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PRESSE/164: Die Unbelangbaren - Regieren unsere politischen Journalisten mit? (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2014

Die Unbelangbaren
Regieren unsere politischen Journalisten mit?

Von Thomas Meyer



Es gibt Ereignisse, im privaten wie im öffentlichen Leben, die einen verdeckten Zustand schlaglichtartig erhellen. Das ist im bundesdeutschen Wahlkampfjahr 2013 im Verhältnis zwischen Massenmedien und Politik geschehen. Das Ereignis hat einen kundigen Protokollanten gefunden, der als geachteter Vertreter der Journalistenzunft, ausgestattet mit nahezu unbegrenztem Zugang zum sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Peer Steinbrück über ein ganzes Jahr hinweg das Verhältnis von politischer und medialer Realität unterm Brennglas mikroskopisch vergleichen konnte.

Nils Minkmar gelangt in seinem Buch Der Zirkus zu einem doppelten Fazit: Von den eigentlich zur Wahl stehenden großen Sachthemen kam im immer selbstbezüglicher werdenden Medienspektakel um die Person des Kandidaten so gut wie nichts mehr zur Sprache, während sich die Welt des Politischen im aufgekratzten Medienzirkus gespensterhaft verzerrte. Der vom deutschen Einflussjournalismus erzeugte Schein eines kaputten Politikers ohne Programm verlor am Ende alle Bezüge zur wirklichen Welt dieses Kandidaten und zu der Sache, für die er einstand.

Das schwindelerregende Medienkarussell der fortwährenden kollektiven Selbstbestätigung der journalistischen Akteure in den zentralen Einflussmedien und ihrer Gefolgschaft vollzog sich in der Art eines Überbietungswettbewerbs bei der Steigerung einiger schon am Anfang geprägter Klischees, der nirgends mehr einen frischen Blick auf die Wirklichkeit zuließ. Dem eigentlich Politischen dieses Wahlkampfes, dass eine Amtsinhaberin mit großer Erfolgsaussicht wieder kandidierte, die beharrlich verschwieg, wofür, gingen dieselben Journalisten allerdings nicht auf den Grund.

Die Welt als Wille und Vorstellung eines selbstbewussten Journalismus, der sein Maß in sich selber findet, denn wirksamer Einspruch von außen ist bei diesem gesellschaftlichen "Teilsystem" - anders übrigens als bei sämtlichen anderen - nicht möglich. Der politische Journalismus ist unbelangbar und scheint entschlossen, diese Chance zu nutzen. Eine Auszehrung der essenziellen journalistischen Maßstäbe von Objektivität und Distanz ist bei einer zentralen Gruppe von Alpha-Journalisten zu beobachten, als hätten sie ein privilegiertes politisches Mandat.

Einen seiner vielen Höhepunkte erreichte dieser Vorgang, als sich ganz kurz vor dem Wahltag einer der Wortführer ermächtigt fühlte, den zuvor von allen gemeinsam ohnehin schon ins persönliche und psychische Elend herunter geschriebenen Kandidaten glatt auf die Couch zu legen, um ihm auf der Zielgeraden mit einer pseudo-psychologischen Diagnose auch noch begrenzte politische Zurechnungsfähigkeit zu bescheinigen. Das Übergriffige dieser Anmaßung einer Macht, noch dazu ohne jeden politischen Gehalt und kurz vor der entscheidenden Wahl, fiel nach dem Vorangegangenen schon nicht mehr weiter auf.

Veröffentlichungsmonopol

Klarzustellen ist, dass der Journalismus nirgends, wo Medienfreiheit herrscht, ein monolithischer Block sein kann. Profil und Farbe, Kompetenz und Berufsethik, vor allem auch der politische Machtwille begegnen in diesem illustren Berufszweig wie in den meisten anderen, zumal der Politik, in größtmöglicher individueller Variation. Freilich ist diese Berufsgruppe für die Gesellschaft und die Politik, dem, was uns alle unbedingt angeht, erst recht in der Demokratie, von einzigartiger Bedeutung. Im Journalismus verbinden sich nämlich zwei Qualitäten auf widerspruchsvolle Weise miteinander, deren Verträglichkeit mit dem Anspruch der Demokratie als wohl informierter politischer Selbstbestimmung der Bürger ungeklärt ist, ja noch nicht einmal zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen werden kann, da die Zugänge zur Öffentlichkeit und das Bestimmen ihrer Themen allein in der Hand der Journalisten selbst liegt. Dieses Veröffentlichungsmonopol ist in der freien Welt mit einer prinzipiellen Unbelangbarkeit des Journalismus verbunden.

