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INTERVIEW/001: Mo Asumang - Road to Rainbow. Willkommen in Südafrika (SB)


Südafrika braucht uns nach wie vor


Als Mo Asumang 1998 zum ersten mal Südafrika bereist, ist sie schockiert von dem Ausmaß an Diskriminierung und Gewalt, die trotz Ende der Apartheid immer noch herrschen. Entsetzt reist sie wieder ab. Seitdem hat die Journalistin, Moderatorin und Filmemacherin, deren väterliche Wurzeln ebenfalls auf dem schwarzen Kontinent, wenngleich in Ghana liegen, "eine Geschichte mit Südafrika offen". Ihr neuer Film, der den Menschen im Jahr der Fußballweltmeisterschaft 2010 ein Bild von Südafrika jenseits von Toren und Trophäen zeigen will, soll diese Lücke schließen. Obwohl mit dokumentarischem Anspruch, ist "Road to Rainbow - Willkommen in Südafrika" auch ein ganz persönlicher Blick auf das Land am Kap.

Nach ihrem Filmdebüt mit Roots Germanica (2007), in dem sie, aus eigener unmittelbarer Betroffenheit durch Anfeindungen von Neonazis motiviert, den Wurzeln ihrer eigenen deutschen und ghanaischen Identität nachgeht, ist dies Mo Asumangs zweiter Film. Kurz vor der Erstausstrahlung im ZDF in der Reihe 'Das kleine Fernsehspiel' am kommenden Mittwoch, den 30. Juni 2010, um 23:30 Uhr, hatte der Schattenblick Gelegenheit zu einem Telefoninterview mit der Autorin.

Schattenblick: In Ihrem neuen Film " Road To Rainbow", der am Mittwoch im ZDF erstmalig gezeigt wird, nehmen Sie, ausgehend von den durchaus positiven (Vor)urteilen, die man über Südafrika haben kann und mit denen der Film beginnt - Stichwort: Krüger-Nationalpark, Abenteuer, Entspannung, starkes Land - den Zuschauer mit auf Ihre Suche nach dem, was man die Regenbogennation nennt. Was haben Sie gefunden?

Mo Asumang: Ich habe auf jeden Fall nicht das gefunden, was ich erwartet habe. Ich habe erwartet, daß Südafrika 16 Jahre nach Ende der Apartheid stärker zusammengewachsen ist, daß Schwarze und Weiße mehr in Frieden miteinander leben und, vor allen Dingen, mehr zusammenleben. Und ich habe eigentlich genau das Gegenteil gefunden. Ich bin in Townships herumgefahren, ich habe ungefähr fünf Wochen da unten gedreht und ich habe in den Townships nicht einen einzigen weißen Menschen gesehen. Statt dessen habe ich aber von einem Buch erfahren, in dem ein weißer Südafrikaner geschrieben hat, daß er ins Township gezogen ist. Ein Einzelner, und das ist so wertvoll, daß man darüber ein Buch schreibt. Das hat mich schon sehr verblüfft, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich dachte, es wäre mehr zusammengewachsen.

SB: Ihr Film hat ja eine sehr offene, einfache, manchmal denkt man, fast naive Herangehensweise...

MA: Ja.(lacht), das ist so mein Stil, diese naive Herangehensweise, so gehe ich durchs Leben.

SB: Es kann ja auch sehr wohl absichtsvoll sein, so vorzugehen.

MA: Ach, es ist so ein bißchen mein Stil, durchs Leben zu gehen, aber ich habe das für den Film vielleicht noch ein bißchen forciert, um diesen kindlichen Blick und die Offenheit zu behalten. Ich bin zwar Journalistin, aber ich versuche immer, auch die menschliche Seite mit reinzubringen und auch mein Wesen und die Neugier, die ich habe, meine Gefühle und all diese Dinge, die man sonst als Journalist vielleicht nicht unbedingt so in den Vordergrund stellt. Das spielt bei mir schon eine größere Rolle als bei einem normalen Journalisten.

SB: "Road to Rainbow" wird im ZDF in der Reihe "Das kleine Fernsehspiel" gezeigt, die unter dem Motto 'Mit jungen Augen sehen' steht. Wen wollen Sie mit Ihrem Film vor allem erreichen?

