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UMWELT/222: Strahleninduzierte Karzinome der Bauchspeicheldrüse (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 610-611 / 26. Jahrgang, 7. Juni 2012

Strahlenfolgen
Strahleninduzierte Karzinome der Bauchspeicheldrüse

Von Inge Schmitz-Feuerhake*



Zahlreiche Befunde nach Inkorporation von Alphastrahlen und aus dem Berufsmilieu zeigen, dass Pankreaskarzinome durch chronische Strahlenexposition sehr viel empfindlicher erzeugt werden, als aus den Daten der japanischen Atombombenüberlebenden gefolgert wurde. Die Bauchspeicheldrüse muss dringend in die Liste strahlenempfindlicher Organe für die Anerkennung von Berufskrankheiten aufgenommen werden.


In Anhang 2 zum Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zu Nr. 2402 der Berufskrankheitenverordnung (Erkrankungen durch ionisierende Strahlen) kommen Pankreaskarzinome in der Liste strahleninduzierbarer Erkrankungen nicht vor. Die deutsche Radarkommission, die das Strahlenrisiko von Soldaten und Zivilbeschäftigten in Radaranlagen der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee der DDR bewertet hat, zählt in ihrem Bericht von 2003 die Pankreastumore zu den "nicht oder sporadisch mit ionisierender Strahlung assoziierten Tumoren", zu denen "keine verlässlichen Risikoschätzwerte bekannt sind" [1; Tab. 6-3, S. 76,77].

Die grundsätzliche Strahleninduzierbarkeit von Pankreaskarzinomen hat sich aber in zahlreichen Befunden nach Strahlentherapie gezeigt, das heißt bei Patienten, die wegen einer anderen bösartigen oder gutartigen Erkrankung mit Strahlen behandelt wurden. Für solche, bei denen die Bauchspeicheldrüse im Strahlenfeld lag, zeigten sich signifikant erhöhte Raten an Pankreaskarzinomen als Spätfolge [2-6]. Der Effekt zeigte sich auch in Einzelfallstudien, bei denen das nachfolgende Pankreaskarzinom genau im Feld der vorher applizierten Therapiedosis lag [7-11]. Bei Patienten, die wegen Morbus Bechterew aus therapeutischen Gründen Radiuminjektionen erhielten, traten ebenfalls vermehrt Pankreaskarzinome als Spätfolge auf [12].

Aber auch für den Niederdosisbereich muss man die Auffassung, dass Pankreaskarzinome durch ionisierende Strahlen nicht zu erwarten sind, als überholt ansehen. Sie stammt aus den Befunden bei den Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945, die nach wie vor das bevorzugte Referenzkollektiv von Strahlenschutzgremien darstellen. Bei diesen hatten sich in der Tat bis in die 1990er Jahre keine erhöhten Raten gezeigt. Der Grund für dieses Defizit kann darin liegen, dass bis heute Pankreaskarzinome meistens sehr bald nach Dianose zum Tode führen und früher - bis in die 1970er Jahre - sehr schwer zu diagnostizieren waren. Dadurch kommt es zu einer Untererfassung und einer Analyse nur geringer Fallzahlen (als Vergleichsgruppe dient nicht die übrige japanische Bevölkerung, sondern das Strahlenrisiko wird anhand von Dosis-Wirkungskurven ermittelt).

Inzwischen sind erhöhte Raten bei den japanischen Atombombenüberlebenden registriert worden, und zwar sowohl für die Inzidenz [13] als auch für die Mortalität [14]. Die Verdopplungsdosis - gemittelt über alle Altersgruppen - würde danach 3,8 Sievert (Sv) beziehungsweise 12,5 Sv betragen. Die Erhöhungen sind aber nicht signifikant. In einer weiteren Analyse der Daten durch andere Autoren - gedacht für Risikovorhersagen bei der Strahlentherapie - erweisen sich die Pankreasdaten als eindeutig dosisabhängig und damit strahlenbedingt [15].

Als weiteres Beispiel für die chronische Wirkung inkorporierter Alphastrahlung sind die Folgen von thoriumhaltigem Kontrastmittel ("Thorotrast") anzusehen, das zur Gefäßdarstellung im Röntgenbild etwa zwischen 1930 und 1950 eingesetzt wurde. Studien in mehreren Ländern haben gezeigt, dass unter den Folgeerkrankungen auch Pankreaskarzinome zu verzeichnen sind [16-18]. Auch bei ehemaligen Arbeitern einer Anlage zur Gewinnung von Thorium aus Monazitsand, das unter anderem als Kernbrennstoff verwendet wird, waren die Pankreaskarzinome erhöht, und zwar signifikant um das Vierfache [19].

