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INTERNATIONAL/134: Mediale Bewegungen am Weltsozialforum in Tunis (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 124, 2/13

Eine andere Kommunikation ist möglich!
Mediale Bewegungen am Weltsozialforum in Tunis

Von Claudia Dal-Bianco



Unter dem Motto "Würde" fand Ende März 2013 in Tunis das 11. Weltsozialforum (WSF) statt. Eröffnet wurde es mit einer Demonstration durch das Zentrum von Tunis mit 15.000 bis 30.000 Teilnehmer_innen. Die Menschen konnten sich frei, kreativ, lautstark und zensurfrei durch die Stadt bewegen. Viele Aktivist_innen, soziale Bewegungen und Organisationen aus dem sogenannten arabischen Raum nutzten diesen Freiraum, um ihre Anliegen zu verbreiten. Ein stimmungsvoller Startschuss für das viertägige Forum, an dem ca. 30.000 Aktivist_innen aus 127 Ländern und mehr als 4.500 Organisationen angemeldet waren sowie rund 1.400 Vorträge, Workshops und Filmscreenings stattfanden.


Das WSF als ein Ort des Austausches, der Vernetzung und Kommunikation von unterschiedlichsten sozialen Bewegungen, stellte sich 2013 die Frage, welche Art von Kommunikation in dem Pionierland des sogenannten Arabischen Frühlings möglich ist. Im Artikel 19 der Menschenrechtskonvention heißt es: "Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten."


Medienhintergrund in Tunesien

Im Dezember 2010 ging das Bild der Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouaziz als Auslöser der Tunesischen Revolution durch die Medien. Mittlerweile ist dieser Aufstand zum Symbol für eine neue Generation von vernetzten sozialen Bewegungen geworden, welche sich durch soziale Medien Gehör verschaffen.

Die "Arabische Medien-Revolution" hat den Sektor verändert, hat aber nicht unbedingt die Bemühungen, diese neuen Kanäle der Kommunikation zu kontrollieren, verringert. Nicht über alles kann geschrieben werden, und eine Vielzahl von Tabuthemen besteht weiterhin. Zwei Jahre nach dem Sturz von Ben Ali sind Attacken gegen Journalist_innen im ersten Halbjahr 2012 angestiegen, weshalb Tunesien 2013 auf Platz 138 von 197 Ländern im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen abgestiegen ist.


Alternative Medien und die Tunesische Revolution

Auch wenn Mainstreammedien ein breiteres Publikum erreichen, stellt sich trotz alledem die Frage, welche Informationen sie verbreiten sollen und können. Massenmedien vermitteln meist patriarchale, rassistische und eurozentrische Informationen, in denen alternative Wissenssysteme marginalisiert werden. Die Rolle von Freien Medien ist es, nicht nur über Alternativen zu berichten, sondern auch die Stimmen von alternativem Wissen hörbar zu machen. Produzent_innen von Freien Medien sehen Kommunikation als Menschenrecht.

Als Beispiel für den Kampf für freie Meinungsäußerung in Tunesien stellten Deborah del Pistoia und Abdessalem Sayahi am WSF in Tunis das Freie Radio Regueb Révolution aus der Region Sidi Bouzid vor. Dabei handelt es sich um einen Gemeinschafts-Web-Radiosender in der Stadt Regueb, der am 9. Jänner 2013 seine erste Sendung ausstrahlte. Dieser Tag ist ein symbolischer für die Bewohner_innen der Region, weil dort am 9. Jänner 2011 fünf Menschen während der Unruhen von der Polizei getötet wurden.

Radio 3R Regueb wurde gegründet, um die politische Partizipation der Bevölkerung zu gewährleisten und junge Menschen in der Jobentwicklung im Bereich Information, Kommunikation und Kultur zu unterstützen. Während der postrevolutionären Periode sind viele Vereine entstanden. Durch diesen Radiosender soll die Rolle junger zivilgesellschaftlicher Vereine in Regueb gestärkt werden.

Das Projekt möchte auch die Arbeit in Netzwerken auf lokaler und nationaler Ebene fördern. Auf lokaler Ebene entstand eine Plattform für unabhängige Vereine der Zivilgesellschaft von Regueb, die sich im Kampf für Frauen- und Menschenrechte einsetzt und hilft, sich basisdemokratisch im Community Radio zu organisieren.


Das WSF und die Medien

Das Recht auf Kommunikation ist ein großes Thema auf dem Weltsozialforum. Während der ersten Dekade des WSF-Prozesses entwickelte sich ein Netzwerk von alternativen Medien, v. a. in Lateinamerika. Der Kampf für das Recht auf Kommunikation und Transformation vom kommerzialisierten Mediensektor, welcher fast nie zugunsten sozialer Bewegungen berichtete und stattdessen zugunsten von Eliten, war teilweise erfolgreich.

Seit dem ersten WSF 2001 in Porto Alegre ist dieses Forum ein wichtiger Raum für Medienaktivist_innen. Medieninitiativen wie Ciranda (www.ciranda.net) - eine in Brasilien entstandene Internetplattform mit dem Ziel, eine gemeinsame Berichterstattung für eine andere Welt zu gestalten - sind hier entstanden. Das Online-Tool OpenFSM (http://openfsm.net) wurde gegründet, um Aktivist_innen miteinander zu vernetzen. Im Einklang mit der Organisierung des Global Action Day 2008 wurde die Video-Internetplattform WSF-TV (www.wsftv.net) initiiert, um über den WSF-Prozess und dessen Anliegen zu berichten.

