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TV/002: Besprechung - "Grönland - Eine eisige Insel im Wandel", Phoenix (SB)


Filmbesprechung

Grönland - Eine eisige Insel im Wandel


Was Erik der Rote sagte, als er im Jahr 982 die Südwestküste Grönlands erreichte, ist nirgends überliefert. Wohl aber glaubt man heute zu wissen, was sich zwischen Himmel und Meer herausschälte und allmählich Konturen gewann, als sich das Schiff des Rothaarigen, der wegen Mordes von Island verbannt worden war, den fremden Gestaden näherte: Grünes Land. Oder, um es in altnordisch zu sagen: Grænland. Vielleicht aber hatte Erik auch ein wenig übertrieben, als er drei Jahre und zahlreiche Erkundungen an der südgrönländischen Küste später nach Island zurückkehrte und Kolonisten für eine Besiedlung dieses schroffen, arktischen Lands anwarb.

Werbung für Grönland machen jedenfalls Claudia Buckenmeier und Tilmann Bünz mit ihrer Reisereportage "Grönland - Eine eisige Insel im Wandel", die am Samstag, den 9. November, um 21.45 Uhr auf PHOENIX ausgestrahlt wird. Die Bewohner der Insel, die meisten von ihnen Inuit, geben sich trotz der Präsenz der Kamera angenehm unaufgeregt. Selbst bei der nach langen, dunklen Wintermonaten sehnsüchtig erwarteten, im Kreis der Vertrauten feierlich begrüßten Sonne durfte das Team aus dem ARD-Studio Stockholm filmen.

Buckenmeier und Bünz bereisten Grönland im Winter, Frühjahr und im Sommer. Ihre Stationen waren Qaanaaq im Norden, Ilulissat und die Disko-Bucht in der Mitte, das inmitten des grönländischen Eispanzers gelegene Swiss-Camp sowie Kangerlussuaq und Qaqortoq im Süden. Dabei stand stets die Frage im Mittelpunkt des Berichts, welche Anzeichen es für den Klimawandel gibt und wie die Grönländer damit umgehen.

Die klimabedingten Veränderungen scheinen unstrittig: Eis, das früher mannsdick war, läßt sich inzwischen mit der Länge eines Unterarms bemessen; Neueis friert teilweise nur noch auf eine Handspanne dick. Früher mußten die Jäger Nordgrönlands mit ihren Schlittenhunden einhundert Kilometer weiter bis zur Eiskante fahren, heute ist sie in greifbare Nähe gerückt.

Der Tenor in den Aussagen der Befragten unterscheidet sich im wesentlichen nicht: Der Klimawandel kommt, man stellt sich darauf ein. Da klang hin und wieder sogar Trotz hindurch, ganz so, als wollten die Grönländer den deutschen Fernsehleuten, die sicherlich nicht die ersten waren, die sich nach dem Leben der Menschen in dieser eisigen Welt erkundigten, zu verstehen geben, daß sich ihr Volk schon immer auf die Natur einstellen mußte, in guten wie in schlechten Zeiten. Sich über die Erwärmung Sorgen zu machen, scheint für die Inuit in die gleiche Kategorie zu fallen, wie wenn sich ein Tourist oder Reporter über die Kälte beklagt. "Wir leben unter diesen Verhältnissen, was beschwert ihr euch?", lautet die unterschwellige Aussage der Einwohner.

Anders hingegen die Nachwuchswissenschaftler im sogenannten Swiss-Camp, das nur mit dem Hubschrauber zu erreichen ist. Sie berichten sorgenvoll von einer Zunahme der Dynamik im grönländischen Eispanzer. Die Gletscher glitten auf dem aufgeweichten Untergrund schneller ins Meer als früher. Ergänzt wurden solche fachlichen Fragen durch Erkenntnisse auf einem gänzlich anderen "Fachgebiet": Wer eine Zeitlang auf dem grönländischen Eis verbringt, dem wird das Essen sehr wichtig - und er macht sich womöglich Sorgen, ob auch an alles gedacht wurde, als die Lebensmittelkisten, die nun bis zur Kante im Eis eingelassen sind, in den Vereinigten Staaten gepackt wurden. Trotz der extremen Witterungsverhältnisse mit permanenten Minusgraden, häufig kräftigen Winden und Eis über Eis, so weit das Auge reicht, scheinen sich die Forscher hier wohl zu fühlen. Das leuchtet sofort ein, wenn sie das übrige Jahr ständig auf einen Computerbildschirm blicken und Daten auswerten müssen.

Der Reisebericht von Buckenmeier und Bünz wurde auf ein Publikum zugeschnitten, das vermutlich mit Problemen, für die es keine Lösung innerhalb ihres Erfahrungshorizonts gibt, nicht ernsthaft konfrontiert werden will. So einträchtig, wie hier geschildert, verläuft das Leben keineswegs aller Inuit. Der Einzug der Moderne in die Welt der Arktisbewohner hat zur Entwurzelung und tragischen sozialen Verwerfungen geführt. Alkoholismus ist eines der Probleme, die jenseits der Feierlichkeiten zur Begrüßung der Frühlingssonne aufscheinen. Nicht alle Inuit besitzen den Wunsch oder die Fähigkeit, sich an die neue Zeit anzupassen.

Des weiteren erfolgte die in einigen Sequenzen gezeigte Reise der Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Ilulissat nicht allein aus dem Grund, weil sie auf den Klimawandel aufmerksam machen wollte. Der Besuch fand nicht zufällig in einer Zeit statt, in der die Arktis ins Zentrum geopolitischer Positionierungen seitens der Anrainerstaaten USA, Kanada, Rußland, Norwegen und Dänemark geraten ist. Deutschland als souveräner Staat wie auch als Mitglied der Europäischen Union möchte seine Interessen an einer Ausbeutung der Arktis, in der Erdöl, Erdgas, Gold, Diamanten und andere wertvolle Rohstoffe locken, wahren und muß sich mit einem der Anrainerstaaten der Arktis verbünden. In diesem Fall mit dem EU-Mitglied Dänemark, dem Grönland noch immer angeschlossen ist.

Solche potentiell brisanten Themen werden in dem Film "Grönland - Eine eisige Insel im Wandel" nicht angeschnitten. Statt dessen werden Inuit gezeigt, die geduldig an Wasserlöchern auf Robben warten, Schlittenhunde, die auf hartgefrorenem Heilbutt kauen, ein Moschus-Ochse und ein Karibu, ein Imker, der Honig produziert, und ein Gärtner, der Eisbergsalat in einem Glasbeet zieht. Die präsentierte Seichtigkeit verspricht Beruhigung: Der Klimawandel kommt, aber die Grönländer stellen sich darauf ein.


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Grönland - Eine eisige Insel im Wandel
Erstausstrahlung: 9. November 2008
21.45 Uhr
Wiederholungen: 15.11.2008, 12.15 Uhr
16.11.2008, 19.15 Uhr
PHOENIX 2008

6. November 2008