MA: Für mich wäre es natürlich sehr, sehr schön, wenn Leute ab achtzehn bis achtzig den Film anschauen. Ich habe da gar keine Altersvorstellungen. Ich denke, Südafrika ist für viele im Moment das Thema Nummer 1. Die ganze Welt schaut auf Südafrika und ich glaube, daß jung und alt sich gleichermaßen für das Land interessiert und auch gerne 'mal hinter die Kulissen schauen möchte. Was wir sonst im Fernsehen sehen oder im Radio hören, ist meistens eher die beschönigende Seite von Südafrika, lächelnde, südafrikanische Kinder, Projekte, die gestartet werden. Daß es da natürlich auch eine Schattenseite gibt, oder, sagen wir es mal so, daß die Realität anders aussieht - ich glaube, daß der Zuschauer ein Recht darauf hat, das zu sehen und ich bin sehr froh, daß sich das ZDF dazu durchgerungen hat, einige Leute dorthin zu schicken, um genau auch diese Seite zu zeigen. Und natürlich hat "Das kleine Fernsehspiel", ganz vorne an, eben diesen jungen Blick. Dem, würde ich sagen, werden wir auf jeden Fall gerecht, aber es ist auch ein Film, den ältere Leute gucken können.

SB: Sie sagen in Ihrem Film, es kommt auf die Jugendlichen an in Südafrika, denn sie sind die Zukunft.

MA: Ja, ja.

SB: Würden Sie das für die Zuschauer ebenso sehen?

MA: Oh, nein, das glaube ich nicht. Natürlich interessiert junge Leute die Wahrheit, also, wie es in Südafrika wirklich aussieht, weil junge Leute ja noch immer diesen wahnsinnigen Enthusiasmus haben und auch offen sind zu helfen. Wenn man natürlich die ganze Zeit nur auf rollende Bälle und auf Tore schaut, dann verliert man das so ein bißchen aus dem Blick. Das wäre schade, denn die jungen Leute haben so viel Energie und wollen so viel geben. Und wenn die alle denken, in Südafrika ist alles paletti, dann wird da nix mehr passieren. Das waren meine Bedenken, daß eben die WM auf der einen Seite zwar sehr viel Positives bringt, aber auf der anderen Seite uns Zuschauer auch mit diesem Gefühl zurückläßt: Ach, ist ja alles in Ordnung da unten, da müssen wir uns gar nicht mehr drum kümmern! Aber dem ist nicht so. Südafrika braucht uns nach wie vor. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt in Baracken! Und da muß immer noch geholfen werden.

SB: Sie haben vorhin schon angedeutet, daß seit dem offiziellen Ende der Apartheid und entgegen der damit verbundenen Hoffnungen die Gegensätze zwischen schwarz und weiß, vor allem aber zwischen arm und reich sich eher noch verschärft haben. Wie haben Sie das erlebt in den fünf Wochen, in denen Sie dort waren?

MA: Wenn man sich z.B. die Stadt Kapstadt anschaut, Cape Town, und sich überlegt, von wo dort jetzt berichtet wird - wo wohnen die Leute, die dort hinkommen und wohin gehen sie? -, dann sieht man meistens nur einen ganz kleinen Teil, nämlich Camps Bay, wunderschöne Strände, Villengegenden usw. Aber das Kapstadt, wo es wirklich schön ist mit Stränden und Reichtum, ist eigentlich nur ein ganz minimaler Teil und der Rest sind Barackenviertel. Die unzähligen Townships in Kapstadt, die werden einfach mal auf die Seite geschoben. Das habe ich schon sehr, sehr extrem erlebt. Natürlich sind wir mit unserem ganzen Kameraequipment und wegen der Sicherheitslage auch nicht direkt ins Township gezogen. Aber das hatte in dem Fall wirklich einen Grund, weil wir natürlich mit unserem Material auch wieder zurückkommen wollten. Da haben wir das halt ganz deutlich mitbekommen. Wir haben selber in einem Haus mit lauter Sicherheitsvorkehrungen gewohnt - man kann sich das gar nicht vorstellen -, mit tausend PIN-Codes, die man eingeben mußte, um in das Haus reinzukommen. Man hatte einen Panic-Button, also einen Panik-Knopf als eine Art Schlüsselanhänger. Mein Kameramann hat den immer neben dem Bett liegen gehabt. Und ansonsten hat man gehorcht, ob irgend so ein Piepen kam, denn wenn eine Tür oder ein Fenster aufging, fing das an zu piepen. Da hat man manchmal echt Angst gehabt, daß es irgendwo plötzlich dieses Geräusch gibt und daß plötzlich jemand reinkommt und einen überfällt. Also, das war schon ziemlich heftig. Da hat man schon gemerkt, was da unten eigentlich los ist.

