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REZENSION/008: Jassir Arafat - "Die letzten Tage einer Legende" (SB)


"Die letzten Tage einer Legende" - Jassir Arafat


Ein Film von Emmanuel Francois-Suppey, Sunset Press Productions Frankreich (2007)

Deutsche Erstausstrahlung am Dienstag, 15. Juli 2008, PHOENIX 22.15 Uhr

Die letzten Tage eines Freiheitskämpfers - Propaganda-Highlight bei PHOENIX


Obwohl die als englischsprachiges Rezensionsexemplar vorliegende Dokumentation von Emmanuel Francois-Suppey mit dem Orignialtitel THE FINAL DAYS OF YASSER ARAFAT (F 2007) in der PHOENIX-Reihe "Die letzten Tage einer Legende" auf eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Geschehnissen seit dem im allgemeinen als Ausgangspunkt des Nahost-Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern geltenden Jahr 1948 verzichtet, sprechen das hauptsächlich Medienberichten entnommene, jedoch kaum mit Jahreszahlen versehene Bildmaterial, der gänzlich für die israelische Seite eingenommene und einseitige Off-Kommentar und die Aussagen der israelischen Zeitzeugen, die den allgemeinen Konsens über den "palästinensischen Terror" mit Jassir Arafat als Sündenbock weiter zu festigen suchen, eine deutliche Sprache.

Die Argumentationskette des TV-Berichts besteht aus Interview-Ausschnitten mit engen Mitarbeitern und Freunden Arafats einerseits und völlig von der israelischen Sache eingenommenen "politischen Beobachtern" andererseits. Arafats Wirken wird seit seiner Rede vor der UN-Generalversammlung 1974 aus westlich-israelischer Sicht nachgezeichnet, wobei die emotional stark besetzten Olympia-Anschläge der radikalen palästinensischen Gruppierung "Schwarzer September" von 1972 zum Ausgangspunkt genommen werden. Desweiteren werden historische Knotenpunkte des Nahost-Konflikts und insbesondere der Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern beleuchtet, die jedoch nicht zur Klärung zeitgeschichtlicher Zusammenhänge beitragen und den Eindruck vermitteln, daß auch der Darstellung der Person Jassir Arafats besser kein Glaube geschenkt werden sollte.

So kommen in den eigens für die Dokumentation geführten Gesprächen über Jassir Arafat z.B. die palästinensische Botschafterin in Frankreich, Leila Chahid, der palästinensische Informationsminister Yasser Abed Rabbo oder der UN-Beauftragte der Palästinenser und Arafat-Neffe Nasser Al Qidwa zu Wort. Auf israelischer Seite sprechen u.a. der ehemalige israelische Premier, Shimon Peres, der ehemalige Chef des israelischen Geheimdienstes (Mossad), Ephraim Halévi, und ein ehemaliger Chefanalyst der Inneren Sicherheit Israels, Matti Steinberg.

Steinberg z.B. ist in bezug auf die für die Palästinenser aus guten Gründen gescheiterte Camp-David-Konferenz zwischen Bill Clinton, Ehud Barak und Jassir Arafat der Ansicht, daß mit der Erklärung Israels, keinen palästinensischen Verhandlungspartner mehr zu haben, Arafats politischer Tod seinem physischen Tod vorausging: "From the moment that Israel said that there is no partner, I understood the lessons, the consequences, to my mind it was the end of Arafat. The political end of Arafat. It proceeded his personal or physical death."(1) Und auch in seiner jovialen Schlußbemerkung über einen strategischen Fehler Israels, auf die nur noch ein Standbild Arafats und der Abspann folgen, wird die unhinterfragte Überlegenheit der jüdischen Israelis über die arabischen Palästinenser deutlich: Der Palästinenserführer Arafat hätte im Grunde nicht - "politisch" wohlgemerkt - eliminiert werden dürfen, denn: "If you want a jewish Israel you need an address, you need a partner. It's the interest of Israel, I'm not talking about the interest of the Palestinians. It's the interest of ..., it's my selfcentered interest, very egoistic. It wasn't prudent, it wasn't reasonable to throw this partner to the garbage of history."(2)

Für kritische Zuschauer macht es trotz oder gerade aufgrund der unverhohlenen Auskünfte Steinbergs, Halévis oder Peres', eng verknüpft mit einer schlichtweg falschen historischen Darstellung, in der der Mythos von der Alleinschuld der Palästinenser an dem seit Jahrzehnten währenden Nahost-Krieg fraglos übernommen und weitergetragen wird, Sinn, die Widersprüchlichkeit der von einer rein westlichen Weltsicht geprägten "Dokumentation" zuzulassen und sich auf dieser, wenn auch kaum anhand von Fakten überprüfbaren Basis selbst eine Meinung zu bilden. Das in Hinsicht auf den Nahost-Konflikt wenig informierte und Medienberichten gegenüber möglicherweise unkritische Publikum hingegen wird nicht zuletzt mit einer propagandistischen und die Schicksalhaftigkeit der Ereignisse betonenden Berichterstattung gegen die Palästinenser in die Irre geführt.

