Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FACHMEDIZIN

PSYCHOSOMATIK/129: Burn-out - und dann? ... "Der innere Druck ist weg" (welt der frau)


welt der frau 2/2011 - Die österreichische Frauenzeitschrift

BURN-OUT - UND DANN?
"Der innere Druck ist weg"

Von Andrea Mann


Alles muss perfekt sein - der Job, die Kinder, die Ehe, der Haushalt, der große Freundeskreis. Ein Mittelmaß an Glück reicht nicht - für den Schein nach außen. Doch dann kommt der Zusammenbruch. Und schließlich reicht doch das Mittelmaß zum Glücklichsein.


Heute reicht es mir, wenn mein Haus sauber ist. Es muss nicht mehr funkeln", beschreibt Silvia Ninaus (38) ein Detail aus ihrem neuen Leben - jenes nach dem Burn-out vor vier Jahren. Betina Straßer (50) hat eines aus ihrem Zusammenbruch vor fünf Jahren gelernt: "Ich kann heute Nein sagen. Früher hab ich immer 'Hier' geschrien, wenn jemand etwas wollte." Beide Frauen haben den totalen Zusammenbruch erlebt, waren ausgebrannt. Jede hat diese schwierige Zeit auf ihre Weise gemeistert. Unabhängig voneinander kommen sie zu einem Ergebnis: "Der innere Druck ist nun weg."


Alles Perfekt

Fasst man die Gruppe jener Menschen zusammen, die vor allem von Burn-out betroffen sind, so sind es die PerfektionistInnen. "Sie geben immer 150 Prozent, mit 80 Prozent Leistung wären sie nicht zufrieden. Ihnen fällt es schwer, Aufgaben zu delegieren, da es ihnen kaum jemand recht machen kann", schildert der Klinische und Gesundheitspsychologe Dr. Hans Kirschner, der seit vielen Jahren erfolgreich Burn-out-PatientInnen behandelt. Der Perfektionismus vieler Menschen kommt nicht von ungefähr. Viel wurde und wird von den Eltern in der Erziehung vermittelt. Ein Faktor dafür, dass wir heutzutage bei dem Überangebot an Möglichkeiten keine Prioritäten mehr setzen können, reicht bis in die Nachkriegszeit zurück. "Den Leuten ging es damals schlecht, sie hatten nicht viel. Sie mussten alle Ressourcen ankurbeln, um zu Wohlstand zu kommen. Dies wurde an die nächste Generation weitergegeben. Wir glauben heute noch, alles nutzen zu müssen, damit es uns gut geht. Doch heutzutage wird einem alles angeboten und man tut sich schwer, Nein zu sagen. Ja zu sagen scheint im ersten Moment einfacher."


Ich schaffe alles

Der Gedanke "Früher haben es die Frauen auch geschafft, auf dem Acker zu stehen und die Kinder großzuziehen, also schaffe ich das auch" war für Silvia Ninaus in ihrem "alten" Leben immer präsent. "Als Frau ist man unweigerlich einer Mehrfachbelastung ausgesetzt. Den hohen Grad an Leistung hat aber eigentlich niemand von mir verlangt - nur ich selbst", schildert die Handels- und Marketingassistentin. In ihrem Beruf hat sie 150 Prozent gegeben, so auch im Haushalt, als Mutter eines Sohnes und als Partnerin. Sie wollte beweisen, dass sie klug, tüchtig, belastbar, flexibel, ehrgeizig und nimmermüde ist. Die Anerkennung dafür war ihr wichtig. Bis zu jenem Tag im April 2007, als sie wie ein Häufchen Elend in der Garage saß und nicht mehr aufhören konnte zu weinen.

Die Burn-out-Symptome waren klassisch: Zurückgezogenheit, chronische Rückenschmerzen, Gewichtsprobleme, Schlafstörungen bis hin zu Suizidgedanken. "Die Welt war grau in grau, von meiner Umgebung fühlte ich mich missverstanden." Der totale Zusammenbruch war noch nicht der Wendepunkt. Einige Monate später ließ sie sich von ihrem Ehemann scheiden. Zur selben Zeit erkrankte ihre Schwester an Krebs, sie kämpfte um ihr Leben. In dieser Zeit begann Ninaus umzudenken und nahm ihr Leben selbst in die Hand. Schritt für Schritt gestand sie sich ihre Schwächen ein und lernte sie zu akzeptieren. Natürlich in Begleitung eines Psychologen. "Der Weg dorthin muss für jeden Betroffenen der erste Schritt sein", betont sie.