Und dann natürlich das Straßenbild. Es gibt in Cape Town diese berühmte Straße im Zentrum, die Long Street, wo wirklich alles gemischt ist. Aber wenn man dort hingeht, wo die Leute wohnen, dann ist da gar nichts gemischt. Auf der einen Seite wohnen die Schwarzen, die meistens arm sind, auf der anderen Seite wohnen die Reichen. Man muß natürlich dazusagen, das es nicht nur eine Kluft zwischen schwarz und weiß gibt, sondern heutzutage vor allen Dingen eben auch die Kluft zwischen arm und reich. Und es gibt auch reiche Schwarze, die habe ich ja am Schluß des Films befragt.

SB: Ja, genau. Darauf kommen wir noch.

MA: Es war mir auch wichtig zu zeigen, daß es nicht die 'bösen Weißen' und die 'guten Schwarzen' gibt, sondern es gibt einfach die Leute, die sich ihr Säckel schon vollgestopft haben und es gibt die anderen, die eben immer noch in Armut leben.

SB: Ihr Film zeigt mehr Reiche als Arme, und vor allen Dingen läßt er mehr Reiche zu Wort kommen.

MA: Mehr Entscheider, würde ich sagen, läßt er zu Wort kommen.

SB: Gibt es dafür Gründe?

MA: Ja. Die Menschen, die in den Townships leben - ich wollte den Film ja auf englisch machen - sprechen nicht alle englisch. Da war es nicht so einfach, überhaupt Interviews zu führen. Das hatte dann einfach auch technische Gründe und Vorgabegründe, daß man eben nicht alles untertiteln muß, damit die Leute beim Zuschauen auch wirklich dran bleiben. Und so habe ich dann einfach versucht, Leute zu finden, die englisch können, damit man sie auch verstehen kann. Daß wir letztendlich den Film komplett mit voice-over versehen haben, war vorher gar nicht so geplant. Dann hätte ich das natürlich etwas anders gemacht, dann hätte ich wahrscheinlich schon noch mehr mit den Leuten in den Townships gesprochen. Aber ich habe sie ja auch drin und vor allen Dingen gibt es den kleinen Jungen Inganathi, der HIV-positiv ist, der doch die größte Rolle im Film spielt und mit dem wir auch die meisten Drehtage hatten.

SB: Das Thema Sicherheit, wir sprachen schon darüber, nimmt auch im Film einen großen Raum ein. Sie berichten davon, daß es in Südafrika mehr private Sicherheitsleute als Polizisten oder Soldaten gibt.

MA: Ja.

SB: Sie schildern das Problem der Sicherheit aus Sicht der Reichen. Nun gibt es ja auch ein Sicherheitsproblem aus Sicht der Armen, insofern, das sagen Sie auch, als 80% der Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen. Ist nicht auch deren Sicherheit an Leib und Leben tagtäglich bedroht?

MA: Ja, ich glaube schon. Aber natürlich wird da kaum jemand einbrechen, weil da nichts zu holen ist. Die Menschen leben teilweise zu acht in einer Bretterhütte, und da kann man so gesehen auch nichts wegnehmen. Aber auf der anderen Seite gibt es andere Formen von Kriminalität, die einfach damit zu tun haben, daß die Leute so fertig sind und Drogen nehmen und dann Frauen vergewaltigen, beispielsweise. Das ist ein Riesenthema in Südafrika. Das habe ich im Film jetzt nicht thematisiert, weil ich auch nicht zu düster werden wollte. Der Film ist schon konzipiert, extra für die Zeit der WM, um die Leute nochmal ein bißchen wachzurütteln: Hey, es gibt auch noch 'ne andere Seite! Aber die Zahl der Vergewaltigungen ist, glaube ich, in keinem Land größer als in Südafrika und das hat mit Drogen zu tun und mit der totalen Frustration und Unzufriedenheit der Leute und da muß man schon um sein Leib und Leben bangen, besonders als Frau.

