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ETHIK/1260: Herbsttagung - Lässt sich der "Vererbungsturbo" bändigen? (Infobrief - Deutscher Ethikrat)


Infobrief des Deutschen Ethikrates Nr. 22 - Januar 2018 - 01/18

Herbsttagung
Lässt sich der "Vererbungsturbo" bändigen?


Die öffentliche Herbsttagung des Deutschen Ethikrats fand in diesem Jahr am 26. Oktober im Festsaal der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main statt. Unter dem Titel "Gene-Drive-Vererbungsturbo in Medizin und Landwirtschaft" ging es um eine molekularbiologische Technik, mit deren Hilfe genetische Merkmale innerhalb weniger Generationen unter den Individuen einer bestimmten Art verbreitet werden können.


Um die Dimension der von Gene-Drives ausgehenden normativen Herausforderungen hervorzuheben, zitierte der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, in seiner Einführung die zivilgesellschaftliche Organisation Action Group on Erosion, Technology and Concentration (ETC). Diese hatte in einer Stellungnahme das Risikopotenzial von Gene-Drives, die in Verbindung mit Techniken der Genom-Editierung eingesetzt werden, als "Gen-Bombe" bezeichnet. Gene-Drives eröffneten Eingriffsmöglichkeiten, die das "Ende der Natur" einleiten könnten.

Auf der anderen Seite stünden den Risiken regelrechte "technoreligiöse Heilsversprechen" gegenüber, denn die Befürworter erhofften sich von Gene-Drives neue und durchschlagende Strategien zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten und Agrarschädlingen. Sowohl im medizinischen als auch im landwirtschaftlichen Anwendungsbereich gehe es dabei um gentechnische Eingriffe an Insekten, die wegen ihrer raschen Generationenfolge besonders geeignete Zielorganismen für Gene-Drives seien. Eine besondere ethische Herausforderung liege vor allem in der Möglichkeit, mit ihrer Hilfe ganze Populationen und eventuell sogar ganze Arten von Schadinsekten gezielt auszulöschen. Dabrock zufolge setzt die angemessene Beurteilung möglicher Anwendungen von Gene-Drives auch diesseits der radikalen Handlungsoption der gezielten Elimination ganzer Arten neben der Beantwortung einer Vielzahl offener Sachfragen auch die eines breiten Spektrums an normativen Fragen voraus, die außer ethischen, rechtlichen und anderen regulatorischen Themen auch ökonomische, religiöse und weltanschauliche Aspekte eines angemessenen Naturverhältnisses berühren. In jedem Fall sehe der Deutsche Ethikrat - wie schon in seiner Ende September veröffentlichten Ad-hoc-Empfehlung zu Keimbahneingriffen am menschlichen Embryo - guten Grund, davor zu warnen, dass in einem internationalen Wettbewerb um wissenschaftliche Anerkennung und wirtschaftliche Innovation Fakten mit globaler Tragweite geschaffen werden könnten, denen die Weltgesellschaft dann nur noch hinterherregulieren könne.

Anwendungspotenziale

Den ersten Vortrag der Tagung hielt der Genetiker Nikolai Windbichler, der in der Arbeitsgruppe von Andrea Crisanti am Imperial College London an der Entwicklung eines ersten Gene-Drive-Systems zur Unterdrückung von Populationen der Malaria übertragenden Moskitoart Anopheles gambiae mitgewirkt hat. Windbichler verwies zunächst auf die enorme medizinische Relevanz möglicher Gene-Drive-Anwendungen: Eine Milliarde Krankheitsfälle gehen jährlich allein auf durch Moskitos übertragene Infektionskrankheiten zurück. Die in den letzten Jahrzehnten durch die Einführung von Moskitonetzen und neue Kombinationstherapien erzielten Fortschritte in der Bekämpfung der Malaria seien durch die Entwicklung von Insektizidresistenzen bedroht. Windbichler sieht daher dringenden Bedarf für neue gentechnische Strategien der Kontrolle von Moskitopopulationen. Solche Strategien müssen nicht unbedingt auf das Dezimieren oder Auslöschen einer Population zielen, wie es etwa geschieht, wenn das Geschlechterverhältnis innerhalb einer Population so verschoben wird, dass sich fast keine Moskitoweibchen mehr entwickeln. Ein alternativer Ansatz sieht vor, mit Techniken der Genom-Editierung wie CRISPR-Cas9 eine Veränderung in das Erbgut von Moskitos einzuführen, in deren Folge der Malariaerreger sich nicht länger im Moskito weiterentwickeln kann, wodurch letztlich seine Übertragung auf den Menschen verhindert wird. Durch die Kopplung mit einem Gene-Drive-Gen könnte das neue Merkmal in der gesamten Moskitopopulation durchgesetzt werden, wobei deren biologische Fitness im Idealfall unverändert bliebe.

