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PSYCHOSOMATIK/111: Studie - Warum Magersüchtige an ihrem gestörten Eßverhalten festhalten (idw)


Universitätsklinikum Heidelberg - 21.07.2009

Warum Magersüchtige an ihrem gestörten Essverhalten festhalten
Geringe Verhaltensflexibilität durch Veränderungen im Gehirn

Heidelberger Wissenschaftler veröffentlichen im "American Journal of Psychiatry"


Magersüchtige Patienten schränken ihre Nahrungszufuhr extrem ein und sind oft nicht in der Lage, ihr Verhalten zu ändern. Das kann zur lebensgefährlichen Abmagerung führen. Wissenschaftler am Universitätsklinikum Heidelberg haben mit Hilfe der Magnetresonanztomographie erstmals Vorgänge in den Gehirnzellen entdeckt, die das gestörte Essverhalten erklären.

Die Arbeit der Heidelberger Universitätsklinik für Psychosomatik und Allgemeine Klinische Medizin (Ärztlicher Direktor: Professor Dr. Wolfgang Herzog) entstand in Kooperation mit der der Klinik für Allgemeinen Psychiatrie sowie der Abteilung Neuroradiologie. Die Ergebnisse der Studie sind in der renommierten Zeitschrift "American Journal of Psychiatry" im Juni 2009 veröffentlicht worden.


Veränderte Hirnaktivierung bei starrem Verhalten

Viele junge Mädchen und Frauen machen Diäten, um ihrem Schönheitsideal nachzueifern. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung ist von der lebensbedrohlichen Magersucht (Anorexie) betroffen. Trotz intensiver Behandlung zeigen 20 bis 30 Prozent einen schweren und chronischen Verlauf; rund 10 Prozent sterben an ihrer Krankheit.

Die Heidelberger Wissenschaftler untersuchten insgesamt 30 junge Frauen mit oder ohne Anorexie mit Hilfe der sogenannten funktionellen Magnetresonanztomographie (MRT). Dabei erfasste das MRT-Gerät, wie hoch der Blutfluss in verschiedenen Gehirnarealen ist. Eine stärkere Durchblutung bedeutet vermehrter Stoffwechsel und damit eine größere Aktivität dieses Hirnbereich.

Die Teilnehmerinnen unterzogen sich einem Test, der die Fähigkeit zu einem flexiblen Verhaltenswechsel aus einem kurzfristig eingeübten Verhalten prüft. Dazu werden den Testpersonen verschiedene geometrische Figuren in schneller Abfolge gezeigt, die zugeordnet werden müssen. Nach einem Durchlauf wird die Zuordnung geändert.

"Wir haben mit der Studie bestätigt, dass Magersuchtkranke häufiger als gesunde Vergleichspersonen an der vertrauten Verhaltensantwort festhielten, wodurch eine alternative Verhaltensweise unterdrückt wurde", erklärt Dr. Hans-Christoph Friederich, Leiter der Arbeitsgruppe Essstörung. Die Analyse der MRT-Bilder zeigte zudem, dass bei Magersucht Patientinnen im Vergleich zu gesunden Testpersonen ein bestimmter Netzwerk-Pfad zwischen Großhirn und Zwischenhirn vermindert aktiviert ist. Dieser Netzwerk-Pfad spielt unter sich rasch verändernden Umweltbedingungen eine entscheidende Rolle für die Einleitung und Kontrolle von Handlungen.


Neue Therapieansätze durch Hirnforschung

Die Ergebnisse der Studie tragen maßgeblich zu einem besseren Verständnis der Magersucht bei. Vor allem machen sie deutlich, dass neurobiologische Faktoren beteiligt sind und das Erkrankungsbild aufrechterhalten. Da sich psychische und neurobiologische Faktoren wechselseitig beeinflussen können, ergeben sich für die Anorexie neue Therapieansätze.

"Wir haben ein Behandlungsprogramm für Magersuchtpatientinnen entwickelt, das gezielt den flexiblen Wechsel von Verhaltensantworten trainiert", so Dr. Friederich. Die Wissenschaftler hoffen dadurch den Erfolg der psychotherapeutischen Behandlung verbessern zu können. Zur Erfolgskontrolle könnte die MRT-Untersuchung des Gehirns einen Beitrag leisten.


Literatur:
Zastrow, A., Kaiser, S., Stippich, C., Walther, S., Herzog, W., Tchanturia, K., Belger, A., Weisbrod, M., Treasure, J. & Friederich, H. C. (2009).
Neural correlates of impaired cognitive-behavioral flexibility in anorexia nervosa.
Am. J. Psychiatry 166, 608-616.

Weitere Information:
www.klinikum.uni-heidelberg.de/Essstoerungen.109897.0.html

Kontakt:
Dr. med. Hans-Christoph Friederich
Oberarzt Zentrum für Psychosoziale Medizin
Klinik für Psychosomatische und Allgemeine Klinische Medizin Universitätsklinik Heidelberg
Thibautstr. 2
69115 Heidelberg
E-mail: hans-christoph_friederich@med.uni-heidelberg.de

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www.klinikum.uni-heidelberg.de

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Essstoerungen.109897.0.html

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universitätsklinikum Heidelberg, Dr. Annette Tuffs, 21.07.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2009