Da kommen natürlich noch viele, viele Dinge dazu, beispielsweise HIV, AIDS. In den Townships sind 30% der Personen infiziert - sind HIV-positiv. Und was das ausmacht, das muß man sich einfach mal vorstellen, wenn hier nur eine Person im eigenen Umfeld, aus der eigenen Familie eine Krankheit hat, was das alles mit sich zieht. Und wenn man sich klarmacht, was das für die Kinder bedeutet, wenn da unten teilweise Mutter und Vater und noch irgendwelche anderen Verwandten HIV-positiv sind, oder wenn die Kinder es selbst haben, wie z.B. der kleine Junge Inganathi, was das alles bedeutet, was das für Auswirkungen hat, das ist unglaublich.

Ich muß es nochmal sagen, ich habe den Film nicht ganz so düster machen wollen, weil ich eben glaube, daß die Leute jetzt, während der WM, für so etwas nicht ganz so offen sind, aber ich wollte trotzdem Aufmerksamkeit schaffen für gewisse Themen. Damit die Zuschauer eben nicht denken, da unten ist alles in Ordnung, alles paletti, wir brauchen da nicht mehr zu helfen.

SB: Da geht es dann um die Balance, was kann man zumuten, was muß man zumuten, was will man zumuten ...

MA: ... bevor jemand abschaltet, genau.

SB: Sie haben, so legt der Film nahe, für das große Sicherheitsbedürfnis viel Verständnis gehabt, und so, wie Sie es schildern, muß es ja wirklich sehr krass sein. Sie sind ja selbst wegen Ihrer Hautfarbe in Deutschland dem Rassismus ausgesetzt gewesen und sogar mit dem Tod bedroht worden. Gibt es da einen Zusammenhang, daß Sie auch deshalb für das Sicherheitsbedürfnis in Südafrika ein so großes Verständnis haben?

MA: Nein, den Zusammenhang sehe ich nicht. Bei mir hat es eher damit zu tun, daß Südafrika für mich mit schwarz und weiß zu tun hat, das ich ja beides in mir vereinigt habe. Es ist eher das, was mich an Südafrika interessiert hat. Und das Sicherheitsbedürfnis - ich für meine Person habe das anders gelöst, mit Offenheit, mit Daraufzugehen, mit den Neonazis sprechen, die mich angegriffen haben. Ich habe da die Flucht nach vorn angetreten.

Aber deshalb war es mir schon auch ein Bedürfnis zu zeigen, wie man sich um diese Thematiken auch herummogeln kann. Wenn man in Gefahr ist, kann man, anstatt sich zu öffnen und zu helfen, daß es anders wird, natürlich auch sagen: OK, ich kaufe mir jetzt fünf Schlösser, ich habe eine Sicherheitsanlage, ich habe 5000 Kilometer Stacheldrahtzaun, ich habe einen elektrischen Zaun, ich habe Panic-Buttons und was sonst noch in meinem Haus und wenn was passiert, dann kommt eine Sicherheitsfirma mit Maschinengewehren. So ist das in Südafrika und das wollte ich halt auch zeigen. Ich persönlich bin da ganz anders drauf. Ich glaube, es ist wirklich an der Oberkante da unten, was dieses Sicherheitsbedürfnis angeht. Mehr kann man eigentlich gar nicht machen, sonst müßte man sich eine ganze Festung bauen.

SB: Teilweise sieht es ja schon so aus, wie bei diesem Haus, das Sie zeigen.

MA: Das ist schon fast, wie sagt man, ridiculous, also lächerlich wäre jetzt das falsche Wort...

SB: Es hat etwas Skurriles.