Auf molekularbiologischer Ebene nutzen Gene-Drives, die in Gestalt sogenannter egoistischer Gene in der Natur vorkommen, zelleigene Reparaturmechanismen, um im Anschluss an einen Schnitt des DNS-Strangs eine genetische Kopie ihrer selbst an homologer Stelle auf das andere Chromosom derselben Zelle zu übertragen. Geschieht dies in den Keimzellen, so gibt das Individuum den Gene-Drive an alle seine Nachkommen weiter, in denen er sich gegebenenfalls wiederum kopiert. Je nachdem, wie viele gentechnisch veränderte Individuen freigesetzt werden, breitet sich ein Gene-Drive bzw. die mit ihm gekoppelte genetische Modifikation unterschiedlich schnell innerhalb einer Population aus. Konkrete Aussagen dazu, über wie viele Generationen hinweg ein Gene-Drive sich bis zu welchem Grad in einer Wildpopulation durchzusetzen vermag, basieren bislang auf Modellberechnungen, in die unter Laborbedingungen gewonnene Erkenntnisse eingeflossen sind. Entgegen manchen Befürchtungen betonte Windbichler, dass noch unklar sei, ob die mit Gene-Drives erzielten Effekte im Genpool einer Spezies dauerhaft erhalten bleiben, weil Lebewesen auch gegen Gene-Drives Resistenzen ausbilden können. Auch die Sorge, ganze Arten könnten infolge eines Gene-Drive-Eingriffs aussterben, sei vermutlich unbegründet, weil die hierfür erforderliche globale Verbreitung genetisch veränderter Organismen nicht gewährleistet werden könnte. Zusammenfassend stellte Windbichler fest, dass Gene-Drive eine speziesspezifische und effektive genetische Technologie mit noch ungeklärtem Nutzenpotenzial ist. Es handele sich keinesfalls um eine Wunderwaffe, durchaus aber um eine Technologie, die in Verbindung mit anderen Interventionen den Ausschlag im Kampf gegen Krankheiten wie Malaria oder Denguefieber geben könnte.

Die möglichen landwirtschaftlichen Anwendungen von Gene-Drives wurden anschließend von Marc Schetelig, Professor für Insektenbiotechnologie im Pflanzenschutz an der Universität Gießen, dargestellt. Auch er verwies auf die Chancen von Gene-Drive-Technologien. Im landwirtschaftlichen Bereich gehe es um die globale Aufgabe, die Ernährung der immer weiter anwachsenden Weltbevölkerung durch die Bewirtschaftung einer insgesamt schrumpfenden nutzbaren Agrarfläche zu gewährleisten. Wenn sich Schadinsekten mit Gene-Drives bekämpfen ließen, könnte der Ertrag an Nutzpflanzen gesteigert werden - bei gleichzeitiger Einsparung von Pestiziden. Im Labor habe man die Möglichkeit der gezielten genetischen Modifikation von Agrarschädlingen mit Gene-Drive-Systemen bereits nachweisen können. Gegenüber anderen genetischen Strategien des Schädlingsmanagements, wie dem Herbeiführen von Sterilität durch ionisierende Strahlung, könnten Gene-Drive-Anwendungen den Vorteil haben, dass sehr viel weniger gentechnisch veränderte Organismen freigesetzt werden müssten, um eine Insektenpopulation erheblich zu reduzieren. Ebenso wie Windbichler trat Schetelig der Besorgnis entgegen, Gene-Drive-Systeme könnten sich, einmal freigesetzt, verselbstständigen. Um sich nicht auf die natürlichen Mechanismen, die einer unbeabsichtigten globalen Auslöschung einer Art entgegenstehen, verlassen zu müssen, arbeite man an "Rückholsystemen", mit denen ein Gene-Drive bei Bedarf etwa durch das Einführen eines weiteren Gene-Drives neutralisiert werden kann. Resümierend mahnte Schetelig eine differenzierte Betrachtung von Gene-Drive-Systemen mit ihren ganz unterschiedlichen Eigenschaften an. Weltweite Regulierungsansätze seien wünschenswert, um ihren möglichen Nutzen für die Landwirtschaft in angemessenen weiteren Entwicklungsschritten genauer zu erforschen.