Schmerzhaftes Erwachen

Dass die starken Rückenschmerzen ein Alarmsignal ihres ausgepowerten Körpers sind, gestand sich Betina Straßer lange nicht ein. "Ich bin trotz unerträglicher Rückenschmerzen zur Arbeit gegangen. Während einer Sitzung wurden diese Schmerzen so schlimm, dass ich vor allen Leuten weinend zusammengebrochen bin. Anfangs habe ich mich sehr geschämt, in dieser Leistungsgesellschaft nicht bestehen zu können", erinnert sich die heute 50-Jährige. Diagnose: ein Bandscheibenvorfall, der sofort operiert werden müsse. "Es war Oktober, draußen hatte es 20 Grad. Ich lag zu Hause auf dem Sofa, zog die Vorhänge zu, schaltete das Handy aus, und hatte nur einen Gedanken: 'Wann kann ich wieder arbeiten gehen?'" Ihre Physiotherapeutin hat ihr schließlich den alles entscheidenden Hinweis gegeben, dass diese Schmerzen auch seelische Ursachen haben können. Und so riss die alleinerziehende Mutter eines Sohnes das Steuer ihres Lebens herum, ließ sich nicht operieren, sondern suchte eine Psychotherapeutin auf.

Nach einem Monat im Krankenstand ging sie wieder zur Arbeit. "Da ich aufgrund meines Rückens nicht sofort 120 Prozent geben konnte, war der Druck nicht mehr da. Ein Druck, den übrigens niemand von mir verlangt hat, nur ich selbst." In ihrer Führungsfunktion als stellvertretende Pflegedirektorin des Krankenhauses Kirchdorf ging sie sehr offen mit ihrem Burn-out um, informierte ihre MitarbeiterInnen. Inzwischen ist es ihr gelungen, an ihrem Arbeitsplatz die Betriebliche Gesundheitsförderung in Form von verhaltenspräventiven Maßnahmen zu etablieren, um so die Gesundheit aller MitarbeiterInnen zu fördern.


Frauen nehmen Hilfe an

Aus seiner Erfahrung weiß Kirschner, dass eine Burn-out-Therapie, die er immer in Zusammenarbeit mit ÄrztInnen durchführt, durchschnittlich ein halbes Jahr benötigt. "Innerhalb von drei Wochen haben wir den Patienten aus dem Burn-out heraußen, nach fünf Wochen kann er wieder zur Arbeit gehen. Die Therapie dauert meist ein halbes bis ein Jahr." Natürlich hängt der Verlauf der Therapie auch vom Schweregrad der Erkrankung ab. "Frauen sagen früher, wenn es ihnen schlecht geht. Sie haben weniger Schwellenangst, Hilfe zu suchen. Männer gehen erst, wenn der Körper nicht mehr mitspielt." In seiner Therapie setzt Kirschner auf Kreativität - Singen, Zeichnen, Tanzen.


Ein Umdenken

Burn-out hat es mittlerweile auf Platz eins der Volkskrankheiten geschafft. Für den Psychologen Hans Kirschner ist es höchste Zeit, beim Thema Burn-out bzw. Suizid präventive Maßnahmen für die heutigen Kinder und Jugendlichen zu setzen. Für Kirschner ist Kreativität ein ideales Stressventil, um Burn-out oder sogar Suizid vorzubeugen. "Kinder werden heute vor allem kognitiv gefördert. Volksschüler werden von ihren Eltern zusätzlich zu den 25 Unterrichts-Wochenstunden zum Englisch- oder Französischkurs angemeldet, dazu kommt dann noch eine oder sogar zwei Sportarten. Das ist in den ersten zwei Schulklassen vielleicht noch zu schaffen, aber dann wird es zu viel. Kommt dazu dann auch noch der Computer, bedeutet das Dauerstress", sagt Kirschner, der das Lernangebot einer Schule für die kognitive Entwicklung eines Kindes für ausreichend hält. Er vertritt vehement die Meinung, dass im Schulsystem in den Fächern Musik, Bildnerische Erziehung und Sport die Noten abgeschafft werden sollten. "Diese Gegenstände sollten für die Kinder eine Art Stressverarbeitung sein. Hier ist doch nicht das Können entscheidend, sondern das Tun. Heute wird meiner Ansicht nach viel zu wenig gesungen. Gerade das Singen ist sehr heilsam."


