Infobrief des Deutschen Ethikrates Nr. 24 - Januar 2019 - 01/19
Verlautbarung
Anwendung von Keimbahneingriffen derzeit ethisch nicht vertretbar
von Dr. Nora Schultz
Die am 26. November 2018 von dem chinesischen Forscher Jiankui He bekannt gegebene Geburt zweier mittels Keimbahneingriffs genetisch veränderter Mädchen stellt nach Auffassung des Deutschen Ethikrates eine ernste Verletzung ethischer Verpflichtungen dar.
Der auch als Genome-Editing bezeichnete Einsatz neuer
gentechnischer Methoden wie CRISPR/Cas9 an Embryonen oder
Keimbahnzellen kann Gene dauerhaft und potenziell in allen
Körperzellen verändern. Die Veränderung wird auch an spätere
Nachkommen vererbt. Bislang wurden solche Keimbahneingriffe allerdings
nur in Tierversuchen und - im Ausland - auch in Experimenten mit
menschlichen Embryonen vorgenommen.
Nach eigenen Angaben gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press hat Jiankui He von der Southern University of Science and Technology in Shenzhen (China) die Technik nun an Embryonen angewandt, die sich anschließend bis zur Geburt weiterentwickelten. Ziel des Eingriffs war die Veränderung eines Gens für einen Rezeptor im Immunsystem, die Schutz vor einer HIV-Infektionen verleihen kann.
Bislang war eine klinische Anwendung des Genome-Editings an menschlichen Embryonen international einhellig allein aus Sicherheitsgründen klar abgelehnt worden, da die Technik noch nicht weit genug entwickelt ist, um eine ausreichend sichere und effektive Wirkung des Eingriffs in allen angesteuerten Zellen des sich entwickelnden Organismus zu gewährleisten.
Darüber hinaus gibt es erheblichen ethischen und gesellschaftlichen Klärungsbedarf, ob und unter welchen Umständen Eingriffe in die menschliche Keimbahn überhaupt zu rechtfertigen sind. Der Deutsche Ethikrat hatte zu diesem Thema im September 2017 in einer Ad-hoc-Empfehlung einen globalen politischen Diskurs und eine internationale Regulierung gefordert. Derzeit erarbeitet der Rat eine ausführliche Stellungnahme zu diesem Thema.
"Der Einsatz von Genome-Editing am menschlichen Embryo ist zum jetzigen Zeitpunkt und beim derzeitigen Stand der Technik in keiner Weise zu verantworten, erst recht nicht ohne einen dringenden medizinischen Grund", sagte Peter Dabrock, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. "Die hier angeblich behandelten Embryonen hätten sich auch ohne einen solchen Eingriff zu gesunden Menschen entwickeln können. Die Menschheit muss ein Mitspracherecht haben. Immerhin handelt es sich um einen Eingriff in die biologische Grundlage des Menschen. Er betrifft ja nicht nur einen Einzelnen, sondern potenziell alle seine Nachkommen. Kurzum: Bei den Experimenten handelt es sich um unverantwortliche Menschenversuche. Die Politik muss sich auf globaler Ebene endlich des Themas annehmen."
Die Medizinethikerin Alena Buyx, Sprecherin der mit dem Thema Keimbahneingriffe befassten Arbeitsgruppe des Deutschen Ethikrates, kritisiert das Vorgehen ebenfalls: "Eine derart vorschnelle Anwendung widerspricht allen etablierten Maßstäben der Forschungsethik. Die gesundheitlichen Risiken für die so behandelten Mädchen konnten nicht ausreichend abgewogen werden. Zudem scheint auch noch unklar, ob die Eltern überhaupt wahrheitsgetreu aufgeklärt wurden, in welche Studie sie einwilligen."
Die Veröffentlichung der behaupteten Forschungsergebnisse in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift steht noch aus. Der Deutsche Ethikrat wird seine Stellungnahme zum Thema Keimbahneingriffe mit ethischen Analysen möglicher Anwendungsszenarien voraussichtlich in der ersten Hälfte 2019 veröffentlichen.
INFO
FEEDBACK
Stimmen anderer Organisationen:
National Academies/USA:
http://www8.nationalacademies.org/onpinews/newsitem.aspx?RecordID=11282018b
National Institutes of Health/USA
https://www.nih.gov/about-nih/who-we-are/nih-director/statements/statement-claim-first-geneedited-babies-chinese-researcher
Nuffield Council on Bioethics/Großbritannien:
http://nuffieldbioethics.org/news/2018/nuffield-council-statement-reports-geneedited-babiesborn-china
Comité consultatif national d'éthique/Frankreich:
https://www.ccne-ethique.fr/sites/default/files/communique_de_presse_ccne_genome_editing1647_en_0.pdf
Offener Brief chinesischer HIV-Spezialisten
https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS01406736(18)33082-4/fulltext
Bioethik-Komitee des Europarates:
https://search.coe.int/directorate_of_communications/Pages/result_details.aspx?ObjectId=09000016808fe117
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Quelle:
Infobrief Nr. 24 - Januar 2019 - 01/19, Seite 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2019
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