Shimon Peres, der sich schon zu Beginn einschätzend zu Arafats Person äußern darf, faßt zusammen: "I wish he would be a Ben Gurion or a Lincoln - he was not. But neither was he a total terrorist. You see, so he was something in the middle."(3) Dieser schiefe Vergleich des vor militärischen Gewalttaten nicht zurückschreckenden Mitbegründers Israels, Ben Gurion, mit dem einzig um die Verteidigung der Daseinsberechtigung seines Volkes bemühten Jassir Arafat zeigt das Ausmaß der Selbstverständlichkeit, mit der gerade der weithin als gemäßigt geltende Peres die ausnehmende Gewaltbereitschaft Israels verklären kann. Das hier von Peres begonnene Übertragen nationalpolitischer Interessen auf im öffentlichen Mittelpunkt stehende Einzelpersonen wird in der Argumentation des Fernsehberichtes nahtlos mit der simplen Dramaturgie einer persönlich möglicherweise zutreffenden, jedoch politisch irrelevanten "Todfeindschaft" der Protagonisten Ariel Sharon und Jassir Arafat weiterbetrieben.

Jassir Arafat selbst kommt in dem von PHOENIX als "Porträt" ausgewiesenen Fernsehbericht nur in kurzen, aus dem Zusammenhang gerissenen Ausschnitten zu Wort und wird in Ton und Bild als selbsternannter Retter des palästinensischen Volkes dargestellt. Sein persönliches Engagement und seine Rolle innerhalb der palästinensischen Widerstandsbewegung werden nur anhand der in Originalaufnahmen häufig wiederholten Erklärung, nicht weichen zu wollen, illustriert, was kaum einer begrenzt vorliegenden Auswahl an historischem Filmmaterial angelastet werden kann. So werden wichtige politische Weichenstellungen, an denen Arafat u.a. als Vorsitzender der Fatah und PLO maßgeblich beteiligt war, wie die Palästinensische Nationalcharta von 1968, die Rede vor der UN-Generalversammlung 1974, die der PLO internationale Anerkennung verschaffte, und die Ansprache von 1988, in der der palästinensische Präsident sich gezwungen sah, zugunsten eines vermeintlichen Friedensprozesses Kompromisse mit Israel einzugehen, inhaltlich völlig ausgespart.

Auch der Konflikt der innerpalästinensischen Organisationen wird allein auf die umstrittenen Aktivitäten der radikal-islamischen Gruppierungen Hamas und Dschihad reduziert und entspricht damit der von Israel ausgehenden Stimmungsmache gegen die palästinensische Bevölkerung. Dabei werden auch die Palästinensische Nationalcharta von 1968 und Arafats Rede von 1974 so ausgelegt, daß der Mythos, die Araber wollten das jüdische Volk und ihren Staat vernichten, aufrechterhalten werden kann. Sowohl in der PLO-Charta als auch in Arafats Rede wurde aber die bewaffnete Befreiung des palästinensischen Volkes und nicht die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Israels proklamiert.(4) Die schärfsten Formulierungen finden sich in Artikel 22 der PLO-Charta:

"Der Zionismus ist eine politische Bewegung, die organisch mit dem internationalen Imperialismus verbunden ist und im Widerspruch zu allen Aktionen der Befreiung und der progressiven Bewegung in der Welt steht. Er ist rassistischer und fanatischer Natur; seine Ziele sind aggressiv, expansionistisch und kolonialistisch; seine Methoden sind faschistisch. Er ist das Instrument der zionistischen Bewegung und ein geographischer Stützpunkt des Imperialismus, strategisch inmitten des palästinensischen Heimatlandes gelagert, um die Hoffnungen des arabischen Volkes auf Befreiung, Unabhängigkeit und Fortschritt zu bekämpfen. Israel ist eine ständige Quelle der Bedrohung des Friedens im Nahen Osten und in der ganzen Welt. Da die Befreiung Palästinas die zionistischen und imperialistische Präsenz zerstören und [zur] Schaffung des Friedens in Nahost beitragen wird, erwartet das palästinensische Volk die Unterstützung in seinem gerechten Kampf für die Befreiung seines Heimatlandes zu geben."(5)