In einer schwedischen Studie über Krebserkrankungen in Gegenden mit erhöhter natürlicher Untergrundstrahlung durch Radon und in einer entsprechenden Studie in den USA fanden sich unter anderem Anstiege der Mortalität an Pankreaskarzinomen [20, 21]. Weitere signifikante Erhöhungen bei strahlenexponierten Arbeitnehmern werden angegeben für Uranarbeiter [22] und Beschäftigte in Nuklearanlagen [23, 24].

Die genannten Befunde aus dem Bereich niedriger Dosis und chronischer Belastung sind mit den hohen Verdopplungsdosen aus dem Atombombenkollektiv nicht kompatibel, liefern jedoch keine Dosisangaben für die Risikoschätzung. Aus Untersuchungen mit therapeutischen Dosen lassen sich auch keine Dosis-Effekt-Beziehungen für den Niederdosisbereich herleiten, da bei hohen Dosen die Zellen in hohem Maße abgetötet werden, so dass die kanzerogene Wirkung abnimmt.

Eine Studie gibt es aber an Beschäftigten, für die auch gemessene Dosiswerte vorliegen. Kanadische Autoren können sich rühmen, das umfangreichste nationale Register über beruflich Strahlenexponierte seit 1951 auszuwerten [24]. Es umfasst etwa 600.000 Beschäftigte aus dem technischen und medizinischen Bereich. Für Pankreaskarzinome wird ein relatives Strahlenrisiko von 10,9 pro Sv angegeben. Das entspricht einer Verdopplungsdosis von nur 101 mSv, wiederum gemittelt über alle Altersgruppen.


Schlussfolgerung

Man fragt sich, wer eigentlich dafür verantwortlich ist, dass in der Berufskrankheitenverordnung Annahmen zum Nachteil von Arbeitnehmern gemacht werden, die seit vielen Jahren überholt sind. Das betrifft eine ganze Reihe von strahlenbedingten Spätschäden wie zum Beispiel Katarakte, Chronisch lymphatische Leukämie, Hirntumore, Prostatakarzinome, Unfruchtbarkeit [25-30].

Es betrifft auch die pauschalen Angaben über Verdopplungsdosen, die dort gemacht werden, die für maligne Tumore bei 2 Sv liegen sollen. Diese Angaben beziehen sich ebenfalls auf frühere Auswertungen der japanischen Daten und fußen auf der Hypothese, dass Expositionen mit hoher Dosisleistung wie bei den Atombombenüberlebenden grundsätzlich wirksamer sind als solche durch chronische Exposition wie im Berufsmilieu.

Diese Annahme ist aufgrund neuerer Erfahrungen seit etlichen Jahren nicht mehr die Lehrmeinung in der Strahlenforschung [24, 31].


Anmerkungen

1. Radarkommission, Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA: Bericht, Berlin, 2.Juli 2003 www.bfs.de/bfs/fue-beitraege/radar/abschlussbericht.html

2. Inskip, P.D., Monson, R.R., Wagoner, J.K. et al.: Cancer mortality following radium treatment for uterine bleeding. Radiat. Res. 123 (1990) 331-344

3. Müller, H., Mellemgaard, A., Jacobsen , G.K., Pedersen, D., Storm, H.H.: Incidence of second primary cancer following testicular cancer. Eur. J. Cancer 29A (1993) 672-676

4. Griem, M.L., Kleinerman, R.A., Boice, J.D.Jr. et al.: Cancer following radiotherapy for peptic ulcer. J. Natl. Cancer Inst. 86 (1994) 842-849

5. Bokemeyer, C., Schmoll, H.J.: Treatment of testicular cancer and the development of secondary malignancies. J. Clin. Oncol. 13 (1995) 283-292

6. Lundell, M., Holm, L.E.: Risk of solid tumors after irradiation in infancy. Acta Oncol. 34 (1995) 727-734

7. Jochimsen, P.R., Pearlman, N.W., Lawton, R.L.: Pancreatic carcinoma as a sequel to therapy of lymphoma. J. Surg. Oncol. 8 (1976) 461-464

8. Rokkas, T., Palmer, T.J., Sladen, G.E.: Tumors of the pancreas as a sequel to abdominal irradiation. Postgrad. Med. J. 65 (1989) 493-496

9. Lambert, C., Benk, V., Freeman, C.R.: Pancreatic cancer as a second tumour following treatment of Hodgkin's disease. Brit. J. Radiol. 71 (1998) 229-232

10. Stein, M.E., Leviov, M., Drumea, K. et al.: Radiation-induced tumors in irradiated stage I testicular seminoma: results of a 25-year follow-up (1968-1993). J. Surg. Oncol. 67 (1998) 38-40

