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INTERNATIONAL/097: Wegen Abbas-Karikatur ins Gefängnis - Palästinenserführung knebelt Internet und Medien (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. März 2013

Nahost: Wegen Abbas-Karikatur ins Gefängnis - Palästinenserführung knebelt Internet und Medien

von Mel Frykberg



Ramallah, Westjordanland, 15. März (IPS) - Ein Palästinenser im Westjordanland ist zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden, weil er über Facebook ein Bild verbreitet hatte, das den Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas im Trikot von Real Madrid beim Fußballspielen zeigt. Das ungewöhnliche Urteil ist eine von zahlreichen Maßnahmen gegen die Medienfreiheit in den Palästinensergebieten.

Der 26-jährige Anas Saad Awad aus dem Dorf Awarta wurde von einem Gericht im nahe gelegenen Nablus wegen "Kritik an der Regierung" verurteilt. Als die Richter über sein Schicksal entschieden, war Awad nicht persönlich anwesend, sondern befand sich in einem anderen Teil des Gebäudes.

Wie seine Anwältin Rima Al Sayed erklärte, wurde ihr Mandant beschuldigt, ein Foto von Abbas bearbeitet zu haben. Kommentiert wurde das Bild mit 'Ein neuer Stürmer'. Sayed zufolge beruht das Urteil auf Paragraph 195 des jordanischen Strafrechts, der Kritik am König des Landes verbietet.

Die Anwendung jordanischer Gesetze ist in den Palästinensergebieten nicht ungewöhnlich. Das palästinensische Recht, das das 2002 eingeführte Grundgesetz ergänzt, vereint ägyptisches und jordanisches Recht sowie Bestimmungen, die noch auf die britische Mandatszeit zurückgehen. Jordanisches Recht wird oftmals bei Arbeitsstreitigkeiten und Verbrechen gegen die Ehre angewendet.

"Mein Sohn hat nur einen Kommentar auf Facebook abgegeben", protestiert Awads Vater. "Man weiß doch, was junge Leute tun. Er wollte den Präsidenten nicht zu nahe treten. Ich werde mich persönlich an Abbas wenden und ihn bitten, das Urteil wieder aufzuheben."

Awad hatte bereits vorher Probleme mit dem palästinensischen Geheimdienst, weil er die Autonomiebehörde kritisiert hatte. Er wurde deswegen festgenommen, aber gegen eine Geldstrafe freigelassen.


Erstmals Bürger wegen Kritik an Abbas bestraft

"Dieses Urteil ist beispiellos. Erstmals wurde ein normaler Bürger verurteilt, weil er einen Kommentar zu Abbas abgegeben hat. Der Eintrag auf Facebook war überhaupt nicht grob oder kritisch", meint Riham Abu Aita vom Palästinensischen Zentrum für Entwicklung und Medienfreiheit (MADA). "Im vergangenen Jahr wurden zehn palästinensische Journalisten aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland festgenommen und verhört, weil sie die Hamas oder die Autonomiebehörde kritisiert haben. Das Jahr 2013 fängt wirklich schlecht an."

Laut Abu Aita hat die Hamas Dutzende Journalisten im Gazastreifen verhaften lassen. Die israelischen Sicherheitskräfte hätten es wiederum sowohl auf Palästinenser als auf ausländische Journalisten abgesehen, die über die zunehmenden Proteste im Westjordanland berichten wollten.

"Die Autonomiebehörde ist in den vergangenen Monaten extrem dünnhäutig geworden. Das hat mit der Überempfindlichkeit im Zusammenhang mit internationaler Kritik an der Aufwertung des UN-Palästinenserstatus und dem Druck von Palästinensern und Menschenrechtsorganisationen zu tun", so Abu Aita.

Eine Strategie der Autonomiebehörde in dem Bemühen um einen eigenen palästinensischen Staat besteht darin, dem Internationalen Strafgerichtshof als Mitglied beizutreten. Auf diese Weise soll Druck auf Israel ausgeübt werden, das nach internationalem Recht gegen etliche Menschenrechte der Palästinenser verstößt.

Auch wenn die Autonomiebehörde bei der UN nur als Beobachter auftreten kann, steht es ihr frei, wichtige Menschenrechtsabkommen einschließlich Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und zivile Rechte (ICCPR) zu ratifizieren, der die Meinungsfreiheit garantiert.

Die Palästinenserbehörde hat zugesagt, die Menschenrechte zu achten und mehrere Verträge zu ratifizieren. In vielen Bereichen sind diese Zusagen aber bisher nicht erfüllt worden. Nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' lassen die Verzögerungen bei der Ratifizierung jedoch erhebliche Zweifel an der Entschlossenheit der PA aufkommen, die grundlegenden Rechte und Freiheiten zu garantieren.


Palästinenserführung fürchtet Volksrevolte

"Dann gibt es noch die Angst der Autonomiebehörde vor einem Volksaufstand, nachdem der Arabische Frühling die Region erfasst hat", meint Abu Aita. Ferner würde die Abbas-Regierung gern moralisch besser dastehen als die Hamas, die kürzlich wegen ihrer Verfolgung der Presse im Gazastreifen scharf kritisiert worden sei.

Zwar ist es Abbas' Sicherheitsapparat gelungen, Journalisten und Medienpublikationen bis zu einem gewissen Grad zu kontrollieren. Anders verhält es sich hingegen mit den sozialen Netzwerken. Im vergangenen Jahr nahmen die palästinensischen Sicherheitskräfte drei Personen fest, denen vorgeworfen wurde, die Regierung im Internet kritisiert zu haben.

Obwohl die Autonomiebehörde Palästinenser ausdrücklich um Mithilfe bei der Bekämpfung der Korruption aufgerufen hat, wurde im vergangenen April der Blogger Jamal Abu Rihan verhaftet, nachdem er eine Facebook-Kampagne gegen Bestechlichkeit in Gang gebracht hatte. Ebenso wurden Medienberichten zufolge acht Websites wegen Kritik an Abbas blockiert. Der Kolumnist Jihad Harb wurde wegen Verleumdung zu zwei Monaten Haft verurteilt. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.madacenter.org/index.php?lang=1
http://www.hrw.org/middle-eastn-africa/israel-palestine
http://www.ipsnews.net/2013/03/media-face-a-palestinian-kick/

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IPS-Tagesdienst vom 15. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2013