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ETHIK/1196: Sterbehilfe - "Die Beihilfe zum Suizid ist keine ärztliche Aufgabe" (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2015

"Die Beihilfe zum Suizid ist keine ärztliche Aufgabe"
Klare Positionierung von Prof. Frank Ulrich Montgomery. Im kommenden Monat entscheiden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages über Sterbehilfe.

von Dirk Schnack


Anmerkung der Schattenblickredaktion:
Etwas verspätet und obwohl der Bundestag bereits am 6. November 2015 den Gesetzentwurf zur Sterbehilfe verabschiedet hat, dokumentiert der Schattenblick den nachfolgenden Beitrag aus der Oktober-Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts.


Selten nehmen sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages so viel Zeit, um eine Entscheidung zu fällen, wie beim Thema Sterbehilfe. Nach langer Diskussion und Anhörung vieler Experten soll im kommenden Monat ohne Fraktionszwang abgestimmt werden. Vier Vorschläge, die meisten von ihnen fraktionsübergreifend erstellt, liegen den Abgeordneten vor. Die Bundesärztekammer hat sich anlässlich einer Expertenanhörung am 23. September noch einmal zum Thema positioniert. "Die Initiativen der verschiedenen Parlamentariergruppen zeigen, dass es einen großen Konsens gibt, Sterbehilfevereinen das Handwerk zu legen. Ebenso unstrittig ist es, die Palliativmedizin, die Schmerztherapie und die Hospizarbeit in Deutschland weiter auszubauen", sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Frank Ulrich Montgomery. Er bescheinigte den Abgeordneten, sich mit "großer Ernsthaftigkeit und sehr intensiv mit einer möglichen gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe" zu beschäftigen.

Montgomery hob besonders den Gesetzentwurf der Abgeordneten Michael Brand und Kerstin Griese hervor, der ein klares Verbot von Sterbehilfeorganisationen vorsieht, aber auf weitergehende gesetzliche Regelungen verzichtet. Diese sind nach Auffassung der Bundesärztekammer auch nicht notwendig, weil die Berufsordnungen der 17 Landesärztekammern hierzu Regelungen getroffen haben. Danach ist es Aufgabe von Ärzten, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten. "Damit gilt schon jetzt für alle Ärzte in Deutschland: Sie sollen Hilfe beim Sterben leisten, aber nicht Hilfe zum Sterben", so Montgomery hierzu.

Diese Regelung sei Resultat eines intensiven Diskussionsprozesses innerhalb der Ärzteschaft, der sich über die vergangenen Jahre hinzog. Diese Diskussion führten auch die Ärzte in Schleswig-Holstein, die sich in den vergangenen Jahren mehrfach mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Im vergangenen Monat diskutierte die Kammerversammlung über die Beihilfe zum Suizid. Palliativmediziner bereicherten die Diskussion mit Erfahrungsberichten aus ihrem Praxisalltag.


Eine Kammerversammlung, die sich vornehmlich einem Thema widmet und keine konkreten Entscheidungen oder Beschlüsse zum Ziel hat, sondern breite Information und ein umfassendes Stimmungsbild liefert: Dies soll möglichst einmal im Jahr in Bad Segeberg gelingen. Solche Veranstaltungen ohne die üblichen gesundheitspolitischen Diskussionen können, so hofft Präsident Dr. Franz Bartmann, auch Ärzte erreichen, die die Beschäftigung mit "urärztlichen Themen" in Versammlungen der ärztlichen Organisationen zunehmend vermissen.

