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INTERNATIONAL/074: Israel - Orthodoxe Jüdinnen verklagen ultra-orthodoxen Radiosender (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. September 2012

Israel: 'Der Diskriminierung gegensteuern' - Orthodoxe Jüdinnen verklagen ultra-orthodoxen Radiosender

von Jillian Kestler D'Amours


Graffiti in Jerusalem - Bild: © Jillian Kestler D'Amours/IPS

Graffiti in Jerusalem
Bild: © Jillian Kestler D'Amours/IPS

Jerusalem, 10. September (IPS) - In Israel hat eine Gruppe orthodoxer Jüdinnen einen ultra-orthodoxen Radiosender verklagt. 'Kol Berama' soll 25,8 Millionen US-Dollar Strafe zahlen, weil er den Frauen in seinen Programmen keine Stimme gibt.

"Für gewöhnlich sprechen wir über Diskriminierung und nichts passiert. Wenn sie aber teuer kommt, werden sich die Dinge hoffentlich ändern", sagte Riki Shapira von 'Kolech', der ersten Frauenorganisation orthodoxer Jüdinnen in Israel.

Wie die 'Jerusalem Post' berichtete, hat 'Kol Berama' die Klägerinnen aufgerufen, "den Glauben und die Meinung der (ultra-orthodoxen) Gemeinschaft aus Männern und Frauen" zu respektieren.

Doch nicht alle Mitglieder der Ultra-Orthodoxen oder 'Haredi', die etwa zehn Prozent der israelischen Bevölkerung ausmachen, stehen auf Seiten des Radiosenders. Ein 37-jähriger Mann, der Moshe genannt werden wollte, erklärte, er sei gegen Geschlechterdiskriminierung in seiner Gemeinschaft.


Radioberichte über Frauen ohne Frauen

"Der Radiosender gibt Frauen keine Stimme, selbst wenn es um Frauen geht. Es ist eine Schande, dass sie zum Schweigen gebracht werden", erklärte er. "Innerhalb der Haredi-Gemeinschaft gibt es viele verschiedene Auffassungen. Und ich weiß, dass viele Leute so denken wie ich."

Der gebürtige Jerusalemer hat beobachtet, dass sich die rechtliche Lage von Frauen verschlechtert hat. Dies hänge damit zusammen, dass sich die Menschen immer stärker der Religion zuwendeten und extremistische Gruppen versuchten, die ultra-orthodoxe Gemeinde zu kontrollieren. "Frauen sollten aber die gleichen Rechte haben wie Männer", meinte er.

Die Realität sieht jedoch anders aus. In den vergangenen Monaten wurden in Israel zahlreiche Fälle von Geschlechterdiskriminierung bekannt. Im Juli sprach ein Gericht einem Teenager umgerechnet etwa 3.250 Dollar zu, nachdem das Mädchen von zwei Ultra-Orthodoxen gezwungen worden war, im hinteren Teil eines Busses zu sitzen. Eine solche Diskriminierung ist in öffentlichen Verkehrsmitteln in Israel jedoch verboten.

Der Zwischenfall ereignete sich in Beit Shemesh, etwa 30 Kilometer von Jerusalem entfernt. Dort wurden in jüngster Zeit wiederholt Frauen aus religiösen Motiven schikaniert und eingeschüchtert. Im vergangenen Dezember wurde ein achtjähriges israelisches Mädchen auf dem Schulweg angespuckt, weil es angeblich unschicklich angezogen war.

Im August hat sich das Busunternehmen 'Egged' stillschweigend dazu durchgerungen, keine Menschen mehr auf seinen Werbeplakaten in Jerusalem abzubilden. Laut israelischen Medienberichten hat die Firma so entschieden, um Ultra-Orthodoxe nicht durch Frauenbilder zu provozieren.

"Man kann aber nicht sagen, dass alle Ultra-Orthodoxen mit der Diskriminierung von Frauen einverstanden wären. Viele sind dagegen", sagte die Rechtsanwältin Orly Erez-Likhovski vom reformistischen 'Israel Religious Action Centre' (IRAC). Ihrer Ansicht nach gehen die Forderungen auf das Konto radikaler Vertreter der Ultra-Orthodoxen.


Diskriminierung allerorten

In dem im vergangenen Januar veröffentlichten Bericht 'Excluded: For God's Sake' dokumentiert IRAC mehr als 50 Fälle von Geschlechterdiskriminierung in Israel während des vergangenen Jahres. Die Zwischenfälle ereigneten sich unter anderem auf Bürgersteigen, in Krankenhäusern, in Lebensmittelgeschäften und in Arbeitsämtern sowie in Schulen, in der Armee und bei kommunalen Veranstaltungen an religiösen Feiertagen.

Erez-Likhovski hofft, dass die Übergriffe in diesem Jahr zurückgehen, nachdem die israelischen Medien und die Öffentlichkeit heftig gegen Geschlechterdiskriminierung protestiert haben. "Wenn man eine solche Praxis an einer Stelle gestattet, wird sie sich auch anderswo durchsetzen. Die Menschen beginnen einzusehen, wie gefährlich das sein kann. Da so etwas überall passiert, ist es wichtig, gegenzusteuern." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.irac.org/userfiles/Excluded,%20For%20God%27s%20Sake%20-%20Report%20on%20Gender%20Segregation%20in%20the%20Public%20Sphere%20in%20Israel.pdf
http://www.kolech.com/english/
http://www.ipsnews.net/2012/09/israeli-women-fight-orthodox-curbs/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. September 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2012