Durch die Kombination dieser Aspekte und unter Ausblendung von Hintergrundinformationen über internationale politische Zusammenschlüsse und Interessengruppen, wie z. B. das Nahost-Quartett USA, Europäische Union, Rußland und die UN, wird der Eindruck erweckt, daß Arafat mit seinem Nichteinlenken in Camp David 2000 und seinem angeblich gespaltenen Verhältnis zum Extremismus palästinensischer "Terror-Attentate" alleinverantwortlich Fehler beging, die letztlich dazu führten, daß die "Verhandlungen" zwischen Israel/USA und der Palästinensischen Autonomiebehörde scheiterten.

Arafats Leben nach Camp David 2000, seine Internierung in der Mukataa, sein politischer und persönlicher Niedergang bis zu seinem Tod werden illustriert von Fotos und Filmaufnahmen, die das zuvor aufgebaute Bild eines selbstbewußten, sehr eigenwilligen, aber sympathischen und charismatischen Freiheitskämpfers langsam ins Lächerliche ziehen.

Von der international kaum sanktionierten Isolation in der Mukataa stark gezeichnet, wird Arafat als physisch und psychisch labiler alter Mann dargestellt, der dem politischen Druck nicht mehr gewachsen ist und unter Hausarrest die "Kontrolle", sowohl über sein politisches Vorgehen als auch über sich selbst, verloren hat. Diese voyeuristischen dokumentarischen Manipulationen, die durch verschiedene Montagekunstgriffe noch gesteigert werden, kulminieren in der wiederholten Zeitlupen-Aufnahme, die Arafat blaß und schwach, vermutlich von seinen Leibwächtern umringt zeigen - kurz, als einen politischen Führer, der definitiv nicht mehr ernst genommen werden kann.

Dieser Eindruck wird von den Schilderungen Leila Chahids und Yasser Abed Rabbos, die berichten, Arafat sei auch im französischen Militärkrankenhaus noch klar bei sich gewesen, wenigstens ansatzweise in Frage gestellt, und auch die nach seinem Tod für westliche Maßstäbe beeindruckenden Ehrerbietungen einer im Befreiungskampf und damit auch in der Symbolfigur Arafat geeinten palästinensischen Bevölkerung lassen keinen Zweifel an Jassir Arafats enormer politischer Bedeutung. Die Filmemacher diskreditieren sich mit dieser menschenverachtenden Darstellung eines ohnehin schwachen und kranken Arafat selbst.

Der investigative Teil der Dokumentation, der sich dezidiert mit den Ursachen, die, nachdem Arafat aufgrund seiner schweren Erkrankung nach Frankreich reisen durfte, am 11. November 2004 im Militärkrankenhaus Percy bei Paris zu seinem Tod führten, auseinandersetzt, enthält überraschenderweise eine Analyse von Nasser Al Qidwa, der als UN-Beauftragter der Palästinenser und Neffe von Jassir Arafat Einblick in die französischen Krankenhausakten nehmen konnte. Er legt dar, daß die französischen Militärärzte von drei möglichen Ursachen, die den bei Arafat festgestellten Mangel an Blutplättchen hätten auslösen können, a) Krebs, b) eine Infektion wie AIDS und c) eine Vergiftung, Krebs und AIDS ausschlossen. Al Qidwa führt weiter aus: "...they couldn't go more than that, but obviously, cleared from a) and b) that they didn't lie."And I think even c) they didn't lie maybe. They couldn't find any poison known to them, but the reading of these conclusions could take you to a clear understanding of what happened."(6)

Die Fragen, die seine Aussagen aufwerfen, und die Ansätze der Vermutung, Arafat könnte möglicherweise vergiftet worden sein, die Al Qidwa selbst indirekt durchscheinen läßt, werden jedoch nicht offen gelassen, sondern von Yasser Rabbo, dem angeblich engsten Mitarbeiter und Freund Arafats, ad absurdum geführt. Er vermutet, daß die "schwierigen politischen Umstände" Arafat über die Jahre zermürbt und krank gemacht hätten. Der oberste Geistliche der palästinensischen Tribunale, Al Tamimi, der Arafat als einer der letzten vor seinem Tode sah und in der Sendung seine Krankheitssymptome beschreibt, berichtet wiederum, daß Arafats Kopf stark angeschwollen war und seine Augen, Nase, Ohren bluteten. Auch sei Blut aus seinen Hautporen getreten. Diese Aussagen scheinen eher in die Richtung von Al Qidwas Mutmaßung über eine mögliche Vergiftung des Präsidenten zu gehen.