Um den demokratischen Anspruch einzulösen, haben moderne, nämlich unübersichtliche Gesellschaften in ihren Massenmedien ein System der erhofft neutralen Selbstbeobachtung. Journalisten sollen daher - so sieht es ihre große Mehrheit ungebrochen bis heute - Treuhänder der demokratischen Gesellschaft für deren im Ganzen gesehen objektive Selbstbeobachtung sein.

Unerledigte Aufgaben, verzerrte Ergebnisse

Wo diese Aufgabe unerledigt bleibt oder verzerrte Ergebnisse geliefert werden, entstehen defekte Demokratien. Eine intakte Öffentlichkeit ist für die Demokratie so wichtig wie allgemeine Wahlen. Diese Aufgabe zu erfüllen, ist das Privileg des (politischen) Journalismus. Das begründet angesichts der medialen Verfassung von Öffentlichkeit zugleich aber auch die kennzeichnende Monopolstellung des Journalismus, denn heute gilt: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben wissen, wissen wir durch die Massenmedien." Jedoch, fügt Niklas Luhmann seiner Feststellung hinzu: "Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, dass wir diesen Quellen nicht trauen können. Wir wehren uns mit einem Manipulationsverdacht, der aber nicht zu nennenswerten Konsequenzen führt, da das den Massenmedien entnommene Wissen sich wie von selbst zu einem selbstverstärkenden Gefüge zusammenschließt". Der Grund für diesen Zirkel liegt auf der Hand, denn alles, was wir über die Massenmedien wissen, ihre Art, die Gesellschaft zu beobachten oder die Weltbilder, die sie dabei womöglich lenken, können wir wiederum nur aus denselben Massenmedien wissen, um die es gerade geht. Die Massenmedien sind der blinde Fleck der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung, obwohl doch gerade sie bestimmen, wie wir die Welt sehen.

Angesichts dessen kann es beunruhigen, dass sie über ein unangreifbares Monopol verfügen, dessen verschlungene Anlage als wirkungsvolle Selbstimmunisierung wirkt. Dieses Monopol, von den zuständigen Journalisten im Rahmen fester Hierarchien gehandhabt, besteht nicht einfach im direkten Öffentlichkeitszugang für ihre eigenen Produkte mitsamt der darin enthaltenen Weltsicht und ihrer überlegenen Kommunikationsroutine. Hinzu kommt eine verschachtelte Verfügungsmacht über den Zugang aller Anderen zur Öffentlichkeit. Dabei ist zunächst zur Vermeidung von Missverständnissen daran zu erinnern, dass der Journalismus heute intern von einer höchst folgenreichen dreifachen Klassenteilung geprägt ist. Das Berufsfeld der vielen festangestellten Journalisten in den verschiedenen Ressorts der Einflussmedien steht unter dem Eindruck einer kleinen, aber deutungsmächtigen und machtbewussten Elite von Alpha-Journalisten, und das wachsende Heer der Freien und Nebenberuflichen ist überwiegend schlecht bezahlt und ohne eigene Macht. Die Nutzung der beschriebenen Monopolstellung wird folglich von der Führungsgruppe der Alpha-Journalisten virtuos dirigiert.

Die politischen Publizisten im Journalismus, jene also, die sich mit politischen Ereignissen, Prozessen, Programmen und Akteuren nicht nur berichtend und analysierend, sondern auch kommentierend oder direkt fordernd befassen, also selbst Positionen im politischen Prozess beziehen und diese verfechten, können auf eine beispiellose Kombination von privilegierten Zugängen zurückgreifen - und tun dies auch regelmäßig. Sie geben damit vielen anderen ein autoritätsgestütztes Beispiel. Als Kollektiv sind sie im gesamten politischen Publikationsprozess die gatekeeper, die allein entscheiden, was aus der unbegrenzten Fülle der Ereignisse und Veröffentlichungsangebote - Taten und Texte, Deutungen und Kritiken - auf die öffentliche Bühne gelangt - und was nicht. Es liegt auch allein bei ihnen, in welchem Licht die Ereignisse oder Personen gezeigt werden. Die Deutung des von ihnen Dargestellten, die Herstellung von Zusammenhängen, alles, was das Urteil des Publikums darüber prägen wird, liegt in ihrer Hand. Sie sind, in schwacher Form durch den spin, den sie den Dingen geben, in starker Form durch die Positionen, für die sie sich verdeckt oder offen einsetzen, derjenige Mitspieler im politischen Prozess, der gleichzeitig als Einziger unter allen Konkurrenten über das laufende Spiel für das große Publikum berichtet und dazu auch noch den Kommentar liefert.

