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STELLUNGNAHME/006: Die Sendung mit dem Huhn (Ingolf Bossenz)


Die Sendung mit dem Huhn

Massenhaltung oder Öko-Mast? Eine ZDF-Dokumentation für den lernwilligen Verbraucher

Von Ingolf Bossenz, 4. Oktober 2014



Die ärmste Sau ist das Huhn. Das auf Hochleistung getrimmte, bis zur letzten Feder ausgebeutete Gallus gallus domesticus steht für die Effizienz moderner Nahrungsmittelerzeugung. Lediglich der trotz aller »wissenschaftlichen« Bemühungen nicht zu beseitigende Umstand, dass es sich bei diesen elenden Kreaturen um Lebewesen handelt, setzt der Produktionssteigerung Grenzen. Gewisse. Ob diese noch etwas mit Gewissen zu tun haben, ist eine Frage, der das ZDF in seiner zweiteiligen Dokumentation »Projekt Hühnerhof« nachgeht.

Teil 1, der diese Woche lief, zeigte den Tierfilmer und Wissenschaftsjournalisten Dirk Steffens bei der Recherche des ganz normalen Wahnsinns, der sich Tier-»Produktion« nennt und dem hierzulande neben anderen essbaren Geschöpfen alljährlich 760 Millionen Hühner zum Opfer fallen. In ein paar Dutzend Tagen zur Schlachtreife hochgemästet, in automatischen Massentötungs- und Zerstückelungsanlagen in gefällige Teile zerlegt, in kalter Klarsichtverpackung dem warmen Licht der Kaufhallentheke und dem Sonderangebote suchenden Blick der »Verbraucher« ausgesetzt. Unschlagbar billig, unsagbar grotesk.

Steffens sucht nach einer Alternative zu den Monstrositäten der Massenhaltung. Die mittlerweile von vielen praktizierte einfachste und wirksamste Alternative, der schlichte Verzicht auf den Verzehr nicht nur von Hühnern, sondern von Tieren jeglicher Art, ist natürlich ungeeignet für eine dramatisch in Szene gesetzte Primetime-Reportage. Also muss das her, was dem Konsumenten pekuniär ein bisschen mehr und dem Tier physisch- psychisch ein bisschen weniger wehtut: die Öko-Mast, die den Gemästeten ein glückliches Leben und den Geflügelkäufern ein gutes Gewissen verheißt.

ZDF-Journalist Steffens wird für ein paar Wochen selbst zum Öko-Bauern. Auf seinem »Projekt Hühnerhof« im niedersächsischen Uelzen betreut, bewacht, befüttert und bevatert er zweieinhalbtausend Hühner vom kuscheligen Kükenstatus bis zur kalten Kaufhallenpackung. Der Sinn der aufwendigen Sendung mit der Maus (respektive dem Huhn) für Erwachsene: Herauszufinden, ob Konsumenten im Gefolge einer engagierten Kampagne bereit sind, mehr Geld auszugeben und weniger - aber dafür »besseres« - Fleisch zu verzehren. Denn das ist unbestritten: Mit sogenannter ökologischer und vorgeblich artgerechter Haltung lässt sich der (weltweit) ständig steigende Konsum des Fleisches von Tieren welcher Art auch immer nicht einmal ansatzweise befriedigen.

Die gezeigten Einblicke in Massenhaltung, -mästung und -tötung wurden von der deutschen Geflügelwirtschaft genehmigt. Keine Skandalställe, keine Machenschaften, keine »Enthüllungen«. Nur der ganz normale Wahnsinn. Man darf gespannt sein, wie das Experiment ausgeht.

Zweiter Teil: ZDF, 7. 10., 20.15 Uhr

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Quelle:
Ingolf Bossenz, Oktober 2014
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 04.10.2014
http://www.neues-deutschland.de/artikel/948020.die-sendung-mit-dem-huhn.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2014