Technikfolgenbewertung

Der zweite Vortragsteil wurde vom Biologen und Technikfolgenforscher Arnim von Gleich eröffnet, der aktuell gemeinsam mit anderen Partnern eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Pilotstudie namens "GeneTip" zu den Risiken der Freisetzung von Gene-Drive-Systemen durchführt. Von Gleich zufolge könne eine stufenweise prospektive Technikfolgenbewertung dazu beitragen, den Innovationsprozess für Gene-Drives verantwortungsvoll zu gestalten: Zunächst müsse die Technologie etwa im Hinblick auf ihre Eingriffstiefe genauer charakterisiert werden. Weil die Technik in die Keimbahn von Lebewesen eingreift, sie ihrem Wesen nach auf rasche Verbreitung angelegt ist und für ihre erfolgreiche Anwendung eine Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen zwingend erforderlich ist, ist die Eingriffstiefe von Gene-Drives vergleichsweise erheblich anzusetzen. In einem weiteren Schritt kann Technikfolgenbewertung im Rahmen einer Vulnerabilitätsanalyse Schwachpunkte einerseits der Technologie selbst und andererseits der Systeme, in die eingegriffen werden soll, untersuchen. Schließlich können noch die jeweils anvisierten Einsatzziele und -kontexte genauer analysiert werden, wobei auch Missbrauchsmöglichkeiten etwa in Form militärischer Anwendungen berücksichtigt werden müssen. Laut von Gleich gibt es guten Grund, im Umgang mit Gene-Drives die Vorsorgemaxime zu befolgen, der zufolge man so handeln sollte, dass man noch korrigierend eingreifen kann, wenn etwas schiefläuft. Im Fall von Gene-Drives sei die Unwissenheit eigentlich noch zu groß, um von klar abschätzbaren Chancen und Risiken zu sprechen. Bislang könne man nur Nutzenversprechen und Besorgnisgründe beurteilen. Diese zu untersuchen, sei Aufgabe der Wissenschaft, sie gegeneinander abzuwägen und die erforderlichen Regulierungen vorzunehmen, sei hingegen Aufgabe der Politik.

