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FORSCHUNG/3046: Neuer Regulator für Fettleibigkeit in Fliegen entdeckt (idw)


Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie - 05.02.2014

Neuer Regulator für Fettleibigkeit in Fliegen entdeckt



Forscher vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen haben einen neuen Mechanismus in der Taufliege aufgedeckt, der bei den Insekten Heißhunger auslösen kann. Wie sie herausfanden, spielt dabei die Kalziumkonzentration im Fettspeicherorgan der Fliegen eine Schlüsselrolle. War diese niedrig, entwickelten sich die Fliegen zu sichtbar "dicken Brummern".

Zu fett, zu süß und vor allem zu viel - dies gilt für die Essensgewohnheiten vieler Menschen. Bewegen wir uns dabei auch noch wenig, gerät unser Fettstoffwechsel schnell aus dem Gleichgewicht. Die Folge: Gut 50 Millionen Bundesbürger sind übergewichtig, rund 20 Millionen von ihnen leiden gar unter Fettsucht (Adipositas), so die Zahlen einer aktuellen Studie des Berliner Robert-Koch-Instituts zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland. Der Trend zum Übergewicht steigt weltweit weiter an: Die Weltgesundheitsorganisation stuft Fettleibigkeit als das am schnellsten wachsende Gesundheitsproblem ein und spricht bereits von einer globalen Adipositas-Epidemie. Betroffene leiden verstärkt unter Gefäßkrankheiten und Gelenkbeschwerden und haben ein höheres Risiko für Krankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck oder Krebs.

Doch trotz eines ganz ähnlichen Lebensstils kann die Gewichtszunahme von Mensch zu Mensch enorm variieren. "Das liegt daran, dass es neben dem Lebenswandel auch eine genetische Veranlagung gibt, die auf dem komplexen Zusammenspiel vieler Gene beruht. Allerdings kennen wir bisher nur einen kleinen Bruchteil dieser Gene", erläutert Ronald Kühnlein vom Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie (MPIbpc). Um das Netzwerk an Genen aufzudecken, das den Fettstoffwechsel im Gleichgewicht hält, setzen der Entwicklungsphysiologe und sein Team die Taufliege Drosophila melanogaster als Modellorganismus ein. "Wenn beim Menschen Stoffwechselprozesse entgleisen, sind oft Gene und ganze Kontrollsysteme beteiligt, die in der Taufliege eine ganz ähnliche Funktion übernehmen", so Kühnlein.

Ebenso wie höhere Tiere speichert auch die kleine Fliege Fette in Form sogenannter Lipidtröpfchen innerhalb spezialisierter Fettspeicherzellen, die ein ausgedehntes Fettspeicherorgan bilden. Unter dem Mikroskop im Göttinger Fliegenlabor kann man die Fliegen mit höherem Körperfett schnell als dicke Brummer neben den normalen Artgenossen ausmachen. Um das genetische Netzwerk zu identifizieren, das den Fettstoffwechsel der Insekten reguliert, hat das Team von Kühnlein über 7000 Fliegenmutanten durchmustert, bei denen jeweils ein bestimmtes Gen im Fettspeicherorgan "stumm geschaltet" war. Die Forscher konnten so 77 Gene ausfindig machen, die bei einem Defekt in der Taufliege zu Fett- oder Magersucht führen. Für 58 dieser 77 Gene war eine solche Funktion bisher nicht bekannt.

Eine Gruppe innerhalb der identifizierten Gene, die eng mit dem Kalziumstoffwechsel im Fettspeicherorgan verknüpft ist, führte die Forscher dabei auf einen völlig neuen Regulationsmechanismus. Kalzium ist ein wichtiger Botenstoff für zahlreiche Kommunikationsprozesse in lebenden Zellen. Wie die Wissenschaftler jetzt herausfanden, reguliert es darüber auch, ob sich Fliegen zu mageren oder fetten Exemplaren entwickeln.

Doch wie hängt Kalzium mit Adipositas zusammen? Einige der zugrunde liegenden Mechanismen verstehen die Göttinger Entwicklungsphysiologen bereits sehr gut, wie Jens Baumbach, Mitarbeiter in Kühnleins Team, erklärt. "Die Zunahme des Botenstoffes Kalzium in Fettspeicherzellen wird durch ein Protein namens STIM (für Stromal interaction molecule) reguliert. Ist STIM ausgeschaltet, sinkt der Kalziumspiegel in den Fettspeicherzellen der Fliege." Wie die Wissenschaftler herausfanden, wird als Folge des niedrigen Kalziumpegels im Fliegengehirn vermehrt ein Appetitanreger produziert - das sogenannte short neuropeptide F (sNPF). Die Fliegen entwickeln dadurch einen regelrechten Heißhunger und fressen doppelt so viel wie normale Artgenossen.

Doch welches Signal die Kommunikation zwischen Fettspeicherorgan und Gehirn vermittelt, darüber tappen die Forscher derzeit noch im Dunkeln. Weitere Arbeiten der Gruppe sollen nun zeigen, über welchen Signalweg der Status des Körperfettspeichers an das Fliegengehirn übermittelt wird und wie Kalzium diese Kommunikation beeinflusst. Viele Komponenten des Kalziumstoffwechsels wurden auch beim Menschen gefunden. "Weitere Untersuchungen müssen jetzt klären, ob der über Kalzium vermittelte Regulationsmechanismus in ähnlicher Weise auch beim Menschen Dick- und Dünnsein steuert", blickt Kühnlein in die Zukunft. Wenn dies der Fall ist, könnten sich daraus möglicherweise neue Ansätze für die Behandlung von Fettstoffwechselerkrankungen ergeben.


Originalpublikation
Jens Baumbach, Petra Hummel, Iris Bickmeyer, Katarzyna M. Kowalczyk, Martina Frank, Konstantin Knorr, Anja Hildebrandt, Dietmar Riedel, Herbert Jäckle, Ronald P. Kühnlein:
A Drosophila in vivo screen identifies store-operated calcium entry as a key regulator of adiposity. Cell Metabolism 19, 331-343, doi: 10.1016/j.cmet.2013.12.004 (2014).


Kontakt

Dr. Ronald Kühnlein, Forschungsgruppe Molekulare Physiologie
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
E-Mail: rkuehnl@gwdg.de

Dr. Carmen Rotte, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
E-Mail: crotte@gwdg.de


Weitere Informationen finden Sie unter

http://www.mpibpc.mpg.de/13789587/pr_1404
Original-Pressemitteilung mit druckfähigem Bildmaterial

http://www.mpibpc.mpg.de/de/kuehnlein
Webseite der Forschungsgruppe Molekulare Physiologie, Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie


Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:
http://idw-online.de/de/image225917
Ist der Kalziumspiegel im Fettspeicherorgan niedrig, entwickeln sich fette Fliegen (rechts), die einen deutlich höheren Körperfettgehalt (Inlet: Lipidtröpfchen in grün) haben als normale Artgenossen.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution255

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Dr. Carmen Rotte, 05.02.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2014