Ein solches Thema ist ohne Zweifel die Sterbehilfe, für das die Delegierten der Kammerversammlung im September zusammenkamen, kurz bevor die Abgeordneten des Deutschen Bundestages im kommenden Monat ohne Fraktionszwang hierüber abstimmen. Die ergebnisoffene und konstruktive Diskussion in Bad Segeberg zeigte die Vielschichtigkeit des Themas und machte auch deutlich, dass es gute Argumente für unterschiedliche Meinungen hierzu gibt. Dr. Carsten Leffmann, ärztlicher Geschäftsführer der Ärztekammer, verwies in seiner Einleitung als Moderator noch einmal auf einige Meilensteine in der Diskussion über die Sterbehilfe: Der vielen noch präsente Diskurs zu diesem Thema auf dem Deutschen Ärztetag 2011 in Kiel gehörte dazu, die Beratung in der Kammerversammlung im Frühjahr 2012, die Debatte zur Sterbebegleitung im Deutschen Bundestag im November 2014 und schließlich die Beratung verschiedener Gesetzesentwürfe im Deutschen Bundestag im Sommer dieses Jahres.

Vier fraktionsübergreifend erarbeitete Gesetzesvorlagen liegen dem Deutschen Bundestag vor. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat im Vorwege bekannt gegeben, dass er bei drei Vorlagen juristische Bedenken hat. Unbedenklich erscheint dem Wissenschaftlichen Dienst nur der erste Antrag (Dörflinger/Sensburg), dem jedoch die wenigsten Chancen auf Zustimmung der Parlamentarier eingeräumt werden.

Die Bedeutung der Gesetzgebung zu diesem Thema machte Leffmann mit Zahlen aus den Niederlanden und Belgien deutlich, wo Tötung auf Verlangen vom Gesetzgeber erlaubt ist und wo die Zahlen in den vergangenen Jahren massiv angestiegen sind. Auf 1.000 Todesfälle in den Niederlanden entfallen 34 auf Tötung auf Verlangen. Der in der Schweiz und im US-Bundesstaat Oregon erlaubte assistierte Suizid dagegen nimmt dort einen deutlich geringeren Anteil ein. In Oregon entfallen zwei, in der Schweiz neun von 1.000 Todesfällen auf den assistierten Suizid. Leffmann machte mit einigen Gedankenanstößen zugleich die Vielschichtigkeit des Themas deutlich: Die Unumkehrbarkeit, die Gefahr einer voreiligen Entscheidung, die Frage, ob es bei einer Sterbehilfe zu einer Abnahme der Tötungshemmung kommen kann, ob man sich gar daran gewöhnen kann. Aber auch die Fragen nach einer möglichen Entlastungsverpflichtung und einer Einforderbarkeit spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

Dr. Svante Gehring, Vorstandsmitglied der Ärztekammer und Vorsitzender des Berufsordnungsausschusses, zeigte das weite Spektrum, um das es für Ärzte in dieser Diskussion geht: Nämlich von der Hilfe im Sterben bis zur Hilfe zum Sterben. Er machte deutlich, dass die Ärztekammer ihre Berufsordnung eventuell anpassen muss - in welche Richtung, darüber sollte auch die Diskussion Aufschluss geben.

Zur Erinnerung: Die Musterberufsordnung (MBO) der Bundesärztekammer sagt zum Thema Sterbehilfe: "Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten." In der Berufsordnung der Ärztekammer Schleswig-Holstein heißt es bislang: "Der Arzt darf - unter Vorrang des Willens des Patienten - auf lebensverlängernde Maßnahmen nur verzichten und sich auf die Linderung der Beschwerden beschränken, wenn ein Hinausschieben des unvermeidbaren Todes für die sterbende Person lediglich eine unzumutbare Verlängerung des Leidens bedeuten würde. Der Arzt darf das Leben des Sterbenden nicht aktiv verkürzen. Er darf weder sein eigenes noch das Interesse Dritter über das Wohl des Patienten stellen." Deutlich kürzer und weniger einschränkend fasst es die Berliner Ärztekammer in ihrer Berufsordnung. Dort heißt es: "Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen."

