Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → REDAKTION


REZENSION/041: "Dominion" - Dokumentarfilm über Tierausbeutung (SB)




Immer wieder Augen. Es sind die Augen der Tiere, die die Verbindung zu ihrer individuellen und unverwechselbaren Existenz herstellen und den Widerspruch ihrer Auslöschung im System der industriellen Massentierhaltung auf kaum erträgliche Weise ins Bewußtsein rücken. In der ersten Einstellung des Dokumentarfilms "Dominion" blickst du Mensch in das große Auge eines Schweines, eines Tieres, dessen sächlicher Genus signalisiert, es mit einem Ding und keinem Lebewesen zu tun zu haben. Dabei blickt "das" Schwein dich an mit einem Ausdruck des Schmerzes, der so universal ist, daß du schon an dieser Stelle weißt, daß das, was auf dich zukommt, alles andere als unterhaltsam oder erfreulich ist. Obwohl vollgepackt mit Informationen über die verschiedenen Formen und Praktiken der Ausbeutung sogenannter Nutztiere, ist "Dominion" nicht in erster Linie ein Film, anhand dessen das Publikum erfährt, was es im Prinzip nicht sowieso schon weiß, aber in dieser Dichte und Vielfalt bislang nicht in 2 Stunden erschließen konnte.

Nein, "Dominion" ist in erster Linie eine Konfrontation mit dem, was dem Menschen mit jeder Faser seines Körpers allgegenwärtig ist und gerade deshalb hinter der Ordnung der Dinge notdürftig verborgen werden muß. Aus der Endlichkeit der eigenen Existenz, der Einsamkeit und Fremdheit ihres Verlaufes läßt sich alles erschließen, was es darüber zu wissen gilt, als bioorganisches Wesen in den Stoffwechsel permanenten Verzehrs und Wandels eingebunden zu sein. Was wie selbstverständlich in die zivilisatorischen Dimensionen und kulturellen Praktiken aus Tieren geschaffener Nahrungsmittel und ihren Körpern abgerungener Arbeit eingelassen zu sein scheint, tritt unversehens als Frage hervor, ob der Verbrauch des anderen Lebewesens in der Unbedenklichkeit tradierter Konventionen möglicherweise ebensosehr zu überwinden ist wie alles andere, was inakzeptabel ist an der Zerstörung des Lebens.

Im Verlauf der langen 120 Minuten, die das Betrachten von "Dominion" dauert, drängen sich dem vom Ausmaß der Monstrosität des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier überraschten Publikum zweifellos Einwände gegen die Relevanz der mit Drohnen, mit Handkamera und versteckter Kamera entstandenen Aufnahmen aus Tierzuchtbetrieben, Schlachthöfen und anderen Orten massiver Tierausbeutung auf. So wird zu Beginn darauf hingewiesen, daß alle Szenen des Films, wenn nicht anders angegeben, in Australien gedreht wurden, aber die Normen des Umgangs mit Tieren in der Massentierhaltung der westlichen Welt repräsentieren. Der naheliegende Einwand, daß die Schranken der Tierschutzgesetze am anderen Ende der Welt deutlich niedriger seien als in der Bundesrepublik, kann jedoch, selbst wenn er im Einzelfall relevant ist, kaum verfangen.

Die Eindrücklichkeit der Bilder ist schlicht zu stark, als daß die Rückkehr in die Ordnung der zweigeteilten Welt vor und hinter den Mauern der Ställe und Schlachthöfe gelingen kann. Das von Regisseur Chris Delforce verfaßte Drehbuch enthält sich weitgehend der anprangernden oder empörten Dramatisierung, denn der Intensität des Bildmaterials ist schlicht nichts hinzuzufügen. Der in der englischen Version zum Teil von bekannten Schauspielern wie Joaquin Phoenix gesprochene Text wird in nüchternem, wenn auch traurigem Tonfall vorgetragen. Auch Musik wird auf eher zurückhaltende, wenngleich die empathische Wirkung verstärkende Weise eingesetzt. Regelrecht verstörend hingegen sind die zum Teil bizarr übersteuerten Tonspuren der Aufnahmen aus den Tierfabriken, das Kreischen der Maschinerie, die dumpfen Geräusche der Tritte und Schläge, das Schreien gemarterter Tiere.