Entspannung in der Natur

Jetzt - fast vier Jahre nach ihrem Zusammenbruch - scheint Silvia Ninaus ein neuer Mensch zu sein. In ihrem Leben hat sie viel geändert. Sie arbeitet in ihrem Bürojob nicht mehr 40 Stunden, sondern Teilzeit, nützt die restliche Zeit für ihre neuen Aufgaben als Mentaltrainerin, macht eine Ausbildung zur Lebensberaterin und schreibt Bücher über ihr Erlebtes. "Ich habe auch heute sehr viel zu tun und zu lernen, aber ich empfinde es nicht so, da ich etwas mache, das mir Freude bereitet." Ihr Leben bezeichnet Silvia Ninaus jetzt als viel ruhiger. Entspannung sucht und findet sie in der Natur. "Zweimal die Woche nehme ich mir morgens, wenn mein Sohn aus dem Haus ist, um 7:30 Uhr kurz Zeit für mich und bin in der Natur unterwegs, zu jeder Jahreszeit. Dort spüre ich das Leben, das macht mich glücklich." Der Fernseher wird kaum mehr eingeschaltet, stattdessen liest sie ein Buch oder die Familie macht einen Spieleabend. Vergangenen Sommer hat sie ihren Ex-Mann wieder geheiratet: "Wir können nun über alles reden und ich weiß: Ich bin gut, so wie ich bin. Ich muss nicht mehr leisten, um wertgeschätzt zu werden."


Leben im Gleichgewicht

Betina Straßer schaut darauf, dass ihre Work-Life-Balance nicht aus dem Gleichgewicht gerät. "Ich kann nicht sagen, dass ich davor gefeit bin, noch einmal ein Burn-out zu bekommen. Aber wenn's bei mir im Rücken zieht, weiß ich, dass es zu viel ist. Ich bin sehr achtsam mit mir selbst geworden." Mit Shiatsu und Meditation hat sie gelernt abzuschalten. Die Bewegung in der Natur gibt ihr Energie. "Die letzten Jahre habe ich vier Viertausender bezwungen. Dieses Bergsteigen ist für mich nicht anstrengend, sondern meditativ. Mein Kopf wird dabei frei." Beruflich arbeitet sie nach wie vor Vollzeit, aber sie hat ihren Führungsstil geändert. "In meiner Akutphase war ich sicher ungerecht und habe viel kritisiert. Nun bin ich reflektierter. Als Führungskraft sollte man sich immer fragen, ob das Tempo, das man vorgibt, auch für alle Beteiligten gut ist. Was hat ein Unternehmen davon, wenn die Leute wegbrechen? Und ich habe gelernt, zu delegieren." Derzeit schreibt die 50-Jährige an ihren Wochenenden an einer wissenschaftlichen Arbeit. Wenn diese abgeschlossen ist, freut sie sich darauf, viele private Pläne und Vorhaben in die Tat umzusetzen. "Warum erlauben wir uns nicht, das Leben zu genießen? Immer verschieben wir alles auf später. Ich will nicht mehr verschieben, will Zeit für mich haben."


*


Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Februar 2011, Seite 38-42
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
Redaktion: Welt der Frau Verlags GmbH
4020 Linz, Lustenauerstraße 21, Österreich
Telefon: 0043-(0)732/77 00 01-0
Telefax: 0043-(0)732/77 00 01-24
info@welt-der-frau.at
www.welt-der-frau.at

Die "welt der frau" erscheint monatlich.
Jahresabonnement: 33,- Euro (inkl. Mwst.)
Auslandsabonnement: 41,- Euro
Kurzabo für NeueinsteigerInnen: 6 Ausgaben 10,00 Euro
Einzelpreis: 2,75 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2011