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ONKOLOGIE/1450: Vandetanib bei Schilddrüsenkrebs - Zusatznutzen nicht belegt (idw)


Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) - 17.06.2013

Vandetanib bei Schilddrüsenkrebs: Zusatznutzen nicht belegt

Unsichere Datenlage / Keine Aussage zum Schaden möglich / Anhaltspunkt für positiven Effekt bei unter 65-Jährigen



Vandetanib (Caprelsa®) ist seit Februar 2012 in Deutschland zugelassen zur Behandlung von erwachsenen Patientinnen und Patienten, die an einer bestimmten Form von aggressivem Schilddrüsenkrebs erkrankt sind. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat jetzt in einer erneuten Nutzenbewertung den Zusatznutzen des Wirkstoffs gemäß AMNOG überprüft.

Zwar gibt es bei einem Teil der Patienten, den unter 65-Jährigen, einen Anhaltspunkt, dass Schmerzen später auftreten oder sich später verschlimmern. Allerdings kann aufgrund der insgesamt schlechten Datenlage zu Nebenwirkungen keine Aussage zur Schadensseite getroffen werden. Damit ist aber auch keine Abwägung zwischen positiven und negativen Effekten möglich, und deshalb ist ein Zusatznutzen von Vandetanib in der Gesamtschau nicht belegt.

Erstes Dossier zu Vandetanib war inhaltlich unvollständig

Vandetanib hat 2012 ein erstes Verfahren der frühen Nutzenbewertung durchlaufen. Dabei hatte der Hersteller keine Daten für die Patientinnen und Patienten geliefert, für die der Wirkstoff zugelassen ist. Der Zusatznutzen galt als nicht belegt, weil das Dossier inhaltlich unvollständig war. Für Vandetanib konnte der pharmazeutische Unternehmer innerhalb einer Übergangsfrist eine Neubewertung beantragen und ein neues Dossier beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) einreichen.

"Best supportive care" als zweckmäßige Vergleichstherapie

In dem neu eingereichten Dossier hat der pharmazeutische Unternehmer jetzt eine Auswertung von Daten für Patientinnen und Patienten vorgelegt, die gemäß Zulassung behandelt wurden. Wie vom G-BA festgelegt, wurde Vandetanib mit der "best supportive care" verglichen. Darunter versteht man die Therapie, die eine bestmögliche, individuell optimierte, unterstützende Behandlung zur Linderung von Symptomen und zur Verbesserung der Lebensqualität gewährleistet.

Die einzige für die Nutzenbewertung relevante Studie, die Zulassungsstudie, verglich die Gabe von Vandetanib in Kombination mit "best supportive care" mit einer Behandlung mit "best supportive care" in Kombination mit einem Scheinmedikament.

Studienpopulation unterscheidet sich von Zulassungspopulation

Vandetanib ist zugelassen für Patientinnen und Patienten mit einem "aggressiven und symptomatischen" medullären Schilddrüsenkarzinom (MTC), bei denen eine Operation nicht (mehr) möglich ist, der Krebs schon sehr groß ist oder sich bereits Absiedlungen in anderen Körperregionen gebildet haben. Die europäische Zulassungsbehörde, die European Medicines Agency (EMA), hatte das Anwendungsgebiet derart eingeschränkt, um insgesamt eine positive Nutzen-Risiko-Balance herzustellen. Denn eine Vandetanib-Behandlung ist auch mit erheblichen Risiken behaftet und kann beispielsweise zu schweren Herzrhythmusstörungen führen.

In die Studie, die der Hersteller vorlegte, wurden jedoch auch solche Patientinnen und Patienten eingeschlossen, bei denen der Krankheitsverlauf nicht aggressiv und symptomatisch war. Die Studienpopulation ist also deutlich weiter gefasst als die Zulassungspopulation. Für die Dossierbewertung ist deshalb nur eine Teilpopulation der Zulassungsstudie relevant: Das Dossier liefert Auswertungen für Patientinnen und Patienten mit progressivem und symptomatischen Krankheitsverlauf, deren Charakteristika das IQWiG als adäquate Näherung an die Zulassungspopulation (mit aggressivem und symptomatischem Verlauf) auffasst.