11. Deutsch, M., Rosenstein, M.M., Ramanathan, R.K.: Pancreatic cancer in a young adult after treatment for Hodgkin's disease. Clin. Oncol. (R. Coll. Radiol.) 11 (1999) 280-282

12. Nekolla, E.A., Walsh, L., Spiess, H.: Incidence of malignant diseases in humans in-jected with radium-224. Radiat. Res. 174 (2010) 377-386

13. Preston, D.L., Ron, E., Tokuoka, S. et al.: Solid cancer incidence in atomic bomb survivors: 1958-1998. Radiat. Res. 168 (2007) 1-64

14. Ozasa K, Shimizu Y, Suyama A et al. Studies of the mortality of Atomic Bomb Survivors, Report 14, 1950-2003: an overview of cancer and non-cancer diseases. Radiat Res 2012; 177: 229-243

15. Shuryak, I., Hahnfeldt, P., Hlatky, L. et al.: A new view of radiation-induced cancer: integrating short- and long-term processes. Part II: second cancer risk estimation. Radiat. Environ. Biophys. 48 (2009) 275-286

16. van Kaick, G., Dalheimer, A., Hornik, S. et al.: The German Thorotrast Study: recent results and assessment of risks. Radiation Research 152 (1999) 64-S71

17. Nyberg, U., Nilsson, B., Travis, L.B., Holm, L.E., Hall, P.: Cancer incidence among Swedish patients exposed to radioactive thorotrast: a forty-year follow-up survey. Radiat. Res. 157 (2002) 419-425

18. Travis, L.B., Hauptmann, M., Gaul, L.K. et al.: Site-specific cancer incidence and mortality after cerebral angiography with radioactive thorotrast. Radiat. Res. 160 (2003) 691-706

19. Polednak, A.P., Stehney, A.F., Lucas, H.F.: Mortality among male workers at a thorium-processing plant. Health Phys. 44 Suppl. 1 (1983) 239-251

20. Edling, C., Comba, P., Axelson, O., Flodin, U.: Effects of low-dose radiation - a correlation study. Scand. J. Work. Environ. Health 8 Suppl.1 (1982) 59-64

21. Reddy, N.K., Bhutani, M.S.: Racial disparities in pancreatic cancer and radon exposure: a correlation study. Pancreas 38 (2009) 391-395

22. Fatkova, R.: Carcinoma of the pancreas in patients at the National Health Institute of the Pribram Uranium Industry 1975-1987. (In Tschech.) Cas. Lek. Cesk. 128 (1989) 945-948

23. Mancuso, T.F., Stewart, A., Kneale, G.: Radiation exposures of Hanford workers dyring from cancer and other causes. Health Phys. 33 (1977) 369-384

24. Zielinski, J.M., Shilnikova, N., Krewski, D.: Canadian National Dose Registry of Radiation Workers: overview of research from 1951 through 2007. Int. J. Occ. Med. Environ. Health 21 (2008) 269-275

25. Schmitz-Feuerhake, I., Pflugbeil, S.: Strahleninduzierte Katarakte (Grauer Star) als Folge berufsmäßiger Exposition und beobachtete Latenzzeiten. Strahlentelex Nr. 456-457 v. 5.1.2006, S. 1-7

26. Richardson, D.B., Wing, S., Schroeder, J., Schmitz-Feuerhake, I., Hoffmann, W.: Ionizing radiation and chronic lymphocytic leukemia. Environm. Health Persp. 113 (2005) 1-5

27. Schubauer-Berigan, M.K., Daniels, R.D., Fleming, D.A. et al.: Chronic lymphocytic leukaemia and radiation: findings among workers at five US nuclear facilities and a review of the recent literature. Br. J. Haematol. 139 (2007) 799-808

28. Schmitz-Feuerhake, I., Pflugbeil, S., Pflugbeil, C.: Röntgenrisiko: Abschätzung der strahlenbedingten Meningeome und anderer Spätschäden bei Exposition des Schädels. Gesundheitswesen 72 (2010) 246-254

29. Schmitz-Feuerhake, I.: Prostatakrebs und diagnostisches Röntgen. Strahlentelex Nr. 560-561 vom 6.5.2010, 1-5

30. Schmitz-Feuerhake, I.: Fertilitätsstörungen beim Mann durch ionisierende Strahlung und Mikrowellen. Strahlentelex Nr. 594-595 v. 6.10.2011, 5-6

31. Jacob, P., Rühm, W., Walsh, L. et al.: Is cancer risk of radiation workers larger than expected? Occup. Environ. Med. 66 (2009) 789-796

* Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake, Hannover,
ingesf@uni-bremen.de

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Juni 2012,
Nr. 610-611, Seite 5-6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2012