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REZENSION/026: "Der tödliche Befehl" (ZDF) (SB)


Verführung Dokufiction ... Konstrukt der allein gültigen Version?

"Der tödliche Befehl"


Mit der Dokumentation "Der tödliche Befehl" präsentierte das ZDF zwei Jahre nach dem in der Nacht vom 3. zum 4. September 2009 auf deutschen Befehl begangenen Massaker an bis zu 150 Afghanen bei Kundus eine Deutung, welche die damaligen Ereignisse gleichsam mit dem Prägestempel der allein gültigen Version versiegelt. Legt schon die Ausstrahlung zum zweiten Jahrestag des Ereignisses, das als Wendepunkt in der Wahrnehmung deutscher Kriegsbeteiligung am Hindukusch ausgewiesen wird, den Anspruch einer zusammenfassenden Bewertung nahe, so bekommt diese um so größeres Gewicht, als sich in wenigen Tagen die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington zum zehnten Mal jähren. Die zwangsläufig geweckte Erwartung des Zuschauers, er werde auf Grundlage quellensicher recherierter Fakten mit der hoch aufgeladenen Widerspruchslage vertraut gemacht und anhand als solcher kenntlich gemachten Thesen zu eigenen Schlußfolgerungen angeregt, erfüllt sich nicht. Ganz im Gegenteil zieht ihn die im Auftrag des ZDF produzierte Sendung in den Sog einer zum Konsens verdichteten Interpretation, die alle Zweifel an der von Politik und Justiz längst festgezurrten Auslegung zu veröden trachtet.

Was hier unter der Kategorie Dokumentation firmiert, erweist sich mitnichten als sauber getrennte und klar unterscheidbare Komposition aus dokumentarischem Material und eigenen Einschätzungen. Es handelt sich vielmehr um eine Dokufiction - ein Widerspruch in sich - die einer in Szene gesetzten Filmhandlung per Etikettenschwindel den Wahrheitsgehalt eines objektiv belegten Fundaments andichtet. Wenngleich der Zuschauer eingangs gewarnt wird, daß die gezeigten Szenen keine Athentizität hinsichtlich der gezeigten Abläufe für sich in Anspruch nehmen könnten, wird dies im selben Atemzug zur Nebensache erklärt, da die Aussagen Oberst Kleins vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages durchweg als Grundlage gedient hätten.

Ist schon für sich genommen problematisch, daß die rechtfertigende Erklärung des Befehlshabers nicht mit einer Kritik konfrontiert wird, die seine Version grundsätzlich in Zweifel zöge, so wächst sich die Eindimensionalität der Deutungshoheit geradezu verführerisch zu Lasten des um Erkenntnisgewinn bemühten Zuschauers aus, wenn der filmisch dargestellte deutsche Offizier genau das in Szene setzt, was man den Ausschußprotokollen selektiv entnommen hat. Der fadenscheinige Kunstgriff, Plausibilität durch einen Zirkelschluß zu erwirtschaften, feiert Urstände, wenn Dialoge der Ausschußsitzung nachgespielt werden, die in das fiktive Szenario des Befehlsleitstands oder das Geschehen am Schauplatz des Luftangriffs überwechseln. Kann man sich erfahrungsgemäß schon der Bilderflut eines bloßen Spielfilms schwerlich entziehen, so droht man hier um so mehr aufs Glatteis geführt zu werden, da die Machart eine faktengestützte Interpretation suggeriert.

Der Trugschluß, man nehme Einblick in reale Abläufe, speist sich aus dem deckungsgleichen Wechselspiel zwischen den Kernaussagen Oberst Kleins vor dem Ausschuß und deren schauspielerischem Äquivalent im Leitstand. Sieht man seine sorgenvolle Miene, sein Abwägen und Zögern, sein Hoffen und Bangen, das Ringen um neue Informationen, den wachsenden Entscheidungsdruck, schließlich sein entschlossenes Handeln und zuletzt den betretenen Blick auf die Luftaufnahme des Flammeninfernos nach dem Bombenabwurf, ist man um ein Haar geneigt, das alles für schlüssig, glaubwürdig und insbesondere menschlich verständlich und militärisch gerechtfertigt zu halten.