Über dem Wohl aber steht nach Meinung vieler der Wille des Patienten. Im Patientenrechtegesetz ist "Voluntas aegroti" dem "Salus aegroti" übergeordnet. Es sieht vor, dass jede medizinische Behandlung auf der Einwilligung des aufgeklärten Patienten beruhen muss, weil nur sie die Freiheit des Entschlusses über Eingriffe in die körperliche Integrität gewährleistet, wie die Kammerabgeordnete und Palliativmedizinerin Katrin Klewitz erinnerte. Als Mitglied des Berufsordnungsausschusses verwies sie auch darauf, dass Patienten mit einer Patientenverfügung vorsorglich festlegen können, dass bestimmte medizinische Maßnahmen durchzuführen oder zu unterlassen sind, falls sie nicht mehr selbst entscheiden können. Klewitz zeigte, dass der Paragraf 16 der Berufsordnung in Schleswig-Holstein ungenau oder widersprüchlich formuliert ist. Mit einem Beispiel aus der eigenen Praxis und dem Beispiel des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf zeigte sie eindringlich, was schwerkranke Patienten den Suizid wählen lässt (siehe Kasten).

Interaktionmuster

Die Kammerdelegierte und Palliativmedizinerin Katrin Klewitz stellte in einem kurzen Abriss dar, wie sich zwei schwerkranke Patienten in bzw. kurz vor der Terminalphase, beide mit dem Wunsch nach Suizid, entschieden haben. Im ersten geschilderten Beispiel handelt es sich um einen anonymisierten Fall aus ihrer eigenen Praxis, im zweiten um den in den Medien berichteten Tod des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf.

&bull: Eine 62-jährige Anästhesieschwester mit Pankreas-Karzinom, deren Mutter und Bruder nach ihrer eigenen Darstellung an ihren Krebserkrankungen "elendig eingegangen" waren, hatte sich für einen Notfall "Medikamente beiseite geschafft". Palliativmedizinerin Katrin Klewitz berichtete, wie die Patientin ihren eigenen Tod "mit erstaunlicher mentaler Härte" vorbereitete. Mit zunehmenden Symptomen war bei der Patientin der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe aufgekommen. Ihrer Ärztin hatte die Patientin gesagt: "Was jetzt kommt, möchte ich nicht mehr erleben." Die Patientin war aufgeklärt, verfügte über medizinische Kenntnisse, war willensfähig und selbstbestimmt, hatte eine Erkrankung mit infauster Prognose und negative Erfahrungen im engsten Familienkreis. Das Arzt-Patientenverhältnis war vertrauensvoll bei guter Pflege. Die Möglichkeiten der Palliativmedizin konnten ausgeschöpft werden und die Patientin war an jeder Entscheidung maßgeblich beteiligt. In Absprache mit ihr erfolgte eine palliative Sedierung. Das Vorgehen wurde im Beisein von Pflegekraft und Familie besprochen. Die Ernährungstherapie wurde bei fortgesetzter, aber restriktiver Flüssigkeitszufuhr auf Patientenwunsch beendet. Eine intensive pflegerische Begleitung war gewährleistet. Nach sieben Tagen verstarb die Patientin im Lungenödem, sie war im Beisein ihrer Kinder in der Terminalphase tief sediert.

&bull: Der schwerkranke (Glioblastom, Erstdiagnose Februar 2010) Schriftsteller Wolfgang Herrndorf beging kurz vor dem Terminalstadium im August 2013 Suizid mit einer im August 2010 illegal beschafften Waffe. Er hatte schulmedizinische Behandlungen und mehrere Operationen mitbestimmt an sich vornehmen lassen, mit Komplikationen. Er berichtete von seinem Wunsch nach Autonomie, von der Angst vor einer Wesensveränderung, vor dem Verlust der Sprache, vor Infantilisierung und Siechtum. Auch er galt als aufgeklärter Patient, mit Sachkenntnissen über Ärzte und Medien, war willensfähig. Schulmedizinisch war er nach drei Jahren austherapiert, mit infauster Prognose. Er hatte ärztliche Betreuung durch diverse Fachärzte, durch einen Hausarzt, aber nicht durch einen Palliativmediziner. Der ledige und kinderlose Autor hatte ein soziales Netz durch Partnerin und enge Freunde. Sein Sterbewunsch bezog keine aktive externe Beteiligung ein. Die drohende Handlungsunfähigkeit durch neurologische Defizite nahm er wahr. Palliativmedizinerin Klewitz zitierte den Autor mit folgenden Sätzen: "Ich könnte mich nicht damit abfinden, vom Tumor zerlegt zu werden, aber ich kann mich damit abfinden, mich zu erschießen. Das ist der ganze Trick."

