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ETHIK/1157: Arzt-Patientenverhältnis - "Wissenschaftlich ist, die Grenzen seines Wissens zu beachten" (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2014

Ethik
"Wissenschaftlich ist, die Grenzen seines Wissens zu beachten"

Von Horst Kreussler



Zum Arzt-Patientenverhältnis - eine Rückbesinnung auf Karl Jaspers im Ethik-Seminar in Hamburg. Die naturwissenschaftliche Grundlage allein genügt nicht.


Im heutigen Medizinbetrieb erscheint es immer wieder angebracht, sich auf die ethischen Grundlagen ärztlichen Handelns zu besinnen. So geschehen kürzlich im Arbeitskreis Interdisziplinäres Ethik-Seminar von Prof. em. Winfried Kahlke und Mitstreitern im UKE: Prof. Dietrich von Engelhardt, ehemaliger Direktor des Instituts für Medizin- und Wissenschaftsgeschichte in Lübeck, referierte über "Arzt und Patient aus der Sicht des Psychiaters und Philosophen Karl Jaspers (1883 bis 1969)". Jaspers' zentrale Botschaft sei heute noch von hoher Aktualität: Die naturwissenschaftliche Grundlage der Medizin allein genügt nicht, die geisteswissenschaftliche Reflexion gehört dazu.

Jaspers hatte zunächst Medizin studiert und war in der Heidelberger Psychiatrie als "Volontärassistent" tätig, weil seine angegriffene Gesundheit (Brochiektasen, Herzleiden) eine Vollzeitbelastung nicht zuließ. Mit seiner Habilitation 1913/14 wandte er sich mehr und mehr der Philosophie zu. Er wurde Professor, kam mit dem Nationalsozialismus in Konflikt und wurde nach dem Krieg - enttäuscht von der restaurativen hochschulpolitischen Entwicklung - als Ordinarius an die Universität Basel berufen. Weithin bekannt wurde Jaspers als politischer Mahner, so 1957 in seiner Schrift "Die Atombombe und die Zukunft des Menschen". Aus seiner eigenen Krankengeschichte heraus vertrat er immer wieder und besonders in seiner Autobiografie "Schicksal und Wille" (1967) die Auffassung, der Kranke müsse versuchen, seine Krankheit aufgrund seiner individuellen Geschichte zu meistern. Die chronische Krankheit dürfe aber nicht zum Lebensinhalt werden, eher sei es sinnvoll zu arbeiten, als ob sie nicht da sei.

Therapeutisch war für Jaspers die Anthropologische Medizin wichtig mit ihrer Einführung des Kranken als Subjekt in die Medizin. Allerdings, so v. Engelhardt, lag er nicht immer auf einer Linie mit Viktor von Weizsäcker, der die Doppelstruktur Subjekt - Objekt nach vorangegangenen Überlegungen anderer ausformuliert hatte.

Auch Jaspers hielt viel vom ärztlichen Verstehen einer Krankheit vom Kranken her ("transjektives Verstehen"). Verstehen war für ihn die geisteswissenschaftliche Methode, die er in genetisches, existenzielles und anderes Verstehen differenzierte - im Unterschied zur naturwissenschaftlichen Erklärung (Methodendualismus).

Zur Arzt-Patienten-Beziehung schrieb er mit hohem Anspruch etwa so: "Der Arzt ist weder Techniker noch Heiland, sondern Existenz für Existenz ..., die Würde und Freiheit zum Sein bringend und als Maßstab anerkennend." Vorbild für einen solchen nahezu idealtypischen Arzt war sein eigener Arzt, Prof. Albert Fraenkel. Diese "existenzielle Kommunikation" zwischen Arzt und Patient mochte der Referent nicht ganz auf unsere Realität übertragen: Die Arzt-Patienten-Beziehung dürfe zwar keine Wertedifferenz aufweisen, sei aber letztlich doch asymmetrisch.

Aus dieser Patientenorientierung war Therapie jedenfalls in der Psychiatrie für Jaspers auch "Identitätsfindung des Patienten in Verbundenheit mit der Welt". Zu dieser "Selbstverwandlung des Menschen" gehörte für ihn nicht zuletzt die Kunsttherapie: etwa mit großer Literatur wie den antiken Tragikern, Shakespeare, Goethe oder Dostojewski, mit gebrochenen Helden wie Don Quijote, König Lear, Hamlet, der "Idiot", Peer Gynt - therapeutisch mit Erschütterung, Erheiterung, Getröstetsein.

Für die Medizin damals und in Zukunft sah Karl Jaspers vor allem drei Gefahren: eine Verabsolutierung des naturwissenschaftlichen Ansatzes, des Glaubens und der Skepsis. Seine bleibende Mahnung: "Wissenschaftlich ist, die Grenzen seines Wissens zu beachten."

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2014 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2014/201406/h14064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Juni 2014
67. Jahrgang, Seite 66
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz-Joseph Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2014