Sehr aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang ein bei der Tehran Times erschienenes Interview, das die freiberufliche Journalistin Trish Shuh mit Jassir Arafats ehemaligem Leibarzt, Dr. Ashraf Al Kurdi am 18. Januar 2005 in der jordanischen Hauptstadt Amman führte. Das Interview trug den Titel "Arafat's doctor demands answers" und ist in einer Übersetzung des MA-Verlags vollständig im Schattenblick veröffentlicht worden. Dr. Al Kurdi wird in seinen Aussagen so konkret, daß zu fragen ist, warum er nicht auch für die Dokumentation befragt werden konnte.

Seiner Auskunft nach ist er erst am 16. Tag nach der schweren Erkrankung des 75-jährigen Arafats offiziell zu ihm gerufen worden. Arafats Ehefrau Suha habe seine Konsultation so lange hinausgezögert. Der Palästinenserpräsident, der zuvor in einem sehr guten Gesundheitszustand gewesen sei, wies nach Al Kurdis Auskunft Anzeichen einer Vergiftung auf. Der Leibarzt habe in Ramallah sogar gehört, wie Arafat selbst äußerte, er sei vergiftet worden. Obwohl die Todesursache Arafats bis zuletzt unklar gewesen war, habe sich die palästinensische Führung, die zum Zeitpunkt von Arafats Tod bis auf den Vorsitzenden Mahmud Abbas in Paris anwesend war, dagegen ausgesprochen, eine Autopsie durchführen zu lassen. Auf die Frage, ob es im Falle einer Exhumierung von Arafats Leichnam für forensische Untersuchungen eine zeitliche Grenze gebe, antwortete Al Kurdi schließlich: "Es kommt auf die verwendeten Stoffe an. Ich vermute, daß Arafat an einem 'tödlichen Gift', einem Katalysator, gestorben ist. Das war die Todesursache."(7)


Anmerkungen:

(1) "In dem Augenblick, in dem Israel erklärte, es gäbe keinen Partner, war mir die Lektion bzw. die Konsequenz klar. Aus meiner Sicht bedeutete das das Ende Arafats, das politische Ende Arafats. Es ging seinem persönlichen oder physischen Tode voraus." (Übersetzung der Schattenblick-Redaktion aus: THE FINAL DAYS OF YASSER ARAFAT, R: Emmanuel Francois-Suppey, F (2007))

(2) "Wenn man ein jüdisches Israel will, braucht man eine Adresse, einen Partner. Das ist im Interesse Israels, ich spreche nicht vom Interesse der Palästinenser. Es ist im Interesse von - es ist in meinem eigenen Interesse, sehr egoistisch. Es war nicht klug, es war nicht vernünftig, diesen Partner auf den Abfallhaufen der Geschichte zu werfen." (Übersetzung der Schattenblick-Redaktion, ebd.)

(3) "Ich wünschte, er wäre ein Ben Gurion oder Lincoln gewesen - das war er nicht. Aber ein reiner Terrorist war er auch nicht. Sehen Sie, auf diese Weise war er irgendetwas dazwischen." (Übersetzung der Schattenblick-Redaktion, ebd.)

(4) Palästinensische Nationalcharta vom 17. Juli 1968,
www.palaestina.org/dokumente/plo/palaestinensische_nationalcharta.pdf (11.7.2008)

(5) Artikel 22, ebd.

(6) "Mehr als das konnten sie nicht sagen, aber aus a) und b) ergibt sich offensichtlich, daß sie nicht gelogen haben. Und ich denke sogar, daß sie möglicherweise auch bei c) nicht logen. Sie konnten kein Gift finden, das ihnen bekannt war, aber die Deutung dieser Schlußfolgerungen könnte einen zu einem eindeutigen Verständnis dessen führen, was passiert ist." (Übersetzung der Schattenblick-Redaktion aus: THE FINAL DAYS OF YASSER ARAFAT, R: Emmanuel Francois-Suppey, F (2007))

(7) Schattenblick, Fachpool POLITIK\REDAKTION, NAHOST/587: Leibarzt Arafats spricht von Ermordung des PLO-Führers, 27.4.2005


11. Juli 2008