Öffentlicher Diskurs

Die Kulturwissenschaftlerin Julia Diekämper analysierte in ihrem Beitrag den öffentlichen Diskurs zur Genom-Editierung im Allgemeinen und zu Gene-Drives im Besonderen mit kommunikationswissenschaftlichen Methoden. Sie griff dabei auf Erkenntnisse aus einem laufenden BMBF-Verbundprojekt namens GenomELECTION zurück, das Anwendungen neuer gentechnologischer Verfahren in der molekularen Medizin und Nutzpflanzenzüchtung aus verschiedenen disziplinären Perspektiven untersucht und dessen kommunikationswissenschaftliches Teilprojekt Diekämper am Museum für Naturkunde in Berlin koordiniert. Der Ausgangspunkt ihrer Überlegungen war der Befund, dass nahezu die einzige Gemeinsamkeit der zahlreichen in den letzten Jahren von Akademien und Expertengremien veröffentlichten Stellungnahmen zum Thema Genom-Editierung in der Forderung liegt, man müsse die Öffentlichkeit frühzeitig in den Entscheidungsprozess über mögliche Anwendungen dieser Technologien einbeziehen. Die Zuständigkeit der Öffentlichkeit ergebe sich unmittelbar aus ihrer Betroffenheit durch potenzielle Folgen gentechnologischer Anwendungen; es sei jedoch zu fragen, um die Beteiligung welcher Öffentlichkeit es eigentlich gehe und in welcher Rolle sie beteiligt werden soll. Allzu oft nämlich werde die Öffentlichkeit auf die Rolle einer rationalen Zustimmungsinstanz reduziert. Dies verleugne die Tatsache, dass der öffentliche Diskurs eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, für die neben kognitiven Gründen auch intuitive, wertende, emotionale und interessengeleitete Einstellungen relevant sind. Neben moralischen Fragen gehe es dabei immer auch um ethische Fragen im eudämonistischen Sinn, der Aspekte des guten oder gelingenden Lebens betrifft. Ethische Implikationen habe etwa die in der öffentlichen Berichterstattung über Verfahren der Genom-Editierung oft vermittelte Betrachtung des Menschen als eines Handwerkers oder Ingenieurs, der das Erbgut mit geeigneten Werkzeugen wie der Genschere CRISPR-Cas9 repariert oder gezielt gestaltet. Im viel jüngeren Diskurs zu Gene-Drives finde eine auffällige Verengung der moralischen und der ethischen Perspektive statt. Dabei gehe es zentral um den richtigen Umgang mit der Natur, der zwar einerseits als Ganzer ein Wert zuerkannt, die aber andererseits zur Verhandlungs- und Verfügungssache gemacht werde. Am Beispiel einer Aktion zur Frage "Eine Welt ohne Mücken?" des Museums für Naturkunde in Berlin verdeutlichte Diekämper, wie Räume der Auseinandersetzung mit dem Thema Gene-Drive für die Öffentlichkeit geschaffen werden können, in denen diese in ihrer nicht nur rational verfassten Eigengesetzlichkeit ernst genommen wird.

Umweltethische Perspektiven

Die nachmittäglichen Vorträge zu normativen Fragen des Umgangs mit Gene-Drives eröffnete die Biologin und Umweltethikerin Uta Eser, Gründerin des Büros für Umweltethik in Tübingen. Sie stellte sich dem Thema unter der Titelfrage "Kann die gezielte Ausrottung einer Art gut und richtig sein?" In dieser Frage liege bereits eine auffällige normative Umorientierung, denn bislang sei die Möglichkeit des Artensterbens stets unter negativen Vorzeichen erschienen, als zu vermeidende Nebenfolge menschlichen Handelns. Nun aber werde gefragt, unter welchen Vorzeichen das absichtliche Auslöschen einer Art gerechtfertigt sein könne; an die Stelle der Natur, die vor dem Menschen geschützt werden soll, trete damit der Mensch, der sich vor der Natur schützen will. Eser warb dafür, in der Urteilsbildung zum Thema Gene-Drive schrittweise und problemorientiert vorzugehen und zunächst zu fragen, ob Gene-Drives geeignet sind, ein gegebenes Problem wie etwa den Welthunger zu lösen. Erst wenn diese prudenzielle Frage positiv beantwortet sei, müsse man moralisch darüber Rechenschaft ablegen, ob man Gene-Drives zur Lösung des Problems einsetzen darf. Und erst wenn weder Gründe für moralische Verbote noch für Gebote gefunden werden konnten und der Einsatz von Gene-Drives folglich als erlaubt zu gelten hat, sollte man aus der Perspektive der eudämonistischen Ethik weiter fragen, ob diese Art der Problemlösung im Interesse eines gelingenden Lebens möglichst vieler Menschen denn auch erstrebenswert ist. Eine wichtige Frage, die auf der moralischen Ebene zu beantworten sei, betreffe die nach einem möglichen Selbstwert biologischer Arten. Wenn man einer Moskitoart unabhängig von dem Wert, den sie für Menschen hat oder eben nicht hat, einen solchen Selbstwert zubilligt, dann dürfte es sich verbieten, sie menschlichen Interessen zu opfern. Ohne dass sie diese im Rahmen ihres Beitrags ausführlich hätte begründen können, äußerte Eser die Vermutung, dass im Umgang mit Gene-Drives am Ende auf die ethische Perspektive zu verweisen sein werde, weil sich weder zwingende Gründe dagegen finden lassen könnten, sie einzusetzen, noch solche dafür, dass man sie unbedingt einsetzen sollte. Von dieser Warte aus sei daher danach zu fragen, ob wir mit Gene-Drives ganze Arten auslöschen wollen. Zu bedenken sei in diesem Zusammenhang zum Beispiel, ob das gezielte Eingreifen in die biologische Vielfalt mit einer gelingenden Naturbeziehung zu vereinbaren ist, die wiederum große Relevanz für das Gelingen des menschlichen Lebens hat.

