M - Menschen Machen Medien Nr. 1/2015
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift
Wer hier lacht, ist selbst schuld
Satire-Zeitschriften in Spanien füllen Lücken kritischer
Berichterstattung
von Ralf Hutter
Nach den Pariser Anschlägen auf Charlie Hebdo und ein jüdisches Geschäft sahen Staatschefs aller Länder die Gelegenheit, einen der viel zitierten "Grundwerte" gegen die Feinde der Offenen Gesellschaft in Anschlag zu bringen und über Meinungsvielfalt und Pressefreiheit zu reden. Auch Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy von der post-franquistischen PP demonstrierte in Paris mit. Bei ihm würde jedoch niemand mit näheren Spanien-Kenntnissen auf die Idee kommen, dass ihm Meinungsvielfalt am Herzen liegt. Die Politik seiner Partei sieht da ganz anders aus.
Zufälligerweise wurde am Tag des Attentats auf Charlie
Hebdo der spanische Komiker Facu Diaz wegen eines Satirevideos
gegen die PP verklagt - ein Video vom Juni vorigen Jahres,
wohlgemerkt. Die Klage kam von der Stiftung "Würde und
Gerechtigkeit", die aus einer Vereinigung von Opfern der baskischen
Terrorgruppe ETA hervorging und als der PP nahe stehend gelten kann.
Diaz hatte im Stile einer ETA-Botschaft vermummt die Auflösung der
seit Jahren unter größtem Korruptionsverdacht stehenden PP bekannt
gegeben. Das Video ist witzig, aber unspektakulär. Dennoch: Diaz
wurde Verharmlosung der ETA, Verhöhnung der Opfer und dergleichen
vorgeworfen. Er musste vor dem Sondergericht, das für schwere
Straftaten und Terrorismus zuständig ist, aussagen. Direkt danach
wurde das Verfahren eingestellt.
Abgedroschene Vorwürfe. Was auch immer hinter der Klage
stand, der Fall zeigt, womit sich allzu kritische Menschen aus
Politik und Medien in Spanien so rumschlagen müssen. Der Vorwurf,
mindestens implizit die ETA zu unterstützen, ist mittlerweile so
abgedroschen, dass er selbst schon eine oft gebrauchte Wendung in
satirischen Aussagen ist. So auch in Mongolia (Mongolei),
einem der in und wegen der spanischen Medienkrise entstandenen
Projekte. Die 2012 gegründete großformatige und gern auch auf der
Titelseite sehr provokante Monatszeitung ist sehr beliebt geworden.
Ihr Hauptinhalt ist Satire, sie hat aber auch eine große Rubrik für
echte Geschichten und für investigative Recherchen, Untertitel: Wer
hier lacht, ist selbst schuld. Bereits im ersten Jahr erhielt
Mongolia einen Preis des Internationalen Presseclubs Spaniens
für "die Verteidigung der menschlichen Werte". In der britischen und
US-amerikanischen Presse sind Artikel über sie erschienen.
Erst seit Juni 2014 gibt es das Online-Magazin Orgullo y Satisfacción (Stolz und Befriedigung). Es stellte in der Woche nach dem Attentat auf Charlie Hebdo ein ganzes Heft zum Thema gratis online. Diese Zeitschrift wurde geboren, weil das älteste und größte spanische Satiremagazin El Jueves (Der Donnerstag) bei seiner Ausgabe von Anfang Juni einen Teil der Auflage einstampfen ließ, um die Titel-Karikatur zu ändern. Sie verspottete anlässlich der anstehenden Abdankung des Königs die Krone. Wegen des Rückziehers verließen ein halbes Dutzend Leute aus Protest die Zeitschrift und gründeten Orgullo y Satisfacción.
Politikeinmischung. Satirischen Widerstand gegen
Fundamentalismen und Massenbetrug gibt es also nach wie vor in
Spanien. Wie die erwähnte Mongolia-Kategorie "Reality News"
zeigt, kann dieser Widerstand mit seinen Beiträgen einige Lücken
füllen, die Konzernpresse und Rundfunk offen lassen. Beim staatlichen
Radio Televisión Española (RTVE) werden bisweilen nach
Regierungswechseln wie in Ministerien Führungspositionen neu besetzt.
Der frisch ernannte Fernseh-Regionaldirektor für Katalonien, Eladio
Jareño, sorgte im Januar und Februar gleich zwei Mal für einen
Aufschrei in der Branche. Zuerst wurde die Journalistin und
Moderatorin Cristina Puig aus disziplinarischen Gründen mit
sofortiger Wirkung entlassen. Sie wollte Anweisungen nicht befolgen.
Der Gewerkschaft Comisiones Obreras zufolge ging es um die politische
Ausrichtung von Sendungsgästen und um Themen, die Puig mit ihnen
besprechen sollte. Kurz darauf wurde ein Verfahren gegen den
bekannten Journalisten Francesc Cruanyes eröffnet, weil er nebenbei
für zwei Regionalzeitungen schrieb und für eine Firma arbeitete. Das
tat er allerdings schon seit Jahren. Kürzlich hatte er jedoch die
Berichterstattung von RTVE in Sachen katalanische
Unabhängigkeitsbewegung kritisiert. Der neue Chef Jareño hatte früher
schon beim Fernsehen gearbeitet, kam aber jetzt direkt vom Posten des
Pressesprechers der katalanischen PP-Spitze.
2014 gab es innerhalb weniger Monate bei den beiden größten spanischen Zeitungen, El Pais und El Mundo, Chefredakteurswechsel. Bei beiden hatte es den Anschein, dass die Geschassten der regierenden PP nicht genehm waren (siehe M 3/2014). Nichts zu deuteln hatte es 2013 gegeben, als die PP-Regionalregierung des Bundesstaates Valencia den einzigen Sender abschaltete, der im Regionaldialekt sendete, "Canal Nou". Ein Konzept des Betriebsrates versprach einen billigeren Weiterbetrieb, wurde aber von der Regierung nicht geprüft (s. M 8/2013).
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Quelle:
M - Menschen Machen Medien Nr. 1/2015, S. 27
Medienpolitische ver.di-Zeitschrift, 64. Jahrgang
Herausgeber:
ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Fachbereich 8 (Medien, Kunst, Industrie)
Bundesvorstand: Frank Bsirske/Frank Werneke
Redaktion: Karin Wenk
Anschrift: verdi.Bundesverwaltung, Redaktion M
Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin
Telefon: 030 / 69 56 23 26, Fax: 030 / 69 56 36 76
E-Mail: karin.wenk@verdi.de
Internet: http://mmm.verdi.de
"M - Menschen Machen Medien" erscheint acht Mal im Jahr.
Jahresabonnement: 36,- Euro einschließlich Versandkosten
veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2015
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