Was aber würde es bedeuten, wenn Deutschland etwa dem Beispiel Oregons mit dem ärztlich begleiteten Suizid folgen würde? Klewitz stellte hierzu zunächst inhaltliche und prozedurale Kriterien des Oregon Death With Dignity Act vor, nämlich Volljährigkeit, Urteilsfähigkeit, eine innerhalb von sechs Monaten zum Tode führende Erkrankung, zwei unabhängige Ärzte, ein mündlicher und ein schriftlicher Antrag, die Anwesenheit von zwei Zeugen, 15 Tage Bedenkzeit und anschließend die erneute mündliche Willensbekundung. Danach kann eine tödliche Barbituratdosis verordnet werden, wobei die palliativmedizinische Behandlung im Mittelpunkt bleibt und ein ausreichendes Hospizangebot bestehen muss. Klewitz berichtete, dass 30 Prozent aller Personen, die ein solches Rezept erhalten, es nicht verwenden. Auf Deutschland hochgerechnet wären unter solchen gesetzlichen Voraussetzungen nach Angaben der Palliativmedizinerin rund 2.600 Selbsttötungen pro Jahr zu erwarten, dies entspräche einem Anteil von rund 0,3 Prozent aller Todesfälle.

Die wichtigsten Aspekte aus rechtlicher Sicht zur ärztlichen Sterbebegleitung trug der Segeberger Rechtsanwalt Dr. jur. Klaus Kossen vor. Auch hier war zunächst eine Begriffsklärung (siehe Definitionen) erforderlich. Kossen machte deutlich, dass eine direkte Sterbehilfe mit dem humanen Heilauftrag des Arztes unvereinbar, nicht zu rechtfertigen und strafbar ist. Zur indirekten Sterbehilfe verwies er auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH). Hiernach darf der Arzt berücksichtigen, dass es keine Rechtsverpflichtung zur Erhaltung eines erlöschenden Lebens um jeden Preis gibt. Maßnahmen zur Lebensverlängerung sind nicht schon deshalb unerlässlich, weil sie technisch möglich sind. Außerdem stellen die BGH-Richter klar: "Angesichts des Fortschritts medizinischer Technologie bestimmt nicht die Effizienz der Apparatur, sondern die auf die Achtung des Lebens und der Menschenwürde ausgerichtete Einzelfallentscheidung die Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht."

Direkte Sterbehilfe, also die Tötung eines unheilbar Kranken aufgrund seines ernstlichen Willens durch eine aktive ärztliche Handlung, ist nach dem Strafgesetzbuch strafbar, mit dem humanen Heilauftrag des Arztes unvereinbar und verstößt gegen den hippokratischen Eid ("... auch werde ich niemandem ein tödliches Gift geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde"). Sie verstößt auch gegen die Vorgabe in § 16 der Musterberufsordnung (Beistand für Sterbende: Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten") sowie gegen die Berufsordnung.

Indirekte Sterbehilfe, also die medikamentöse Behandlung eines Schwerstkranken, insbesondere potente Schmerztherapie, unter Inkaufnahme einer möglichen Lebensverkürzung als unbeabsichtigte Nebenwirkung, ist straflos.