Zulassungsstudie ist anfällig für Verzerrungen

Das Verzerrungspotenzial der Zulassungsstudie ist sehr hoch, insbesondere weil die Studienteilnehmer die Behandlung wechseln konnten, sobald sich der Krankheitsverlauf verschlechterte (Progression). Rund zwei Drittel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wechselten aus der Placebogruppe in die offene Behandlung mit Vandetanib. Zugleich ist die mediane Behandlungsdauer im Studienarm mit Vandetanib mit 88,6 Wochen deutlich länger als im Studienarm mit "best supportive care" allein (37,1 Wochen).

Mit Ausnahme der Überlebenszeit beschränken sich die Auswertungen im Herstellerdossier für die meisten Endpunkte auf die Beobachtungen, die während der ursprünglich zugewiesenen Behandlung gemacht wurden. Das heißt, Daten zu den Krankheitsverläufen nach dem Therapiewechsel wurden nicht mehr berücksichtigt.

Spätere Schmerzprogression bei unter 65-Jährigen

In Bezug auf die Sterblichkeit (Gesamtüberleben) zeigen sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen der Behandlung mit oder ohne Vandetanib.

Hinsichtlich der Symptome und Beschwerden zeigte sich bei unter 65-Jährigen ein Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen von Vandetanib: Bei den jüngeren Patientinnen und Patienten war die Zeit bis zur Schmerzprogression unter Vandetanib plus "best supportive care" im Mittel um fast acht Monate länger als unter "best supportive care" allein. Das IQWiG sieht hier deshalb zunächst einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen von Vandetanib. Bei den über 65-Jährigen zeigte sich dagegen kein Vorteil.

Zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität liefert das Herstellerdossier keine verwertbaren Daten.

Größerer Schaden ist nicht auszuschließen

Völlig offen bleibt die Schadensseite: Bei den meisten Nebenwirkungen (unerwünschte Ereignisse) wurde die unterschiedliche Behandlungsdauer in den beiden Studienarmen bei der Auswertung nicht angemessen berücksichtigt, so dass man keine abschließende Aussage zum Schaden treffen kann. Auch ein größerer Schaden von Vandetanib lässt sich nicht ausschließen.

Da aufgrund der großen Unsicherheit auf der Schadensseite auch nicht auszuschließen ist, dass negative Effekte die positiven Effekte aufwiegen, ist ein Zusatznutzen von Vandetanib im Vergleich zu "best supportive care" allein nicht belegt.

G-BA beschließt über Ausmaß des Zusatznutzens

Die Dossierbewertung ist Teil des Gesamtverfahrens zur frühen Nutzenbewertung, das der G-BA leitet. Nach der Publikation von Herstellerdossier und Dossierbewertung führt der G-BA ein Stellungnahmeverfahren durch, das ergänzende Informationen liefern und in der Folge zu einer veränderten Nutzenbewertung führen kann. Der G-BA trifft einen Beschluss über das Ausmaß des Zusatznutzens, der die frühe Nutzenbewertung abschließt.


Einen Überblick über die Ergebnisse der Nutzenbewertung des IQWiG gibt eine Kurzfassung. Auf der vom IQWiG herausgegebenen Website gesundheitsinformation.de finden Sie zudem eine allgemeinverständliche Kurzinformation.

Auf der Website des G-BA sind sowohl allgemeine Informationen zur Nutzenbewertung nach §35a SGB V als auch zur Bewertung von Vandetanib zu finden.

Weitere Informationen finden Sie unter
https://www.iqwig.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen/vandetanib_bei_schilddrusenkrebs_zusatznutzen_nicht_belegt.3665.html

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution906

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Dr. Anna-Sabine Ernst, 17.06.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2013