitung eigener Mitteilungen durch Andere - reagieren und können auch auf interessante Stories von Kollegen verweisen. "Twitter hat viel gemeinsam mit Blogging, man könnte es als Microblogging bezeichnen", sagte sie.


Eigene Hashtags festlegen. Redaktionen nutzten zu wenig die Möglichkeit, sich durch die Erzeugung eigener Hashtags zu profilieren, kritisierte Nolte. Sie wählten oft lange oder unklare Schlüsselbegriffe. Themen, die von einer Redaktion besetzt werden, könnten auch mit einem eigenen Hashtag begleitet werden. Hashtags wie "#Politik" oder "#Wirtschaft" seien nur selten hilfreich. Die Trendanalyse auf Twitter zeige zugleich relevante Hashtags an, diese sollten gezielt verwendet werden. Hingegen erfinde man für neue Themen besser eigene.

"Bei den meisten Zeitungen werden Twitter-Beiträge lediglich von der Online-Redaktion erzeugt", beschrieb Nolte die gängige Praxis im Print-Bereich, "nur wenige haben diese Aufgabe bereits über die Ressorts verteilt". Als interessantes Beispiel nannte Nolte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, bei der jedem Ressort ein eigenes Hashtag zugeordnet sei. Der US-Fernsehsender CBS ginge sogar soweit, für jede Sendung ein Hashtag zu erzeugen, das zusätzlich während der Sendung eingeblendet werde. Gerade bei regelmäßigen Magazinsendungen sei das sehr wirkungsvoll. Außerdem sollten Hashtags mit Markencharakter, wie etwa der Name der Zeitung, auf allen Materialen erwähnt werden, von der Print-Ausgabe über Werbematerialen bis zur Visitenkarte.

Allerdings müsse man auch verfolgen, wie die eigenen Hashtags von Twitter-Nutzern weiterverwendet würden, um frühzeitig "Fehlentwicklungen" zu erkennen. Als Beispiel, was ansonsten passieren könne, nannte Nolte den Fall der US-Modemarke Kenneth Cole, die während des arabischen Frühlings eine Kollektion "Cairo" betitelt und mit dem entsprechenden Hashtag versehen habe. Als die Firma dann noch auf Twitter diese Produkte mit unpassenden Slogans beworben habe, seien die Wogen hochgeschlagen und ein Image-Schaden entstanden.

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Quelle:
M - Menschen Machen Medien Nr. 7/2012, S. 13-14
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift, 61. Jahrgang
Herausgeber:
ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Fachbereich 8 (Medien, Kunst, Industrie)
Bundesvorstand: Frank Bsirske/Frank Werneke
Redaktion: Karin Wenk
Anschrift: verdi.Bundesverwaltung, Redaktion M
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Telefon: 030 / 69 56 23 26, Fax: 030 / 69 56 36 76
E-Mail: karin.wenk@verdi.de
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"M - Menschen Machen Medien" erscheint neun Mal im Jahr.

Jahresabonnement: 36,- Euro einschließlich Versandkosten


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2013