So versichert Oberst Klein im Ausschuß, er habe nie töten wollen, doch alles tun müssen, um Gefahr von seinen Soldaten abzuwenden. Die einzig verfügbare Quelle am Boden habe immer wieder bestätigt, daß es sich bei der um die beiden festgefahrenen Lastwagen voller Treibstoff anwachsenden Menschenmenge durchweg um Aufständische handle. Er habe allein die Entscheidung treffen müssen, die wie immer bei militärischen Führern ins Ungewisse ziele und zwangsläufig Konsequenzen für Leben und Tod nach sich ziehe. Wer ein komplettes Lagebild erwarte, erliege einer Illusion, zumal das Bild im Kopf eines Befehlshabenden nicht zuletzt auf Erfahrung gründe, in seinem Fall auf fünf Monaten Kundus. Seine Gedanken seien bei seinen Soldaten gewesen, was nicht bedeute, daß er keine Anteilnahme an den Menschen empfunden habe, die bei dem Angriff ihr Leben verloren. Er bedauere das zutiefst und habe sich auf seine Art als Christ damit auseinandergesetzt, indem er unmittelbar nach dem Angriff in die Kapelle gegangen sei, um zu beten.

Wen wundert's, daß das Ausschußmitglied Omid Nouripour von den Grünen ergriffen berichtet, man habe dem Oberst abschließend durch Klopfen auf den Tisch Respekt gezollt. Erst hinterher sei man übereingekommen, so etwas künftig zu unterlassen, da es sich ja schließlich um eine Zeugenaussage gehandelt habe - egal, ob man sie für authentisch gehalten und den Oberst mit aufrechtem Gang und offenem Visier erlebt habe oder nicht. So viel Eingenommenheit spricht Bände, wie Nouripour als vorgeblicher Kontrapunkt zu Klein ohnehin als dessen verständnisvoller Fürsprecher ins Bild gesetzt wird. Die Situation des Offiziers sei ebenso schwierig wie die Lage undurchsichtig gewesen. Die Quelle habe falsche Angaben gemacht, woraus ein unzutreffendes Bild des Befehlshabenden resultierte. So habe Klein ein Setting von Informationen erhalten, die ihn in die verhängnisvolle Richtung drängten. Im übrigen habe die Illusion, daß die Bundeswehr einen humanitären Stabilitätseinsatz betreibe, dazu geführt, daß vieles Notwendige nicht zur Verfügung gestellt worden sei und noch immer fehle, macht sich der Grünenpolitiker zum Anwalt besser gerüsteter deutscher Soldaten in Afghanistan.

Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung fügt dem Erhellendes über Land und Leute hinzu, wenn er anmerkt, daß dieselben Afghanen nachmittags Bauern und abends Taliban seien. Wer könne da schon zwischen Aufständischen und Zivilisten unterscheiden. Man habe Hinweise auf geplante Anschläge erhalten, besagte Quelle sei als höchst zuverlässig eingestuft worden, und Oberst Klein habe in Verantwortung für seine Untergebenen gehandelt, jedoch nie die Absicht verfolgt, Zivilisten zu schädigen.

General a. D. Egon Ramms, NATO-Befehlshaber in Afghanistan von 2007 bis 2010, hält die Frage, ob Oberst Klein falsch gehandelt habe, für schwer zu beantworten, um dann vage hinzufügen, daß man es anders hätte machen können. Die Angriffe hätten sich seit 2009 verdoppelt, die Sicherheitslage habe sich verschlechtert, und so sei die Bundeswehr erstmals mit der militärischen Realität konfrontiert worden. Vor allem aber hätten die Bundesbürger begriffen, daß deutsche Soldaten nicht zum Brunnenbohren und Bäumepflanzen nach Afghanistan geschickt worden seien. Soldaten würden zu militärischen Zwecken eingesetzt, die ihnen Handlungen abnötigten, mit denen sie "berechtigterweise Taliban und eben auch Zivilisten" töteten.

Das hätte im Grunde auch schon das Schlußwort sein können, faßt es doch kurz und prägnant die zentrale und an keiner Stelle in Frage gestellte Botschaft der Dokufiction zusammen. "Der tödliche Befehl" war eben ein Irrtum, für den man Oberst Klein nun wirklich nicht zur Rechenschaft ziehen kann, holen er und seinesgleichen doch für uns die Kastanien aus dem Feuer. Wenn dabei ein paar afghanische Zivilisten verbrennen, ist das zwar tragisch, doch wer wollte mit Sicherheit sagen, ob aus ihnen nicht ohnehin Taliban geworden wären.

"Der tödliche Befehl" wurde am 07.09.2011 um 23.10 beim ZDF ausgestrahlt.

8. September 2011