Da sie aber selbst den Spielausgang, jedenfalls im Hinblick auf dessen Wertung, weitgehend bestimmen, sind sie zu alldem auch noch die Schiedsrichter. Was von den möglichen Einsprüchen gegen ihr Urteil, die etwa seitens ihrer politischen Mitspieler, von Organisationen oder aus der Gesellschaft geltend gemacht werden, schließlich veröffentlicht wird oder im Schweigen versinkt und wie dies dann wieder dargestellt oder kommentiert wird, liegt abermals allein bei ihnen. Sie behalten immer das letzte Wort - vor allem auch in eigener Sache.

Unbelangbare Torwächter

Es ist, als würden bei Gericht die Rollen der Zeugen, des Anklägers und der Richter in einer Person vereinigt. Die Veröffentlichungsmacht der Journalisten ist ungeteilt. Gewiss, sie verfügt über keine sichere Wirkungsgarantie in allen Teilen des Publikums, aber auf jeden Fall über die am meisten privilegierte Wirkungschance als Torwächter zur Öffentlichkeit. Wer da nicht durchgelassen wird, hat kaum gute Aussichten. In dieser so folgenreichen Monopolstellung ist der Journalismus jenseits der flagranten Verletzung von Strafrechten daher in einem genauen Sinne unbelangbar: Er kann sich nach eigenem Ermessen jeder folgenreichen Kritik entziehen. Keine andere gesellschaftliche Funktionsgruppe in der demokratischen Gesellschaft genießt ein vergleichbares Privileg.

Ganz frei ist der Journalismus in seinen Entscheidungen aber nicht, denn er muss die Grundvoraussetzungen der medialen Funktionslogik erfüllen. Diese ist aber, anders als Systemtheoretiker lehren, kein hermetisches System, sondern hält für das Tun und Lassen der Akteure einen weiten Raum offen. Im Unterschied zum versammlungsdemokratischen Marktplatz funktioniert die Medienöffentlichkeit als eine hochselektive Schaubühne mit spezifischen Zugangsbedingungen. Die virtuose Handhabung der beiden Filter, die den Zugang zur Medienbühne regeln, bei den elektronischen Medien strikter als im Printbereich, beim Boulevard gnadenloser als bei den Qualitätszeitungen, sorgen als Selektionszwang für eine Vorab-Inszenierung, der genügen muss, wer Zugang begehrt.

Der erste Filter mit seinen Selektionsregeln prüft, was im Auge des Journalismus Nachrichtenwert hat (Personalisierung, Konflikt, Prominenz, kurze Dauer, kulturelle Nähe, Präsenz etc.). Der zweite Filter mit seinen kunstvollen Präsentationsregeln der journalistischen Bearbeitung des so gewonnenen Rohmaterials sorgt für dessen möglichst attraktive und kurzweilige Inszenierung als "Stück" (Geschichte, Drama, Mythos). Beide wirken als Medienlogik zusammen und sorgen für den Erfolg der jeweiligen Produkte am hart umkämpften Aufmerksamkeitsmarkt. Wer diese Logik professionell beherrscht, kann freilich durch gekonnte Inszenierung für fast alles Aufmerksamkeit mobilisieren. Was den Medien in diesem Herstellungsverfahren ihrer Bilder von der Wirklichkeit als unabdingbar wichtig erscheint, regelt im Zweifelsfall der Blick auf das, was die Kollegen bringen, ganz besonders jene vom Starsystem des Alpha-Journalismus geprägte Leitmedien, in die sie alle den ersten Morgenblick werfen, wenn der journalistische Arbeitstag beginnt.