MA: Ja, es hat was wirklich Skurriles. Und ich glaube, daß es absolut an der Zeit für eine Wende ist. Die Leute müssen sich überlegen, wo sie mit diesem Sicherheitsbedürfnis hingehen, ob sie nur in Geld und in Stacheldrahtzäune investieren, oder ob sie sich mal überlegen: 'Mensch, wenn wir unser ganzes Geld, das wir in das Sicherheitssystem investieren, in die Bewältigung von Kriminalität investieren würden, dann hätten wir viel mehr davon. Wir könnten nämlich unsere Türen offenlassen und müßten nicht um unser Leben und unser Hab und Gut bangen.' Das wäre mal eine Variante. Ich habe es nicht ausgesprochen, aber ich glaube, das ist etwas, was sich sowieso jeder denkt - so habe ich es zumindest im Film konzipiert.

SB: Der letzte Chef des Apartheid-Regimes, de Klerk, hat im Interview mit Ihnen Apartheid als Verbrechen bestritten, mit der Begründung fehlender Vorsätzlichkeit einer Politik der Diskriminierung. Wie haben Sie darauf reagiert?

MA: Dieser Moment mit Frederic de Klerk, der ja auch Friedensnobelpreisträger ist, hat mich ziemlich schockiert. Ich dachte, das kann ja nicht sein, daß mir ein Friedensnobelpreisträger sagt, ich kann dem nicht zustimmen, daß Apartheid 'crime', also ein Verbrechen war, weil ich als Anwalt die Definition von Verbrechen so definieren würde, daß man den Menschen absichtlich etwas antun würde und so weiter, und ich mich dann selber als Krimineller darstellen müßte. Sich über diesen Trick 17 mit Selbstüberlistungstaktik daraus zu manövrieren, fand ich eigentlich ziemlich unmöglich. Und es hat mich auch ein bißchen traurig gemacht, muß ich sagen, das hatte ich mir anders vorgestellt.

Er hat sich angegriffen gefühlt, und ich dachte, er müßte sanftmütiger sein und weiser, nach 15 Jahren nach der Zeit. Vielleicht ist es aber auch so, daß ihm schon so viele Leute diese Frage gestellt haben, und daß er einfach dachte: 'Oh, nicht schon wieder!' Vielleicht hat er auch deshalb so reagiert. Mein Bauchgefühl hat mir gesagt, da ist noch nichts im Reinen, das sitzt ganz tief.

SB: Und er hat natürlich als Anwalt geantwortet...

MA: ... und er hat als Anwalt geantwortet...

SB: ... als sein eigener.

MA: Ja, er hätte natürlich auch als Mensch antworten können.

SB: Einer Ihrer Gesprächspartner im Film spricht von der wachsenden Wut der schwarzen Bevölkerungsmehrheit angesichts der immer noch bestehenden bzw. zunehmend wachsenden sozialen Ungerechtigkeiten. Haben Sie davon etwas gespürt?

MA: Die Wut, ja. Es fing eigentlich an, als ich 1998 zum ersten Mal nach Südafrika gefahren bin, vier Jahre nach dem Ende der Apartheid. Da habe ich diese Wut ganz deutlich gespürt. Nach fünf Tagen habe ich das Land verlassen, weil ich das einfach nicht ertragen konnte und gedacht habe: 'Meine Güte, was für eine Ungerechtigkeit! Und daß das immer noch so ist, das halte ich nicht aus.' Ich bin damals mit einer Freundin dort gewesen und wir sind dann nach Mozambique gefahren, irgendwie mußten wir da raus. Und da fing auch diese Liebe, diese Haßliebe zu Südafrika bei mir an, was jetzt, letztendlich, zu dem Film geführt hat. Heutzutage ist es nicht mehr ganz so krass wie '98, aber es ist trotzdem immer noch so, daß man spürt, da ist eine totale Ungerechtigkeit. Man merkt, daß es da am Brodeln ist, aber ich würde jetzt nicht sagen, daß es sofort überschwappt.

SB: Der Politikberater Henry Bailey, den Sie interviewt haben, zitiert Desmond Tutu, der sich bereits im Jahr 2003 öffentlich darüber gewundert habe, daß der Zorn so klein wäre. Aber Mr. Bailey meint, daß die Wut, die Desmond Tutu damals vermisst habe, jetzt wächst. Und er glaubt, daß es irgendwann demnächst zum Überkochen kommt.