2009 fand das erste Weltforum für Freie Medien (WFFM) am WSF in Belém statt. Initiativen gründeten sich, um den Mediensektor in v. a. lateinamerikanischen Staaten zu redemokratisieren und zu dekommerzialisieren. 2013 fand das dritte WFFM in Kombination mit dem WSF statt. Spezieller Fokus dieses Forums lag auf Non-profit und Community Radio. Aktivist_innen erwarben neue technische Radiokenntnisse, neue Netzwerke wurden geschaffen, Kampagnenstrategien zum Thema Kommunikationsrechte, und es wurden gemeinsame internationale Besorgnisse und Kämpfe in der Stärkung von Kommunikationsrechten global diskutiert. Im Rahmen des WFFM wurde auch an einer Freien Mediencharta gearbeitet, die eine Liste von einzufordernden Rechten erstellen soll. Beim WSF in Dakar 2011 wurde ein Entwurf der Deklaration vorgeschlagen, die die Basis für die Arbeit an dieser Charta darstellt. An der Freien Mediencharta soll nun ein Jahr gearbeitet werden, bis sie dann voraussichtlich beim vierten WFFM präsentiert wird.


Wozu eine Freie Mediencharta?

Medien sollen frei von politischen und ökonomischen Einflüssen sein. Diese Charta soll unterschiedliche Initiativen vernetzen und unterschiedliche Arten von Medien aufzeigen. Die Wichtigkeit, dass Freie Medien nicht nur Instrumente, sondern auch Akteur_innen sind, soll verdeutlicht werden. Diese Charta soll und muss mit den sozialen Medienbewegungen verknüpft werden.

Eine zentrale Forderung ist es, Medienbildung zu fördern, damit mehr Personen Medien nützen können. Der Zugang zu neuen Technologien ist wichtig, dazu braucht es Weiterbildungsangebote. Essenziell in dieser Charta ist auch die Frage, wer den Zugang zu Medien hat. Die Unabhängigkeit z. B. des Internet soll gewährleistet sein.

Dies sind nur einige wenige Forderungen aus einem Katalog, der im Entstehen ist. Eine große Herausforderung bei der Erarbeitung dieser Charta ist es, den Prozess so partizipativ wie möglich zu gestalten. Was für die Medienaktivist_innen klar ist: "Um eine andere Welt möglich zu machen, brauchen wir andere Medien!

Zur Autorin:
Claudia Dal-Bianco ist Projektkoordinatorin bei der Frauensolidarität. Sie hat Afrikawissenschaften und Internationale Entwicklung studiert und lebt in Wien.


Kasten I
 
GESCHICHTE DES WELTFORUMS FÜR FREIE MEDIEN (WFFM)

Bis jetzt fanden drei globale Foren für Freie Medien statt: 2009 in Belém, 2012 in Rio de Janeiro und 2013 in Tunis. Die ersten Vernetzungen gab es 2008 in Rio de Janeiro, und 2009 wurde dann in Belém detaillierter über unterschiedliche Formen von Kommunikation, die die Zivilgesellschaft angeht, diskutiert. 2011 am WSF in Dakar fand ein Workshop zu alternativen Informationen statt, bei dem ein zweites WFFM 2012 in Rio de Janeiro, neben der UN-Konferenz Rio+20, vorgeschlagen wurde. Zur Vorbereitung des zweiten globalen Forums wurde ein Open Space "Alternative Medien" 2011 in Marrakesch organisiert. Beim zweiten WFFM 2012 in Rio de Janeiro gab es auch Raum für Themen wie "Alternative Medien und der Arabische Frühling". Zuletzt fand das dritte WFFM Ende März 2013 in Tunis mit speziellem Fokus auf Non-profit und Community Radio statt.


Kasten II
 
ALLE WELTSOZIALFOREN (WSF) IM ÜBERBLICK

2001 - 1. WSF in Porto Alegre, Brasilien -
mit dem Fokus auf Treffen von Antiglobalisierungsaktivist_innen aus der ganzen Welt mit ca. 12.000 Teilnehmer_innen. Spezifisches Anliegen: Wege aus dem Neoliberalismus zu finden - mit dem Slogan: "Eine andere Welt ist möglich".
2002 - Porto Alegre, Brasilien.
2003 - Porto Alegre, Brasilien -
der 15. Februar wird als der Global Day of Action ausgerufen.
2004 - Mumbai, Indien -
das erste WSF außerhalb von Brasilien.
2005 - Porto Alegre, Brasilien -
das Porto-Alegre-Manifest wird von der "Gruppe von 19" herausgegeben.
2006 - das erste WSF, das "polyzentrisch" zeitgleich in Caracas, Venezuela, Bamako, Mali und Karachi, Pakistan, abgehalten wird.
2007 - Nairobi, Kenia -
mit 1.400 Organisationen aus 110 Ländern das global bislang repräsentativste WSF.
2008 -
dieses WSF ist bekannt geworden als "Global Call for Action", da es nicht an einem speziellen Ort stattfand, sondern aus globalen Aktionen bestand.
2009 - Belém, Brasilien -
1.900 indigene Menschen beteiligten sich an der Diskussion zum Thema "Staatenlose Personen".
2010 - Porto Alegre, Brasilien -
ein weiteres dezentralisiertes Forum mit ca. 35 nationalen, regionalen und lokalen Veranstaltungen; 10-Jahres-Fest in Porto Alegre.
2011 - Dakar, Senegal.
2012 - Porto Alegre, Brasilien.
2013 - Tunis, Tunesien.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 124, 2/2013, S. 28-29
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 6,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2013