Ökonomische Aspekte

Der Agrarökonom Justus Wesseler von der Universität Wageningen unterzog die Gene-Drive-Technologie einer Kosten-Nutzen-Analyse. Neben den bereits besprochenen möglichen Nutzeneffekten im landwirtschaftlichen und medizinischen Bereich erwähnte er auch denkbare Anwendungen im Interesse des Artenschutzes. Beispielsweise werde in Neuseeland erwogen, Ratten und Mäuse, die als eingeschleppte Arten ohne lokale Fressfeinde Jahr für Jahr immensen Schaden an der endemischen Flora und Fauna anrichten, unter anderem mithilfe von Gene-Drives zu bekämpfen. Neben den Anwendungskosten, so Wesseler, seien aus ökonomischer Sicht stets auch die Entwicklungskosten einer Technologie zu berücksichtigen. Weil diese im Fall von Gene-Drives vergleichsweise hoch sind und über einen längeren Zeitraum anfallen, stellen sie für privatwirtschaftliche Unternehmen ein riskantes Investment mit ungewissen Erfolgsaussichten dar. Schwer abzusehen und noch schwerer zu beziffern seien auch die Folgekosten auf Ökosystem-Ebene. Wesseler warnte im Umgang mit den erheblichen Ungewissheiten rund um die Gene-Drive-Technologie vor einem geläufigen Missverständnis des Vorsorgeprinzips. Es greife zu kurz, wenn man wegen der möglicherweise erheblichen ökologischen Folgekosten ihres Einsatzes grundsätzlich auf diese Technologie verzichte. Die Risiken der Anwendung müssten vielmehr abgewogen werden mit den Risiken ihrer Unterlassung, die wiederum nur vor dem Hintergrund verfügbarer Alternativen bewertet werden können. Eine angemessene Anwendung des Vorsorgeprinzips verlange ferner die Beurteilung, ob man es mit reversiblen oder irreversiblen Folgen zu tun hat und ob bestimmte Kosten privaten Akteuren oder aber dem öffentlichen Sektor zuzuordnen sind. Wenn eine umfassende Kosten-Nutzen-Analyse für eine konkrete Gene-Drive-Anwendung positiv ausfalle, sei damit allerdings noch nicht gesichert, dass sie auch entwickelt werde. Insbesondere privatwirtschaftliche Biotechnologieunternehmen werden die angesprochenen Kosten und Risiken der Entwicklung nur auf sich nehmen, wenn ihnen geeignete ökonomische Anreize geboten werden. In diesem Zusammenhang stellen sich auch Fragen nach der Patentierbarkeit von Gene-Drive-Systemen und zudem Haftungs- und weitere Regulierungsfragen.