MA: Ich würde es nicht so krass formulieren, aber wer weiß, vielleicht hat er da den besseren Blick und natürlich sieht er jeden Tag dort fern und bekommt Informationen aus den verschiedensten Regionen in Südafrika, wo es Aufstände und Revolten gibt. Helen Zille, die Vorsitzende der 'Democratic Alliance', auch mit jüdischen, deutschen Wurzeln, hat gesagt, die Leute sollten aufhören zu 'toi-toien'. Das ist, wenn man einfach alles anzündet, weil man das so gelernt hat in der Apartheid-Zeit, wo man sich anders nicht zu helfen wußte. Da hat man einfach Reifen oder irgendwas anderes angezündet. Und das gibt es bis heute, daß überall verteilt in der Region immer wieder diesen kleinen Aufstände sind.

Das ist wahrscheinlich gemeint mit der Wut, die da so langsam hochkommt, weil die Erwartung, daß eben nach der Apartheid alles schön wird und alle zusammenleben und alle wirklich mal ein richtiges Dach über dem Kopf haben und genug Bildung für die Kinder und all das - das ist eben nicht eingetreten. Die Townships sind im Gegenteil enorm gewachsen. Ich hoffe jetzt, daß die WM vielleicht neue Arbeitsplätze und auch neue Verknüpfungen zu den reicheren Ländern schafft, daß da so ein bißchen was reinkommt, aber ich habe auch da meine Zweifel. Ich glaube, es ist eher so, daß ein paar wenige sich die Taschen vollstopfen.

SB: Es sind ja offensichtlich eher ausländische Unternehmen, die von der WM profitieren.

MA: In jedem Fall.

SB: Ihr Film endet - Sie haben das in den Rahmen eines angeblichen, neuen Gesetzes gekleidet - mit der Aufforderung an verschiedene Bewohner reicher Viertel, für einen halben Tag im Monat in die Townships zu gehen und dort unentgeltlich zu helfen.

MA: Genau, das hatte ich mir so ausgedacht.

SB: Weiße Reiche schienen dazu eher bereit zu sein, als reiche Schwarze. Wie erklären Sie sich das?

MA: Ich habe ja hauptsächlich Schwarze interviewt, weil ich dachte, das wäre schon wichtig, daß man die reiche, schwarze Bevölkerung in dem Punkt auch mal zu Wort kommen läßt. Jetzt ist die Chance, das, was man früher von den anderen verlangt hat, auch selbst umzusetzen.

SB: Aber sie verhielten sich viel ablehnender als die Weißen.

MA: Ich habe nur ein einziges weißes Pärchen interviewt, das in Cape Town wohnte. Die waren ganz süß und wären sofort mitgekommen. Aber das Hauptaugenmerk lag eigentlich auf den Schwarzen, die im fetten, roten Mercedes sitzen, schöne Häuser haben usw. Das war eigentlich Trick 17, ich wollte wissen, was die jetzt dazu sagen. Und das Ergebnis war schon sehr verblüffend.

SB: Gab es denn auch Schwarze, die mitgemacht hätten?

MA: Alle, die wir gefragt haben, haben Nein gesagt, aber ich kann nun auch nicht sagen, daß wir wochenlang gefragt haben.

SB: Am Schluß des Films sagen Sie, Sie hätten die von Erzbischof Desmond Tutu zitierte Ubuntu-Weisheit, nach der alles miteinander verbunden ist und voneinander abhängt, verstanden. Worin besteht Ihr Verständnis?

MA: Ich denke, Südafrika kann wirklich nur dann die Regenbogennation und glücklich sein, wenn eben diese Weisheit, von der Desmond Tutu sprach, Ubuntu, auch wirklich Realität wird: Daß alle miteinander verbunden sind und sich gegenseitig helfen und unterstützen, daß eben einfach alles zusammengehört. Als ich nach Südafrika kam, kannte ich Ubuntu nicht. Aber ich konnte schon feststellen, daß Ubuntu zumindest im Township funktioniert, wo sich die Menschen untereinander helfen. Zwischen oben und unten funktioniert es allerdings leider nicht, und da gehört es eigentlich hin.

SB: Frau Asumang, wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch und wünschen Ihrem Film einen guten Erfolg.

MA: Und vor allem, daß er auch was bewegt, das wäre mir wichtig.


28. Juni 2010