Im Strafrecht ist die Beihilfe zur Selbsttötung bislang nicht erfasst. Die Politik ringt aber seit Langem um ein neues Gesetz, das Sterbehilfe und assistierten Suizid regelt. Kossen stellte in diesem Zusammenhang die aktuellen, weitgehend fraktionsübergreifend erarbeiteten Gesetzesvorhaben vor, mit denen sich der Deutsche Bundestag beschäftigt:

1. Ein grundsätzliches Verbot jeder Beihilfe zum Suizid. Wer einen anderen anstiftet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, soll danach mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden. Auch für Ärzte und Angehörige soll es keine Ausnahmen geben. Dieses Vorhaben der Abgeordneten Sensburg und Dörflinger aus der CDU favorisieren nach Stand September 35 Abgeordnete.

2. Ein grundsätzliches Verbot organisierter Beihilfe zum Suizid. Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, soll mit Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren bestraft werden. Straffrei soll aber bleiben, wer nicht geschäftsmäßig handelt und Angehöriger oder Nahestehender ist. Diesem fraktionsübergreifenden Vorhaben, für das meist die Abgeordneten Brand (CDU) und Griese (SPD) genannt werden, signalisierten rund 200 Abgeordnete, darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihre Unterstützung.

3. Ärzten soll Suizidhilfe ermöglicht werden, damit keine Gefahr des Approbationsentzugs für den Suizidhilfe leistenden Arzt besteht. Dies soll an folgende Voraussetzungen geknüpft werden: irreversible, tödliche Krankheit eines volljährigen, einwilligungsfähigen Patienten, dessen voraussehbares Leiden durch einen Suizid abgewendet werden soll. Die ärztliche Beratung des Patienten über Alternativen und Durchführung der Suizidassistenz wäre ebenfalls Voraussetzung. Die Hilfestellung des Arztes bliebe freiwillig. Dieses Vorhaben der Abgeordneten Hintze (CDU) und Lauterbach (SPD) würde eine Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch, nicht im Strafgesetzbuch, erforderlich machen.

4. Sterbehilfevereine werden grundsätzlich zugelassen, nur die geschäftsmäßige Sterbehilfe wird unter Strafe gestellt. Dies soll laut Gesetzesvorhaben mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Ärzte dürften nach dieser Vorlage wie bei der bisherigen Rechtslage weiterhin straffrei Beihilfe leisten, wenn der Sterbewillige volljährig ist, frei verantwortlich handelt und vorher eingehend beraten wurde. Dieses Vorhaben der Abgeordneten Künast (Grüne) und Sitte (Linke) soll Ärzten Rechtssicherheit geben.

Kossen berichtete, dass der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages bereits Bedenken hinsichtlich einer verfassungsrechtlichen Überprüfung der Vorhaben zwei bis vier angemeldet hat.

Wie aber sehen es die Delegierten in der Abgeordnetenversammlung? Die Diskussion spiegelte viele Facetten des Themas wider. Klewitz verwies darauf, dass der Wunsch nach Suizid weniger aus Gründen der nicht ausreichenden Symptomkontrolle, sondern eher aus Angst vor Verlust der Würde und der Autonomie durch die fortschreitende Erkrankung entsteht. Dr. Rolf Drews möchte die ärztliche Handlungsfreiheit nicht einschränken: "Lassen wir es, wie es ist." Auch mit der Formulierung der Berliner Ärztekammer könnte er sich anfreunden. Kammervorstandsmitglied Dr. Gisa Andresen betonte: "Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die entscheidet, welches Leben beendet gehört." Die Zulassung von gewerbsmäßiger Sterbehilfe würde nach ihrer Ansicht dazu führen. Sie könnte sich das zweite genannte Gesetzesvorhaben als Kompromiss vorstellen. Kammervorstandsmitglied Petra Imme gab zu bedenken, dass Befragungen zum Thema schnell ein verzerrtes Bild vermitteln, weil man gesunde, nicht aber die Sterbenskranken fragt. Ihre Erfahrung: "Die meisten Patienten sind dankbar für die ihnen noch verbleibende Zeit."