Rechtliche und Rechtsethische Fragen

Die Freiburger Rechtswissenschaftlerin Silja Vöneky, die in den Jahren 2012 bis 2016 selbst Mitglied des Deutschen Ethikrates war, widmete sich im letzten Fachvortrag des Tages der Frage, ob bestehende Normen im nationalen Recht, aber auch im Europa- und Völkerrecht zur Regulierung der Gene-Drive-Technologie geeignet scheinen. Sie wies zunächst darauf hin, dass es - anders als etwa bei Impfkampagnen - weder für Individuen noch für einzelne Staaten eine realistische Opt-out-Strategie im Umgang mit Gene-Drives gebe. Seien diese einmal freigesetzt, würden die mit dieser Technologie veränderten Insekten weder vor ihnen gegenüber kritisch eingestellten Bürgern noch vor Staatsgrenzen Halt machen. Ein weiterer sowohl aus rechtlicher als auch ethischer Perspektive bedeutender Gesichtspunkt sei die Möglichkeit des Missbrauchs der Gene-Drive-Technologie zu militärischen oder terroristischen Zwecken. Dass solche Dual-Use-Szenarien nicht unrealistisch sind, erweise sich etwa an der Tatsache, dass die Forschungsbehörde des US-Militärs DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) im Rahmen ihres Safe-Genes-Programmes gegenwärtig sieben Projekte zur Abschätzung von Sicherheitsaspekten der Gene-Drive-Technologie fördere. Zwar gebe es Vöneky zufolge noch keine spezifischen Normen zur Regulierung von Gene-Drives; jedoch ließen sich sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene die rechtlichen Instrumente für den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen (GVOs) zur Anwendung bringen. Im völkerrechtlichen Bereich sei insbesondere das "Internationale Protokoll über die biologische Sicherheit" (kurz: Cartagena-Protokoll) einschlägig, das unter anderem eine Benachrichtigungspflicht beinhaltet, wenn ein Staat absehen kann, dass einem anderen negative Auswirkungen in Folge der grenzüberschreitenden Verbringung eines GVOs drohen. Das Cartagena-Protokoll bindet jedoch nur die Staaten, die ihm beigetreten sind - was beispielsweise für Deutschland, nicht hingegen für die USA gilt. Außerdem sei es ungeeignet, um Sicherheitsbedenken bezüglich militärischen oder terroristischen Missbrauchs entgegenzutreten. Auf nationaler Ebene sei das Deutsche Gentechnikgesetz zu beachten. Die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) hat in einer ersten Stellungnahme zu Gene-Drives im Jahr 2016 festgesetzt, dass der Umgang mit diesen Technologien biologischen Laboren vorbehalten sein soll, die mindestens den Anforderungen der Sicherheitsstufe 2 genügen. Darüber hinaus ist für die Genehmigung von Arbeiten mit Gene-Drives eine Einzelfallprüfung vorgesehen. Bei der Gestaltung zukünftiger Rechtsnormen für die Erforschung und Anwendung von Gene-Drives komme es nach Ansicht von Vöneky darauf an, einen vernünftigen Kompromiss zwischen legitimen Sicherheitsbedürfnissen einerseits und der menschenrechtlich und grundgesetzlich geschützten Forschungsfreiheit andererseits zu finden. Ein sinnvoller Grundsatz könnte hierbei sein, dass in Fällen, in denen die Menschheit als Ganze von den Risiken der Anwendung von Gene-Drives betroffen ist, auch ihr Nutzen der Menschheit zugute kommen muss - was in der Konsequenz bestimmten Formen privatwirtschaftlichen Profitstrebens einen Riegel vorschieben würde.

