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FORSCHUNG/147: Vertrauen in Journalismus - Wie Medien der Vertrauenskrise entgegenwirken können (idw)


Universität Hohenheim - 15.05.2019

Vertrauen in Journalismus: Wie Medien der Vertrauenskrise entgegenwirken können

Repräsentative Online-Befragung der Universität Hohenheim zur Qualitätswahrnehmung / Spiralprozess verstärkt Medienskepsis - und ist umkehrbar / ein Werkstattbericht


Lügenpresse - das Schlagwort steht für die wachsende Medienskepsis in Teilen der Bevölkerung. Ist das Vertrauen in die Medien erst einmal geschädigt, kann ein Spiralprozess entstehen, so die Erkenntnis eines Forschungsprojektes der Universität Hohenheim in Stuttgart: Die Menschen suchen dann im Internet gezielt nach Informationen, die diese Wahrnehmung stützen. Dies wiederum verstärkt das Misstrauen. Doch das, so die Medienforscher, funktioniere auch in die andere Richtung: Sobald man die Berichterstattung positiv wahrnimmt, könne sich auch dies verstärken. Gefragt sei daher Transparenz bei der journalistischen Arbeit - wobei in Deutschland den öffentlich-rechtlichen Medien eine besondere Bedeutung zukomme. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt das dreijährige Projekt mit fast 220.000 Euro und macht es so zu einem Schwergewicht der Forschung an der Universität Hohenheim.

Im Allgemeinen bevorzugen Menschen Medien, die ihre eigenen politischen Einstellungen widerspiegeln. Das ist an sich nicht neu. Verändert hat sich jedoch die Vielfalt der Medien und der Zugang zu ihnen.

Neben den Angeboten der etablierten Mainstream-Medien finden sich im Internet immer mehr leicht zugängliche alternative Quellen und Realitäts-Darstellungen. Beides nutzen die Menschen intensiv, haben Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim in einer repräsentativen Online-Befragung festgestellt.

"Ein wichtiger Treiber für das Vertrauen ist, wie man sich mit der eigenen Wahrnehmung in der Berichterstattung wiederfindet. Besonders deutlich wurde das vor allem im AfD-Milieu, doch stark ist dieser Einflussfaktor bei allen Menschen", erklärt Prof. Dr. Wolfgang Schweiger, Spezialist für Onlinekommunikation an der Universität Hohenheim.

Dieses individuelle Nutzungsverhalten werde im Netz noch unterstützt. Doch: "die Nutzer bemerken den Unterschiede bei der Darstellung der Themen - und das erschüttert bei einigen das Vertrauen."

Repräsentative Online-Umfrage zu Nachrichtenquellen und Informationskanälen

Gemeinsam mit seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Fabian Prochazka und Tilman Klawier hat Prof. Dr. Schweiger die Inhalte verschiedener Quellen im Netz analysiert. "Untersucht haben wir beispielsweise die Facebook-Seiten von Politikern, Prominenten und Privatpersonen, journalistische Nachrichten-Sites und auch alternative Angebote wie 'RT Deutsch' oder 'Epoch Times'", berichtet Prochazka. "Außerdem Fernsehsender und Printmedien wie Zeitungen und Zeitschriften."

Die Forscher führten Einzelinterviews mit Mediennutzern und befragten anschließend online 2.000 Menschen, die repräsentativ für die Online-Bevölkerung in Bezug auf Bildung, Alter und Geschlecht waren.

"Wir wollten wissen, ob sich die Vertrauenskrise durch journalistische Inhalte erklären lässt", fasst Prochazka zusammen. "Wir fragten zunächst danach, über welche Quelle sich die Menschen informieren, welche Social Media- oder sonstige Kanäle sie nutzen."

Qualitätswahrnehmung beeinflusst Vertrauen in die Medien

Anschließend ging es um die Qualitätswahrnehmung: "Die Fragen umfassten die allgemeine Haltung gegenüber journalistischen Medien", erläutert Prochazka. "Wie groß ist das Vertrauen in die Medien? Welche Vorwürfe gibt es gegen die Medien? Werden sie als vielfältig, fachlich korrekt und unabhängig wahrgenommen? Warum kommt es nach Ansicht der Befragten zu Fehlern in der Berichterstattung?"

Wie die Befragten wahrgenommene Qualitätsmängel begründen, spielt bei ihrem Vertrauen in die Medien eine große Rolle: "Ein Teil der Befragten schreibt Fehler menschlichen Faktoren zu - etwa dem Zeitdruck in Redaktionen". Ein anderer Teil sieht in Fehlern von Journalisten aber mangelnde Integrität oder einen Einfluss der Politik, Fehler werden als absichtliche Manipulation wahrgenommen", legt Prof. Dr. Schweiger dar. "Auch dieses Misstrauen ist wiederum in besonderem Maße bei AfD-Anhängern zu finden."

Dabei habe sich das Vertrauen im Durchschnitt über die gesamte Gesellschaft in den letzten Jahren gar nicht verändert, nur polarisiert, so Prof. Dr. Schweiger. "Aber die extrem skeptischen Gruppen waren in letzter Zeit sehr laut, so dass sie stark wahrgenommen wurden."

Transparenz muss Vertrauen stärken

Die Forscher sehen in ihren Ergebnissen einen Hinweis auf einen Spiraleffekt: "Am Anfang steht häufig eine Unzufriedenheit mit der Berichterstattung über ein Thema. Die Leute suchen dann aktiv nach alternativen Darstellungen, die im Internet immer zu finden sind. Es gibt einen Riss im Vertrauen, weitere Recherche, ein Spiralprozess kommt in Gang", stellt Prochazka dar.

Doch diese Spirale sei im Prinzip in beide Richtungen möglich und vielleicht umkehrbar, betont Prof. Dr. Schweiger. "Nimmt man eine bessere Berichterstattung wahr, kann sich die Spirale auch in die andere Richtung drehen."

Um diesen Effekt zu nutzen, sehen die Forscher gerade die öffentlich-rechtlichen Medien in der Verantwortung. "Um das Vertrauen zu stärken, müssen Medien transparent machen, wie sie arbeiten, Journalisten müssen erklären, wie sie recherchieren. Aufklärung in eigener Sache ist ganz elementar. Da gewinnen die öffentlich-rechtlichen Medien immer mehr an Bedeutung, sie sollten künftig gestärkt werden und Vorreiter in Sachen Transparenz werden", empfiehlt Prof. Dr. Schweiger.


HINTERGRUND: Projekt Vertrauen in Journalismus im medialen Strukturwandel

Das Projekt "Vertrauen in Journalismus im medialen Strukturwandel" startete am 1. Februar 2017 und wird am 31. Januar 2020 enden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Vorhaben mit 217.843 Euro. Damit zählt es zu den Schwergewichten der Forschung an der Universität Hohenheim.

HINTERGRUND: Schwergewichte der Forschung

32,5 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim 2018 für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe "Schwergewichte der Forschung" herausragende Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 350.000 Euro für apparative Forschung bzw. 150.000 Euro für nicht-apparative Forschung.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution234

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Hohenheim, 15.05.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2019

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