Da nun das System der Berufspolitik bei Strafe eines potenziell tödlichen Legitimationsentzugs auf möglichst ersprießliche Dauerpräsenz auf den Medienbühnen angewiesen ist, unterwirft es sich willig oder widerstrebend den Regeln der medialen Vorab-Inszenierung durch daran angepasste Darbietungen seiner eigentlichen (manchmal auch nur vorgespielten) Leistungen, hoffend, auf diese Weise eine Art Mit-Kontrolle über sein öffentliches Wirken zu gewinnen. In der entstehenden, oft kaum zu entwirrenden Gemengelage der Ko-Inszenierungen von Politikern und Medienakteuren ist es am Ende, wie bei dem Wettlauf von Hase und Igel, freilich wiederum der Journalismus, der das Rennen macht, denn er allein verfügt als letzter gatekeeper über die Inszenierungshoheit und kann angebotene politische Inszenierungen durchwinken, verändern oder mit einer eigenen Inszenierung kritisch zerlegen. Der Journalismus hat also auch unter dem Zwang seiner eigenen Filtersysteme beträchtlichen Spielraum.

Bei der Ausfüllung dieses Spielraums kommen, in Deutschland in letzter Zeit verstärkt, ökonomische Interessen auf dreifache Art ins Spiel. Die Wirtschaftsinteressen der Medienhäuser (Eigentumsordnung, Werbung, Elitekunden) limitierten schon immer die journalistischen Möglichkeiten, der Einbruch der Werbeeinnahmen und die Internetkonkurrenz verschärfen diesen Druck auf die Redaktionsarbeit heute deutlich. Die Konzentrationsprozesse der letzten Jahre haben die Anzahl der überlebenden Medienhäuser und selbstständigen Reaktionen drastisch reduziert, so, dass die meisten politischen Journalisten je nach dem Lauf der Dinge in ihrem Berufsleben mittlerweile fast überall landen können. Das macht vorsichtig, die politische Konkurrenz, wechselseitige Kritik und damit auch Kontrolle zwischen den großen Zeitungen erlischt und der maßgebende Einfluss der Alpha-Journalisten überschreitet die Grenzen der einzelnen Redaktionen und Medienhäuser.

Ökonomische Zwänge

Die alten politisch-ideologischen Bastionen sind gefallen. Eine postmoderne Beweglichkeit ist an ihre Stelle getreten. Es scheint heute, als sei die mentale Wirkungsdimension des ökonomischen Faktors von besonderer Bedeutung für die Art, wie der politische Journalismus schleichend zum gewohnheitsmäßigen politischen Mitspieler wird. Seit der Mitte der 90er Jahre, im Zuge von Globalisierung, Ende der Ost-West-Systemkonkurrenz, neo-liberaler Dominanz und dem Jahrzehnt von Rausch und Verheißung der Neuen Ökonomie, hat eine Journalistengeneration die Alpha-Positionen übernommen, die in verächtlicher Abkehr vom Linksliberalismus ihrer Vorgänger von einer neubürgerlichen Mentalität geprägt ist. Bei ihnen scheinen die eigenen Statusinteressen den Blick auf die Gesellschaft, die Auswahl der wichtigen Themen und die Bewertung der politischen Akteure mitzuprägen. Die professionelle Zurückhaltung wird schwächer, die Neigung zum Mitmischen im politischen Machtspiel wächst. Am liebsten wäre heute den meisten von ihnen - man spürt das auch in den Texten, in denen davon gar nicht die Rede ist - eine schwarz-grüne Koalition, bei der sich zwei besitzbürgerliche Fraktionen auf elegante Art die Arbeit teilen, das Interesse an der sozialökonomischen Besitzstandswahrung sichern die Einen, die kulturelle Modernisierung symbolisieren die Anderen. Soziale Themen und linke Perspektiven können da nur noch nerven.

Woher aber kommt angesichts einer solchen Entwicklung das publizistische Gegengewicht, wer verschafft den sozialen Themen und der gesellschaftlichen Kritik an der Handhabung des Journalistenmonopols wirksam Gehör? Das sind offene Fragen, die nicht ohne Antwort bleiben dürfen, denn schließlich geht es um die Qualität unserer Demokratie.


Thomas Meyer ist emeritierter Professor für Politwissenschaften an der Universität Dortmund und Chefredakteur der Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte. Zuletzt im VS Verlag erschienen: Soziale Demokratie. Eine Einführung und: Was ist Fundamentalismus?
thomas.meyer@fes.de

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2014, S. 18 - 22
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2014