Diskussion

Die abschließende Podiumsdiskussion zu angemessenen Governance-Strategien für Gene-Drives wurde bestritten von der Malariaforscherin und DFG-Vizepräsidentin Katja Becker, Mathieu Bangert von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem Biochemiker Joachim Schiemann sowie Christoph Then, Veterinärmediziner und Geschäftsführer des unabhängigen Instituts zur Technikfolgenabschätzung für Biotechnologien Testbiotech e.V. Steffen Augsberg, Jurist von der Universität Gießen und Mitglied des Deutschen Ethikrates, der diese Runde moderierte, stellte gleich eingangs fest, dass der Begriff Governance sowohl Fragen der Regulierung als auch solche der Technikgestaltung meine. Weitgehend einig waren sich die Podiumsteilnehmer darüber, dass die Öffentlichkeit in den gesellschaftlichen Diskurs einbezogen werden müsse. Auch Beckers Forderung nach interdisziplinärer Risikoforschung und internationalen Regularien zu Gene-Drives fand einhellige Zustimmung. Schiemann fügte hinzu, dass es sich bei Gene-Drives um eine ganz spezielle Form der Genom-Editierung handelt, die auch einer gesonderten Risikobewertung bedürfe. Die von Vöneky erwähnte Stellungnahme der ZKBS regele nur Sicherheitsaspekte im Umgang mit Gene-Drives unter Laborbedingungen, die Anwendung im Freiland sei hier noch gar nicht angedacht. Es gebe jedoch bereits mehrere internationale Initiativen, die weiter gehende Regulierungsansätze für unterschiedlichste Anwendungen der Genom-Editierung zu etablieren versuchten. Bangert ordnete den Stellenwert möglicher Gene-Drive-Anwendungen zur Kontrolle von durch Moskitos übertragenen Infektionserkrankungen durch den Hinweis ein, dass drei von zwölf aktuell von einer Arbeitsgruppe der WHO diskutierten Interventionsansätzen Eingriffe in das Genom beinhalten, von denen wiederum zwei die Gene-Drive-Technologie nutzen. Insgesamt schätze die WHO den möglichen Nutzen von Gene-Drives bei der Bekämpfung von Tropenkrankheiten hoch ein und spreche sich für eine stufenweise Einführung mit intensiver Begleitung durch Risikoforschung aus. Then betonte, dass es vor allem unabhängiger Sicherheitsbewertungen bedarf, die der besonderen Eingriffstiefe der Gene-Drive-Technologie Rechnung tragen müssten, ohne dabei bereits kommerzielle oder sonstige Anwenderinteressen im Blick zu haben. Die ganz neuartige Dimension ihrer Anwendungen stellte er heraus, indem er sie metaphorisch als Eingriffe in "die Keimbahn der biologischen Vielfalt" charakterisierte. Ob es mit unserer Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen vereinbar sei, den Genpool ganzer Arten unter Umgehung natürlicher Regulierungs- und Vererbungsmechanismen dauerhaft zu verändern, werde zur ethischen Gretchenfrage.

Kontrovers diskutiert wurde auf dem Podium die Frage, ob die vorhandenen Gremien und Entscheidungsstrukturen auf nationaler und europäischer Ebene geeignet sind, eine zuverlässige Sicherheitsbewertung möglicher Gene-Drive-Anwendungen zu gewährleisten. Aus dem Publikum wurde die Anregung aufgegriffen und allgemein befürwortet, ein internationales öffentliches Register einzutrichten, in dem Versuche mit Gene-Drives dokumentiert werden. Dies könnte eine erste konkrete Governance-Maßnahme sein, um die Anwendung von Gene-Drives verantwortungsvoll zu gestalten, was not tut, da sich, so Becker in ihrem abschließenden Statement, ihre Entwicklung in Anbetracht der enormen Nutzenpotenziale nicht aufhalten lassen werde. Trotz dieser möglichen Unabwendbarkeit ihrer Nutzung komme die Debatte über Gene-Drives nicht zu spät, hob Dabrock in seinem Schlusswort hervor. Sie komme aber auch nicht zu früh, wie in einem begleitenden Tweet zur Veranstaltung vermutet worden war, sondern schlicht zur rechten Zeit und sollte in Form eines "zivilisierten Diskurses" von allen betroffenen Akteuren multidimensional und international geführt werden. (Ga)


Info
Quelle
Die Tagung ist unter
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/weitere-veranstaltungen/genedrive
ausführlich dokumentiert.

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Quelle:
Infobrief Nr. 22 - Januar 2018 - 01/18, Seite 8 - 13
Informationen und Nachrichten aus dem Deutschen Ethikrat
Herausgeber: Geschäftsstelle des Deutschen Ethikrates
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Telefon: 030/203 70-242, Telefax: 030/203 70-252
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Internet: www.ethikrat.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2018

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