Dr. Wilken Boie hätte Probleme mit jeder der vorgestellten Gesetzesvorlagen. Um das Arzt-Patientenverhältnis nicht zu gefährden, wünscht er sich, dass alles bleibt, wie es ist. Nach Ansicht von Kammervorstandsmitglied Dr. Christian Sellschopp geht die Musterberufsordnung über das, was Konsens in der Gesellschaft ist, hinaus. Er wünscht sich, dass die jüngste MBO-Änderung wieder rückgängig gemacht wird, um diese Diskrepanz zu beseitigen. Kammerpräsident Dr. Franz Bartmann möchte Situationen, die Ärzte in Konflikte bringen können, nicht in Recht gegossen wissen. Er könnte ebenfalls mit dem Berliner Modell leben. Nach Ansicht des Delegierten Dr. Norbert Jaeger gibt die Berufsordnung den Ärzten "alle Möglichkeiten, den Patienten zu helfen". Suizidhilfe sollte nach seiner Ansicht nicht dazu gehören. Dr. Thomas Maurer dagegen wünscht sich eine Lösung, die dem Arzt klar die Straffreiheit gewährt. "Ich habe Angst davor, niemanden zu finden, der mir im Fall eines Falles ärztlich assistiert, und davor, dass mir jemand sagen kann, dass ich meine Entscheidung gar nicht ernst meine - das ist paternalistische Medizin, bei der der Arzt seine eigene Meinung über die des Patienten stellt." Die Delegierte Vera Meyer meint: "Kein Patient sollte Angst davor haben, mit seinem Wunsch zu sterben zum Arzt zu gehen. Die Menschen, die Hilfe suchen, müssen sie auch bekommen." Vize-Präsident Dr. Henrik Herrmann machten die Zahlen aus den Niederlanden betroffen; er sprach sich gegen Gesetze aus, die solche Folgen auslösen können. Die Musterberufsordnung empfindet er als Einschränkung. Würde und Wohl des Patienten müssen nach seiner Ansicht besser berücksichtigt werden. Der Delegierte Dr. Gerdt Hübner sprach sich dagegen aus, nichts zu ändern: "Es braucht eine Lösung, um gewerbsmäßige Sterbehilfe zu unterbinden und einen rechtsfreien Raum zu verhindern."

Positionen zur Sterbehilfe

Zahlreiche ärztliche und andere Verbände aus dem Gesundheitswesen haben sich zum Thema Sterbehilfe geäußert. Dr. Henrik Herrmann stellte der Kammerversammlung ausgewählte Positionen vor.

• Die Bundesärztekammer lud Ende 2014 zur Pressekonferenz. In einer Mitteilung hierzu stellte die BÄK fest: "Die Berufsordnungen der Ärztekammern formulieren einheitlich und bundesweit, dass es die Aufgabe von Ärzten ist, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wieder herzustellen, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die gegenwärtige Debatte über eine mögliche gesetzliche Regelung der Sterbehilfe in Deutschland bekräftigen die Ärztekammern, dass die Tötung des Patienten, auch wenn sie auf dessen Verlangen erfolgt, sowie die Beihilfe zum Suizid nicht zu den Aufgaben des Arztes gehören."

• In den Grundsätzen der Bundesärztekammer vom 21. Januar 2011 heißt es: "Ein offensichtlicher Sterbevorgang soll nicht durch lebenserhaltende Therapien künstlich in die Länge gezogen werden. Darüber hinaus darf das Sterben durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung ermöglicht werden, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht. Dies gilt auch für die künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr. Die Tötung des Patienten hingegen ist strafbar, auch wenn sie auf Verlangen des Patienten erfolgt. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe."

• Der Deutsche Ethikrat Ende 2014: "Situationen, in denen jemand einen Suizid plant und eine andere Person bittet, ihn dabei zu unterstützen, sind vielgestaltig und von zahlreichen, sehr unterschiedlichen Aspekten geprägt, die u. a. in der Beziehung der Personen zueinander, in deren Biografien, in der Krankheitsgeschichte und in den Vorversorgungsbedingungen liegen. Die geltende Gesetzeslage, wonach weder ein Suizid noch eine Beihilfe zu einem im rechtlichen Sinne frei verantwortlichen Suizid strafbar ist, steht im Einklang mit den Prinzipien eines freiheitlichen Verfassungsstaates. Diese schließen es aus, den Suizid abstrakt-generell als Unrecht zu bestimmen. Deshalb kann auch die Hilfe zu einem frei verantwortlichen Suizid ihrerseits nicht generell als Unrecht im Rechtssinne definiert werden, so umstritten die Freiverantwortlichkeit eines Suizids allgemein und ihre Erkennbarkeit im konkreten Einzelfall auch sein mögen. Allerdings sollten nach Auffassung der Mehrheit des Ethikrates Suizidbeihilfe sowie ausdrückliche Angebote dafür untersagt werden, wenn sie auf Wiederholung angelegt sind, öffentlich erfolgen und damit den Anschein einer sozialen Normalität ihrer Praxis hervorrufen könnten ... Eine Suizidbeihilfe, die keine individuelle Hilfe in tragischen Ausnahmesituationen, sondern eine Art Normalfall wäre, etwa im Sinne eines wählbaren Regelangebotes von Ärzten oder im Sinne der Dienstleistung eines Vereins, wäre geeignet, den gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben zu schwächen ... Schließlich könnte es die Anstrengungen der Suizidprävention unterlaufen, wenn eine Beihilfe den Charakter einer gesellschaftlich akzeptierten Üblichkeit erhielte. Dabei ist es unerheblich, ob die Beihilfe durch eine Organisation oder eine Einzelperson erfolgt."

• Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie zu den Gesetzesvorlagen 2015: "Eine Verbesserung der palliativmedizinischen Versorgung und ein Ausbau der Hospize sind wünschenswert und notwendig. Die Ärzte sollten mehr Hilfestellungen für den Umgang mit Extremsituationen am Lebensende erhalten. Die DGHO lehnt eine Veränderung des Strafrechts ab, die die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung durch Ärzte wie auch jeden anderen Bürger infrage stellen würde. Die DGHO sieht in der gegenwärtigen Praxis keine Rechtsunsicherheit für Ärzte, die Hilfe bei der Selbsttötung leisten. Ob ein Arzt Hilfestellung bei der Selbsttötung leisten will, ist eine individuelle Gewissensentscheidung. Eine Verpflichtung dafür ist nicht gegeben. Das berufsrechtliche Verbot der ärztlichen Hilfe zur Selbsttötung ist angesichts der eindeutigen Festlegung in der übergeordneten Norm des Strafrechts verfehlt."

• Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie im September 2015: "Es müssen die Rahmenbedingungen weiter verbessert werden, die eine gute ärztliche Begleitung schwerstkranker älterer Patienten bis an ihr Lebensende ermöglichen. Bei der engen Assoziation von Suizid und psychischen Erkrankungen muss in der Debatte über Suizid der Gedanke der Suizidprävention stärker berücksichtigt werden. Die bestehenden strafrechtlichen Regelungen zum Suizid und zur Suizidbeihilfe sollten bestehen bleiben. Organisierte Sterbehilfevereine, die kommerzielle Interessen verfolgen, sollten verboten werden."

• Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin im Juni 2015: "Die Anfrage nach ärztlicher Beihilfe zum Suizid ist ein sehr seltenes Phänomen. Diese absoluten Einzelfälle rechtfertigen keine Änderung des Strafrechts. Die palliativmedizinischen Möglichkeiten in Ruhe erklärt zu bekommen, als Familie mit einem sterbenden Angehörigen ein multiprofessionelles Team zur Seite zu haben und über alle Nöte, Ängste und Beschwerden frei sprechen zu können, trägt oft erheblich zur Entlastung bei und kann die individuelle Not deutlich lindern ..."

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
68. Jahrgang, Nr. 10/2015, Oktober 2015, Seite 1 und 6-9
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2015

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