Die die Körper unausweichlich ihrem qualvollen Ende zuführende Infrastruktur der Tiertransporter und Viehtreiber, der Gitter und Gatter, der Knüppel, Stiefel und Elektrokeulen teilt dem Publikum mit, daß diese Lebewesen nur mit Gewalt und gegen ihren Willen in die Maschinerie des Betäubens, Vergasens, Verbrühens, Aufschneidens, Zerreissens und Zerlegens geführt werden. Der Prozeß der Verwertung tierlichen Lebens als Fleisch, Wolle, Daunen, Eier, Milch und was der zahlreichen, im Endergebnis industrieller Erzeugnisse in keiner Weise mehr auf ihre Herkunft verweisender Tierprodukte mehr sind erscheint nur aus der Sicht der KonsumentInnen abstrakt. Für die betroffenen Tiere ist er, das sagt der Blick ihrer Augen, in dem ihnen zugefügten Schmerz und des ohnmächtigen Versuchs, ihm zu entgehen, nicht zu begreifen und schlicht überwältigend.

Als Nachfolgefilm der 2014 veröffentlichten Produktion "Lucent" über die Schweinefleisch produzierende Tierindustrie in Australien knüpft die seit 2018 gezeigte Dokumentation zu Beginn an deren Praktiken an, widmet sich dann aber zahlreichen Sorten sogenannter Nutztiere und deren industrieller Haltung und Verwertung. In unterschiedlicher Länge eingegangen wird auf Hühner zur Eier- und Fleischproduktion, die Aufzucht und Schlachtung von Truthähnen, die Haltung von und Jagd auf Enten, die Ausbeutung von Kühen und Ziegen in der Milch- und Fleischproduktion wie von Schafen bei der Erzeugung von Wolle, die Praktiken der Fischindustrie, die der Produktion von Pelz dienenden Haltung von Kaninchen, Nerzen und Füchsen, die Haltung von Hunden zur Fleisch- und Fellproduktion in China, die Aufzucht von Hunden zum Verkauf als Haustiere, die Ausbeutung von Pferden, Kamelen, Mäusen und exotischen Tierarten wie den Mißbrauch von Robben und Delphinen in Zoos.

In den abschließenden Betrachtungen läßt der Film das Problem der Tierausbeutung aus allgemeinmenschlicher Sicht Revue passieren und verwirft jegliche Akzeptanz vermeintlich alternativer, weniger grausamer Methoden der Tierproduktion. Praktisch ausgeklammert bleibt das Nachdenken über die politischen und gesellschaftlichen Seiten der industriellen Tierverwertung wie des Konsums von Tierprodukten. "Dominion" setzt auf den unmittelbaren Einfluß des Gesehenen auf das Publikum, das von der Stimme aus dem Off über die quantitative Dimension des Gesehenen und die Legalität der bezeugten Grausamkeiten aufgeklärt wird.

Wollte man angesichts dessen von Ethik und Moral sprechen, dann könnte sich zeigen, daß die Imperative dessen, was Menschen angeblich von Tieren unterscheidet, Mittel und Zweck ihrer Ausbeutung und Negation gerade dadurch sind, daß sie einen humanen und zivilisatorischen Umgang mit der archaischen sozialen Beziehung des Fressens und Gefressenwerdens unterstellen. Die dadurch hergestellte Distanz zum Objekt des Verzehrs und Gebrauchs zu unterlaufen gelingt in "Dominion" gerade dadurch, daß der appellative Charakter der Botschaft, die Tierausbeutung gänzlich einzustellen, auf leisen, fast subversiv zu nennenden Füßen daherkommt.

Im März 2019 wurde der englischsprachige, von seinen UrheberInnen zum kostenlosen Anschauen und Herunterladen freigegebene Film in einer deutsch synchronisierten Version ins Netz gestellt.

Dominion

120 Minuten
Australien 2018
Dokumentarfilm von Chris Delforce
https://www.dominionmovement.com/

Deutschsprachige Version unter https://www.youtube.com/watch?v=V7DrljVAaYk


2. Juni 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang