Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) - 6. Juni 2016
Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2016
Fachverbände und Experten: Eine neue Drogenpolitik ist überfällig
Berlin - Alternativer Drogen- und Suchtbericht in Berlin vorgestellt / Kurswechsel könnte Leben retten / Wirksame Regulierung statt nutzloser Verbotspolitik / Auch Fachleute aus Justiz und Polizei wollen weg von der Strafverfolgung
Ein Kurswechsel in der Drogenpolitik könnte Leben retten,
Abhängigkeit verhindern und Schluss machen mit drastischer
Ressourcenverschwendung in Justiz- und Polizeiarbeit. Darauf haben
heute als Herausgeber des 3. Alternativen Drogen- und Suchtberichts
der akzept Bundesverband, die Deutsche AIDS-Hilfe und der JES
Bundesverband sowie weitere Experten hingewiesen - kurz vor Erscheinen
des Drogen- und Suchtberichtes der Bundesregierung am 9.6.
Aktuelle Drogenpolitik schadet Gesundheit und Gesellschaft
In der deutschen Drogenpolitik herrscht Stillstand. Beim Konsum der Volksdrogen Tabak und Alkohol ist Deutschland Weltspitze, bei den illegalisierten Drogen führen Strafverfolgung Konsumierender und ein Mangel an Hilfsangeboten zu immer mehr Drogentoten und drastischen Problemen für Konsumierende und die Gesellschaft:
Wirksame Gegenmaßnahmen sind längst international erprobt, werden jedoch nicht umgesetzt. Während sich global ein Paradigmenwechsel vollzieht, lehnt die Bundesregierung selbst eine Überprüfung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) ab, obwohl es seine Ziele verfehlt: Den Konsum verbotener Substanzen verhindert es nicht, dieser hat im Gegenteil seit Bestehen des Gesetzes kontinuierlich zugenommen.
Die Herausgeber des Alternativen Drogen- und Suchtberichts fordern daher:
Dazu erklärt Prof. Dr. Heino Stöver vom ISFF, Institut für
Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Science und
Vorstandsvorsitzender des akzept Bundesverbandes e.V.:
"Die Bundesregierung verpasst den Einstieg in eine zeitgemäße
Drogenpolitik. Wir brauchen eine Strategie, die auf wissenschaftlichen
Erkenntnissen und Vernunft beruht statt auf politischen Tabus. Es geht
nicht um eine generelle Drogenfreigabe, sondern darum, mehr Kontrolle
zu erlangen und Schäden zu reduzieren. Die Politik muss endlich das
Mögliche möglich machen!"
Dr. Bernd Werse vom Centre for Drug Research der Goethe-Universität
Frankfurt sagt:
"Eine staatliche regulierte Abgabe von Cannabis kann Verbraucher- und
Jugendschutz sehr viel besser gerecht werden als ein krimineller Markt
außer Kontrolle. Milliarden Euro Steuergelder werden jährlich sinnlos
für Strafverfolgung verbrannt. Dieses Geld könnte wesentlich
sinnvoller für Prävention und Drogenhilfe eingesetzt werden!"
Ulf Hentschke-Kristal, Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe betont:
"Die Strafverfolgung heroinabhängiger Menschen ist aberwitzig. In Haft
besteht ein dramatisch höheres HIV- und Hepatitisrisiko. Mit einfachen
Maßnahmen ohne Risiken und Nebenwirkungen könnten stattdessen
zahlreiche Menschen gerettet werden. Darauf zu verzichten, kann man
nur als unterlassene Hilfeleistung bezeichnen."
Marco Jesse vom Bundesverband JES ("Junkies, Ehemalige und Substituierte"):
"Das Festhalten an einem überholten Abstinenz-Paradigma hilft
niemandem. Der Konsum illegalisierter Substanzen findet sich auf allen
Gesellschaftsebenen und in unterschiedlichster Ausprägung. Die
aktuelle Drogenpolitik ermöglicht jedoch keine Unterscheidung zwischen
Genusskonsumenten und abhängigen Menschen. Die Kriminalisierung von
Konsumenten fördert einzig Stigmatisierung und Ausgrenzung. Wir
brauchen stattdessen Konzepte, die sich an den in der Praxis
gewonnenen Erkenntnissen orientieren."
Die Stimmen, die eine neue Drogenpolitik fordern, werden immer vielfältiger. Auch renommierte Vertreter aus Justiz und Polizeiarbeit melden sich anlässlich des 3. Alternativen Drogen- und Suchtberichts zu Wort (ausführliche Statements in der digitalen Pressemappe unter www.aidshilfe.de).
Prof. Dr. Lorenz Böllinger (Jurist und Kriminologe):
"Das BtMG verstößt gegen die Grundrechtsprinzipien der Freiheit,
Gleichheit und Verhältnismäßigkeit. Die Weiterentwicklung der
Strafrechtstheorie, der Kriminologie und der anderen
Humanwissenschaften erfordern einen Paradigmenwechsel. Nötig sind eine
umfassende Entkriminalisierung des Drogenumgangs, drogenspezifische
Regulierung und gesundheitsrechtliche Bewältigung der Drogenrisiken."
André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter:
"Das Strafrecht ist bei Drogenkonsum nicht das geeignete Instrument.
Es bedarf einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den
zahlreichen offenen Fragen und einer breiten gesellschaftlichen
Diskussion. Ein 'Weiter wie bisher' ist ganz sicher nicht der
zielführende Weg."
Jugendrichter Andreas Müller aus Bernau bei Berlin:
"Die Prohibition
hat in den vergangenen vier Jahrzehnten weit über eine halbe Million
überwiegend junge Menschen wegen Cannabis in den Strafvollzug
gebracht. Jugendliche weichen teilweise auf so genannte Legal Highs
aus, nicht selten mit tödlichen Folgen. Polizei und Justiz führen
jährlich rund 150.000 Ermittlungsverfahren durch - überwiegend für den
Papierkorb. Es ist höchste Zeit, die sinnlose, kostenintensive und
gefährliche Prohibitionspolitik zu beenden."
Hubert Wimber, ehemaliger Polizeipräsident von Münster und
Vorsitzender von LEAP Deutschland ("Law Enforcement against
Prohibition"):
"Nicht Kriminelle, sondern ganz überwiegend Konsumenten werden zu
Beschuldigten, obwohl sie niemandem schaden - außer in manchen Fällen
sich selbst, was nach unserer Rechtsordnung nicht strafbar ist. Die
Strafbarkeit des Drogenkonsums ist auch ein durch nichts
gerechtfertigter Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Drogenkonsum
ist ein Politikfeld der Gesundheitspolitik und nicht der
Kriminalpolitik."
Digitale Pressemappe und weitere Informationen:
www.aidshilfe.de
www.alternativer-drogenbericht.de
Die Deutsche AIDS-Hilfe ist der Dachverband von rund 120 Organisationen in Deutschland.
*
Quelle:
Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH)
Pressemitteilung vom 6. Juni 2016
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Internet: www.aidshilfe.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2016
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